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RA Digital - 09/2020

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

456 Zivilrecht

456 Zivilrecht RA 09/2020 § 215 BGB setzt ein Zurückbehaltungsrecht voraus. Die Norm begründet keins. Auf § 320 BGB kommt es wegen der Vorleistungspflicht des Unternehmers nicht an. Entscheidend: Der Unternehmer kann die Mängel beseitigen und damit die Fälligkeit herbeiführen. Weil die Verjährung die Abnahme nicht ersetzt, muss der Besteller keine Maßnahmen zur Verjährungshemmung ergreifen. (…), begründet kein Zurückbehaltungsrecht, sondern setzt ein solches voraus und regelt dessen Fortbestand bei Verjährung des Gegenanspruchs (…). Da der Unternehmer vorleistungspflichtig ist, bedarf es eines Leistungsverweigerungsrechts des Bestellers jedoch von vornherein nicht, um eine Vergütungsklage abzuwehren. Der Unternehmer kann seinen Werklohnanspruch nur bei Annahmeverzug des Bestellers und nur mit der Folge einer Verurteilung nach Empfang der Gegenleistung durchsetzen, § 322 Absatz 2 BGB, § 215 Absatz 1 BGB kann nicht entnommen werden, dass eine Verjährung des Gegenanspruchs hieran zulasten des Bestellers etwas ändern würde. [23] Entgegen der von der Kl. in der Berufungsinstanz vertretenen Ansicht führt eine Verjährung des Erfüllungsanspruchs des Bestellers nicht dazu, dass dieser sich nicht auf wesentliche Mängel berufen kann und der Werklohnanspruch fällig wird. Anders als die Revision meint, muss der Besteller auch nicht, um diese Folge zu verhindern, seinen Erfüllungsanspruch mit der Erhebung einer Einrede nach § 320 BGB verfolgen (§ 242 BGB). [24] Es verstößt nicht gegen Treu und Glauben, wenn der Werklohnanspruch des Unternehmers in einer solchen Situation nicht fällig wird. Aus den unter II 2 bereits genannten Gründen kann der Unternehmer jederzeit die Fälligkeit herbeiführen, indem er die vorhandenen wesentlichen Mängel beseitigt. Es besteht keine Veranlassung, ihm dies nicht mehr zuzumuten, wenn er es über einen längeren Zeitraum unberechtigt unterlassen hat (…). Aus der Tatsache, dass der Besteller seinen Erfüllungsanspruch in dieser Zeit hat verjähren lassen, kann der Unternehmer im Hinblick auf seine Vergütung nichts zu seinen Gunsten ableiten. Der Besteller, der den Werklohn noch nicht (vollständig) gezahlt hat und der berechtigt eine Abnahme verweigert, ist nicht nach Treu und Glauben gehalten, Maßnahmen zur Verjährungshemmung zu ergreifen. Dies zeigt auch der Rechtsgedanke des § 215 Absatz 1 BGB; diese Vorschrift betrifft beiderseits fällige Ansprüche. Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass ein Schuldner, dem ein Gegenanspruch zusteht, kraft dessen er die Inanspruchnahme durch den Gläubiger erfolgreich abwehren kann, sich als hinreichend gesichert ansehen darf und durch die Verjährungsregeln nicht zur frühzeitigen Durchsetzung seiner Forderung im Wege der Aufrechnung oder Klageerhebung gedrängt werden soll (…). Das gilt ebenso und erst recht, wenn der Schuldner berechtigt die Abnahme verweigert und deshalb zu Recht davon ausgehen kann, dass ein Werklohnanspruch nicht fällig werden kann. [25] Hierfür bedarf es keiner Einrede des Bestellers gem. § 320 BGB; er muss sich grundsätzlich nicht auf wesentliche Mängel „berufen“. Da es sich wie dargestellt nicht um einen Fall des § 215 Absatz 1 BGB handelt, reicht es aus, dass der Besteller die vom Unternehmer darzulegende und zu beweisende im Wesentlichen mangelfreie Herstellung des Werks in der gebotenen Weise bestreitet. Dies hat die Bekl. durchweg getan. Jura Intensiv Damit steht fest, dass der Anspruch der K noch nicht fällig ist. B. Ergebnis K hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung des Restlohnanspruchs aus §§ 631, 640 BGB. FAZIT Hat der Besteller eines Bauwerks die mangelfreie Herstellung zu Recht bestritten und die Abnahme verweigert, muss er auch nach Verjährung des Herstellungsanspruchs den Werklohn nicht bezahlen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2020 Zivilrecht 457 Problem: Verkehrssicherungspflichten des Netzbetreibers Einordnung: Deliktsrecht OLG Nürnberg, 15.07.2020 2 U 3776/19 EINLEITUNG Aufgrund der Eisenbahnstrukturreform bestehen rechtlich getrennte Gesellschaften. Eine ist für das Schienennetz und die Infrastruktur, eine andere für den Fahrbetrieb verantwortlich. Ein reibungsloser Bahnverkehr ist nur durch das Zusammenwirken beider Gesellschaften möglich. Dies muss auch Auswirkungen auf die Verkehrssicherungspflichten haben, wie das vorliegende, in seinen Entscheidungsgründen sehr stark differenzierende Urteil des OLG Nürnberg zeigt. SACHVERHALT Aufgrund der Eisenbahnstrukturreform wurde die Deutsche Bahn in mehrere Konzernunternehmen aufgespalten. B1 für das Schienennetz und die zugehörige Infrastruktur zuständig, B2 für den Fahrbetrieb. Eigentümerin der streitgegenständlichen Haltestelle O ist B1. Den Betrieb der Haltestelle sichert B2. Im November 2016 übertrug B2 der X per Vertrag die Aufgabe, die Haltestelle O zu reinigen, sowie schnee- und eisfrei zu halten. Eine stichprobenartige Kontrolle der X führten B1 und B2 am 05.12.2016 durch. Der Dezember 2016 fiel in Franken sehr warm und sehr trocken aus. Eine Nachlässigkeit der X hinsichtlich einer Streu- und Räumpflicht war nicht ersichtlich. Erst in der Nacht zum 23.12.2016 fiel Glatteisregen. Vor überfrierender Nässe hatte der Wetterdienst gewarnt. An der Haltestelle O bildete sich eine Glatteisfläche am Zuweg zum Treppenaufgang. Dies wurde am selben Tag um 5.30 Uhr im Konzern bekannt. Gegenüber X wurde eine Streuung an der Glatteisfläche bis 8.00 Uhr angeordnet. Am Morgen des 23.12.2016 stürzte K glatteisbedingt und zog sich eine Unterschenkelfraktur zu. K wirft B1 und B2 vor, weder selbst die winterlichen Streu- und Räumpflichten erfüllt noch die Erfüllung der Pflichten durch X kontrolliert zu haben. Hierzu schweigt B1. B2 erklärt ein Anerkenntnis über ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.500 €. B1 verweigert jede Zahlung. K begehrt, dass B1 und B2 als Gesamtschuldner in Höhe von 11.000 € haften. Zu Recht? Jura Intensiv LEITSATZ 1. Weil ein reibungsloser Bahnverkehr nur durch das Zusammenwirken von Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu erreichen ist, eröffnet auch ein bloßer Schienennetzbetreiber den Verkehr an den Haltestellen an seinem Netz. Er ist deshalb verkehrssicherungspflichtig. 2. Die Haftung für die Verletzung von Auswahl- und Überwachungspflichten gemäß § 823 BGB bei der Delegation von Verkehrssicherungspflichten ist unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 831 BGB vorliegen. 3. Soweit - wie bei Unfallverhütungsvorschriften - ein Anscheinsbeweis hinsichtlich der Kausalität für solche Schäden, die vom Schutzzweck umfasst sind, generell für Verkehrssicherungspflichten diskutiert wird, ist ein solcher jedenfalls nicht für die „sekundäre“ Pflicht zu bejahen, die Durchführung zulässigerweise übertragener Pflichten zu überwachen. LÖSUNG A. Ansprüche der K gegen B1 auf Zahlung von 11.000 € Schmerzensgeld I. Anspruch aus §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II BGB K könnte gegen B1 einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II BGB i. V. m. § 253 II BGB haben. Dann müsste ein rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis i.S.d. § 311 II BGB bestanden haben. Dies setzt einen auf Eingehung eines Schuldverhältnisses gerichteten sozialen Kontakt voraus. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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