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RA Digital - 10/2016

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546 Referendarteil:

546 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 10/2016 Verursacht das abgeschleppte Fahrzeug keine Verkehrsbehinderung, ist die Verhältnismäßigkeit besonders genau zu prüfen. Gemeint ist das Falschparken unter Hinterlassen einer Telefonnummer. Beispiele: Parken an einem Taxistand oder in der Fußgängerzone. Subsumtion des konkreten Sachverhalts (weitere typische Formulierungen: „Unter Anwendung dieser Maßstäbe...“, „Dies zugrunde gelegt ...“, „Hiernach ...“). Hier: Keine Gründe, die Sofortvollzug rechtfertigen Keine Verkehrsbehinderung Keine von dem Fahrzeug ausgehende Gefahr Keine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit, die Sofortvollzug rechtfertigt: Hier liegt ein Argumentationsschwerpunkt des Falles, wobei es weniger auf das Ergebnis als vielmehr darauf ankommt, das Problem zu erkennen und in der Argumentation die von den Beteiligten vorgebrachten Argumente zu berücksichtigen. Auch ohne konkrete Behinderungen sind Abschleppmaßnahmen zwar nicht ausgeschlossen, hierbei bekommen die gegenläufigen Interessen des Betroffenen naturgemäß jedoch ein größeres Gewicht. Eine rechtmäßige Abschlepppraxis darf dabei in zulässiger Weise auch spezial- und generalpräventive Zwecke verfolgen; soweit Verkehrsteilnehmer nach Erfahrung der zuständigen Behörden zunehmend dazu übergehen, mit Hilfe von entsprechenden Angaben unter Inkaufnahme von Bußgeldern, aber in Erwartung eines hieraus folgenden „Abschlepp-Schutzes“ Verkehrsverstöße zu begehen, die andere Verkehrsteilnehmer behindern, steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Abschlepppraxis, die solche Missstände zurückzudrängen sucht, nicht entgegen. Mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist das Abschleppen eines verkehrswidrig geparkten Fahrzeuges auch dann, wenn mit dem verkehrswidrigen Parken eine Funktionsbeeinträchtigung der Verkehrsfläche verbunden ist. Letztlich gilt für alle Abschleppmaßnahmen, dass die Nachteile, die mit einer Abschleppmaßnahme für den Betroffenen verbunden sind, nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg stehen dürfen, was sich aufgrund einer Abwägung der wesentlichen Umstände des Einzelfalls beurteilt. Nach alledem rechtfertigte hier das verbotswidrige Parken eines nicht zugelassenen Fahrzeuges auf einem Seitenstreifen einer Fahrbahn nicht die Notwendigkeit des Eingreifens im sofortigen Vollzug. Es lag kein Verstoß vor, der ein sofortiges Handeln der Behörde erforderte. So war keine konkrete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gegeben, denn von dem Fahrzeug selbst ging keine Gefahr aus. Das Fahrzeug war auf dem Seitenstreifen des D. Weges sicher abgestellt. Es ist nicht ersichtlich, dass er von Unbefugten bewegt oder von Kindern als Spielobjekt genutzt werden konnte. Auch gingen von dem Fahrzeug keine Verletzungsgefahren für Passanten aus und es erschwerte durch seinen Standort weder den fließenden bzw. ruhenden Verkehr, noch den Durchgang für Fußgänger. Auch war hier die Funktionsfähigkeit der Fläche nicht in einer Weise beeinträchtigt, die ein sofortiges Abschleppen erforderte. Der klägerische Wagen stand auf einer Fläche, auf der regelmäßig geparkt werden darf, nämlich auf dem Seitenstreifen der Fahrbahn (§ 12 Abs. 4 StVO). Zwar ist es richtig, dass der Parkraum ordnungsgemäß zugelassenen Fahrzeugen vorbehalten ist und auch das Gericht ein Entfernen dieser Fahrzeuge aus dem öffentlichen Verkehrsraum für geboten ansieht. Allerdings ist dies nach Ansicht des Gerichts nicht als so eilig anzusehen, dass die Entfernung des Fahrzeuges im Sofortvollzug vorgenommen werden müsste. Vielmehr hält es das Gericht in diesem Fall für geboten, den Halter des Fahrzeuges zunächst per Ordnungsverfügung, gegebenenfalls unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und mittels kurzer Fristen, über den Vorfall zu informieren und ihn zur Beseitigung des Fahrzeuges aufzufordern. Dass der Parkraum einige Tage nicht den zugelassenen Fahrzeugen zur Verfügung steht, ist hier in Abwägung der Interessen des Klägers, sein Fahrzeug ohne bzw. auf eigene Kosten abschleppen zu können, noch als hinnehmbar anzusehen. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis

RA 10/2016 Referendarteil: Öffentliches Recht 547 Dass auf dem D. Weg ein außergewöhnlich hoher Parkdruck besteht, der möglichweise ein sofortiges Abschleppen rechtfertigen könnte, kann das Gericht nicht erkennen. Angesichts der Tatsache, dass 11 Tage zwischen dem Anbringen des Aufklebers und dem Abschleppen lagen, ist dieses Argument auch wenig überzeugend. In etwa dieser Zeit wäre es möglich gewesen, dem vorrangig verantwortlichen Halter eine Ordnungsverfügung zuzustellen und ihn unter kurzer Fristsetzung von 2 oder 3 Tagen zum Entfernen des Fahrzeuges aufzufordern. Dies war auch möglich, denn das klägerische Fahrzeug war noch mit dem Kfz-Kennzeichen versehen, sodass der letzte Halter unproblematisch ermittelt werden konnte und ausweislich des Verwaltungsvorgangs ja auch tatsächlich ermittelt wurde. Der Kläger hätte nach Zustellung einer Ordnungsverfügung zumindest die Möglichkeit gehabt, das Fahrzeug selbst zu entfernen. Anhaltspunkte dafür, dass der Halter des Fahrzeuges seiner Verpflichtung nicht nachkommen werde, waren nicht ersichtlich. Man kann auch nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass jeder Halter, der sein abgemeldetes Fahrzeug am Straßenrand stehen lässt, auch auf eine Ordnungsverfügung, die ihn zur Entfernung des Fahrzeuges auffordert, nicht reagieren wird. Auch spezial- und generalpräventive Zwecke rechtfertigen hier die eingeleitete Abschleppmaßnahme nicht. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht auf eine Ordnungsverfügung reagiert hätte, sind nicht ersichtlich. Ebenso sind generalpräventive Zwecke nicht gegeben. Der Vortrag der Beklagten, das Abschleppen habe auch den Zweck gehabt, einer Verwahrlosung der Gegend vorzubeugen und das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat zu stärken, überzeugt das Gericht nicht. Das Fahrzeug war einerseits auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht in einem verwahrlosten Zustand, sondern lediglich nicht mehr angemeldet. Andererseits scheint es nicht dazu angetan zu sein, das Vertrauen der Bürger in einen funktionierenden Rechtsstaat zu stärken, wenn die Durchführung eines aus Sicht der Behörde eiligen Sofortvollzuges 11 Tage in Anspruch nimmt. Jura Intensiv Ebenso rechtfertigen die von der Beklagten angeführten praktischen Schwierigkeiten der Halterermittlung hier keine Sicherstellung im Sofortvollzug. Zum einen ist aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlich, dass der Halter unschwer und schnell ermittelt werden konnte. Wenn den Kläger eine unter seiner Hagener Adresse zugestellte Ordnungsverfügung nicht erreicht hätte, so hätte er sich dies zurechnen lassen müssen. Erst nach einem solchen Zustellversuch wäre aus Sicht des Gerichts eine sofortige Abschleppmaßnahme rechtmäßig gewesen. Zum anderen ist die Beklagte verpflichtet, Verwaltungsstrukturen zu schaffen, die ihr ein rechtmäßiges Vorgehen ermöglichen. Ein rechtswidriges Vorgehen kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Behörde aus organisatorischen und praktischen Gründen Schwierigkeiten hat, rechtmäßig zu handeln. Auch bestünde zur Verbesserung der Verwaltungspraxis und zur Beschleunigung der Vorgehensweise die Möglichkeit, dass die Polizei in gleichgelagerten Fällen der Ordnungsbehörde gleichzeitig mit der Information über ein „beklebtes“ Auto die letzte Halteranschrift mitteilt. Ggf. anderes Ergebnis bei hohem Parkdruck (z.B. in der Innenstadt oder bei besonderen Ereignissen), hier jedoch unter Auswertung der konkreten Sachverhaltsumstände verneint. Keine spezial- oder generalpräventive Zwecke Auch hier ist es wichtig, dass das Vorbringen der Beteiligten „abgearbeitet“ wird. Gemeint ist ein Abschleppen im Sofortvollzug, da es in dem Sinne keine „Sicherstellung im Sofortvollzug“ gibt. Der Hinweis auf „praktische Schwierigkeiten“ kann das Vorgehen der Verwaltung nicht rechtfertigen. Inhaltsverzeichnis

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