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RA Digital - 10/2018

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520 Zivilrecht

520 Zivilrecht RA 10/2018 Facebook kommt aufgrund seiner Quasi-Monopolstellung eine besondere Rolle zu: Es schafft in einem so großen Ausmaß die Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation, dass sich eine Sperrung und/oder Löschung nicht gegen eine bestimmte Meinung richten darf und sichergestellt sein muss, dass die Sanktionen nicht willkürlich festgesetzt und Nutzer nicht vorschnell und dauerhaft gesperrt werden. Der OLG – Senat stellt auf die Gefahr der Störerhaftung der Firma Facebook ab. Des Pudels Kern erwähnt der Senat nicht: Facebook drohen aufgrund des NetzDG Bußgelder, wenn es „Hasskommentare“ nicht löscht. Hieraus resultiert die Gefahr des „Overblockings“: Lieber einmal zu viel gelöscht, als einmal Bußgeld gezahlt. Mit der Frage, ob der Post auch unter die Vorgaben des NetzDG fällt, wollte sich das Gericht nicht mehr auseinandersetzen. [24] Diese Belange der Anbieter sind nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz bei der Auslegung der Bedingungen des Anbieters eines sozialen Netzwerkes heranzuziehen. Bei der hier konkret vorzunehmenden Abwägung mit den Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin ist zusätzlich einzustellen, dass diese in Deutschland im Bereich der sozialen Netzwerke eine Quasi-Monopolstellung aufweist. Ein privates Unternehmen, das wie die B in derartig weitgehendem Ausmaß die Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation übernimmt, tritt damit in Funktionen ein, die früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren. Dies muss bei der Auslegung der Nutzungsbedingungen mitberücksichtigt werden. [25] Hieraus folgt, dass eine Sperrung und/oder Löschung nach den Nutzungsbedingungen der B sich zum einen nicht gegen bestimmte Meinungen richten darf und zum anderen sichergestellt sein muss, dass diese Sanktionen nicht willkürlich festgesetzt und dass Nutzer nicht vorschnell und dauerhaft gesperrt werden. Demgegenüber ist auch die B nicht verpflichtet, auf ihrer Plattform einschränkungslos Meinungsäußerungen zu dulden, die sie nach Inhalt und Form der Gefahr einer Inanspruchnahme entweder nach dem NetzDG oder als Störer nach §§ 823 I, 1004 I 2 BGB aussetzen. Eine solche Gefahr ist bei den Tatbeständen, die in Ziff. 12 der Gemeinschaftsstand geregelt sind, nicht von der Hand zu weisen. Zugleich ist auch das berechtigte Interesse der B anzuerkennen, der u.a. in der Begründung des Regierungsentwurfs zum NetzDG beklagten „Verrohung der Sitten“ durch sog. Hass-Postings entgegen zu wirken, weil diese sich mittlerweile generell auf den über soziale Netzwerke erfolgenden Meinungsaustausch negativ auswirken und damit nicht zuletzt auch das Geschäftsmodell der Antragsgegnerin in Frage stellen. Angesichts dieser berechtigten Interessen ist es nicht zu beanstanden, dass das Verbot der Hassrede in Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards auch Meinungsäußerungen betrifft, die unterhalb der Schwelle zur Schmähkritik bleiben. Das Gebot praktischer Konkordanz kommt zum anderen in den Gemeinschaftsstandards auch dahingehend zum Ausdruck, dass Sanktionen nur abhängig "von der Schwere des Verstoßes und dem bisherigen Verhalten der Person" getroffen werden sollen (Einleitung Gemeinschaftsstandards). Aufgeführt werden dort die Verwarnung, die Einschränkung der Posting-Rechte bei einem Folgeverstoß und in letzter Konsequenz die Deaktivierung des Kontos. Dem darin zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsprinzip hat B auch vorliegend Rechnung getragen, indem sie den klaren Verstoß des Posts gegen Ziff. 12 neben der Löschung lediglich mit einer 30-tägigen Sperre für Einzelfunktionen (sog. Read-Only Modus) begegnet ist.“ Jura Intensiv Die auf der Grundlage der Nutzungsbedingungen verhängte Löschung des Beitrages nebst einer 30-tägigen Sperre sind daher nicht aufgrund des § 306 BGB unwirksam. „[26] Ob der streitgegenständliche Post auch unter § 1 II NetzDG fällt und damit B zum Eingreifen verpflichtet wäre, kann unter diesen Umständen dahinstehen.“ B. Ergebnis K hat gegen B keinen Anspruch auf Untersagung der Löschung und Aufhebung der zeitweiligen Sperrung nach § 241 I BGB i.V.m. dem Nutzungsvertrag. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2018 Zivilrecht 521 Problem: Fehlerhafte Fahrassistenzsysteme als Mangel Einordnung: Kaufrecht AG Dortmund, Urteil vom 07.08.2018 425 C 9453/1 EINLEITUNG Fahrerassistenzsysteme sind elektronische Helfer, die den Fahrer in bestimmten Situationen unterstützen sollen. Im Mittelpunkt steht dabei die Erhöhung der Sicherheit und des Komforts. Fahrerassistenzsysteme erfassen mit Sensoren wie Radar, Video oder Ultraschall das Fahrzeugumfeld und vergleichen es mit Fahrzeugdaten wie Geschwindigkeit oder Beschleunigung. In kritischen Situationen warnen die Systeme den Fahrer mit einem optischen, akustischen oder haptischen Signal, unterstützen ihn gezielt oder greifen, falls nötig, selbsttätig ein, um einen Unfall zu vermeiden oder dessen Folgen zu vermindern. Im Mittelpunkt der vorliegenden Entscheidung des AG Dortmund steht die Frage, ob und wann bestimmte Reaktionen des Fahrzeugassistenten, die dem Fahrer nicht zusagen, einen Mangel i.S.d. § 434 BGB begründen können. SACHVERHALT Die Beklagte (B) produziert und vertreibt Mercedes Fahrzeuge, u.a. über eine Niederlassung in Dortmund. Dort kauft der Kläger (K) im Juni 2016 ein Fahrzeug des Typs Mercedes-Benz E 220 d Limousine. Der Kaufpreis beträgt 58.000 €. B liefert das Fahrzeug aus und K bezahlt den Kaufpreis. Das Fahrzeug ist mit dem Fahrassistenzpaket „Drive-Pilot“ ausgestattet. Dieses Assistenzsystem kostet laut Rechnung 1.900 € ohne Umsatzsteuer. Das System „Drive-Pilot“ ist abschaltbar. „Drive Pilot“ umfasst dabei laut Herstellerangaben „einen Lenk- Pilot mit aktivem Spurwechsel-Assistenten, erweiterter Toleranz bei Handsoff-Warnung und aktivem Nothalt-Assistenten, Abstandspilot DISTRONIC mit erweitertem automatischen Wiederanfahren im Stau (i.V.m. Park-Pilot) und Geschwindigkeitslimitpilot (i.V.m. COMAND Online); aktiver Bremsassistent mit Kreuzungsfunktion und Stauende-Notbremsfunktion.“ Dieses System soll den Fahrer im Kolonnenverkehr auf Autobahnen und Fernstraßen entlasten und bietet besonderen Komfort im Stop-and-Go-Verkehr. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist zudem mit einem Verkehrszeichenassistenten ausgestattet. Dieser Assistent erkennt die vorgeschriebene Geschwindigkeit und soll daraufhin die in der DISTRONIC eingestellte Geschwindigkeit anpassen. Der Verkehrszeichenassistent erhält seine Informationen zum einen über eine Kamera in der Windschutzscheibe und zum anderen aus den Kartendaten des Navigationssystems. Laut Benutzerhandbuch heißt es: „Die Anpassungen der gefahrenen Geschwindigkeit erfolgt auf Höhe der Verkehrsschilder. Bei Ortseingangsschildern wird die Geschwindigkeit schon vorher angepasst. Die Anzeige der Geschwindigkeitsbegrenzung im Instrumentendisplay wird immer auf Höhe des Verkehrsschildes aktualisiert.“ Nach einigen Fahrten beanstandet K, dass das Fahrassistenzsystem in bestimmten Situationen plötzlich und unerwartet beschleunigt bzw. bremst ohne dass zuvor eine Änderung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Straße erfolgt sei. K führt dazu insbesondere folgende Situationen an: Die erste Situation betrifft eine Großbaustelle auf der A 45 kurz vor der Lennetalbrücke. Hier wird der Autobahnverkehr über einen Rastplatz umgeleitet. Jura Intensiv LEITSATZ 1. Bei einem Fahrer-Assistenzsystem kann beim heutigen Stand der Technik nicht erwartet werden, dass dies wie ein menschlicher Fahrer auf alle Besonderheiten vorausschauend reagiert. 2. Solange das System nicht selbstständig verkehrsordnungswidrige Fahrmanöver durchführt, insbesondere schneller als erlaubt fahren will, liegt regelmäßig kein Mangel vor. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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