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RA Digital - 10/2018

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538 Öffentliches Recht

538 Öffentliches Recht RA 10/2018 Subsumtion In einer Klausur müssen die Tatsachenbehauptungen genauer identifiziert und ins Verhältnis zur Meinungsfreiheit gesetzt werden. Zurechnung der Äußerung Dritter Definition „Eingriff“ Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 99 Eingriff unproblematisch, daher nur Ergebnissatz Definition „allgemeine Gesetze“ Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 366 Wechselwirkungslehre kann hier schon erwähnt werden, hat eigentlichen Anwendungsbereich aber erst in der Angemessenheitsprüfung. Ausnahme vom Gebot der Meinungsneutralität („Wunsiedel-Entscheidung“ - BVerfG, Beschluss vom 4.11.2009, 1 BvR 2150/08, Rn 64 ff., RA 2009, 693, 699) Affirmation = Zustimmung Für eine Klausur ist das zu wenig, es muss umfangreicher begründet werden (s. dazu die Ausführungen in der „Wunsiedel-Entscheidung“). [20] Die Äußerungen, die der Verurteilung zu Grunde gelegt wurden, unterfallen als mit diffusen Tatsachenbehauptungen vermischte Werturteile dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht die auf der Webseite des Beschwerdeführers veröffentlichten, von einem Dritten gemachten Äußerungen diesem zugerechnet hat.“ Demnach ist der Schutzbereich des Art. 5 I 1 1. Hs. GG eröffnet. Weiterhin muss ein Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit vorliegen. Das ist der Fall, wenn dem Einzelnen durch ein staatliches Handeln ein Verhalten ganz oder teilweise unmöglich gemacht wird, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt. „[21] In der Bestrafung wegen der Verbreitung des streitgegenständlichen Textes liegt ein Eingriff in dieses Grundrecht. […]“ Somit liegt ein Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit vor. II. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn er durch die Schranken des Grundrechts gedeckt ist. 1. Festlegung der Schranke Fraglich ist, welche Schranke für das Grundrecht aus Art. 5 I 1 1. Hs. GG gilt. In Betracht kommt der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 5 II GG. Danach findet die Meinungsfreiheit ihre Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Hier könnte die Schranke der allgemeinen Gesetze einschlägig sein. Allgemeine Gesetze sind solche Bestimmungen, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines höherrangigen Rechtsguts dienen, also dem Schutz eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat. Dabei hat das einschränkende Gesetz seinerseits die besondere Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 I 1 1. Hs. GG zu beachten, das für einen demokratischen Rechtsstaat geradezu konstituierend ist und somit eines der vornehmsten und wichtigsten Grundrechte darstellt. Das begrenzende Gesetz wird also wiederum begrenzt durch die hohe Wertigkeit der Meinungsfreiheit (sog. Wechselwirkungslehre). Jura Intensiv „[21] […] Die Eingriffsgrundlage liegt in § 130 Abs. 3 und 5 StGB, […]. Dass § 130 Abs. 3 StGB kein allgemeines Gesetz ist, sondern spezifisch nur Äußerungen zum Nationalsozialismus unter Strafe stellt, steht der Verurteilung […] nicht entgegen. Als Vorschrift, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewaltund Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 gerichtet ist, ist sie von der formellen Anforderung der Allgemeinheit, wie sie sonst nach Art. 5 Abs. 2 GG gilt, ausgenommen.“ Somit liegt eine Schranke der Meinungsfreiheit in Gestalt des § 130 III, V StGB vor. 2. Schranken-Schranken Die grundrechtseinschränkende Staatsgewalt unterliegt ihrerseits gewissen Begrenzungen, den sog. Schranken-Schranken. D.h. § 130 III, V StGB und die darauf basierende Verurteilung müssen verfassungsgemäß sein. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2018 Öffentliches Recht 539 a) Verfassungsmäßigkeit des § 130 III, V StGB aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit § 130 III, V StGB ist formell verfassungsgemäß. bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit In materieller Hinsicht ist allein die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips fraglich, konkret die Angemessenheit des § 130 III, V StGB. „[23] § 130 Abs. 3 StGB ist auf die Bewahrung des öffentlichen Friedens gerichtet. […] Insoweit kommt eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB in allen Varianten - und damit auch in der Form des Verharmlosens - nur dann in Betracht, wenn hiervon allein solche Äußerungen erfasst werden, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden im Sinne der Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu gefährden. Soweit sich dies aus den übrigen Tatbestandsmerkmalen selbst nicht eindeutig ergibt, ist die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen. Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, erscheint dies für den Fall der Verharmlosung geboten. [24] Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ergeben sich an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nähere Anforderungen. [25] Ausgangspunkt ist die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit. Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 GG dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. […] [26] Danach ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen […] gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht. Jura Intensiv [27] Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. […]“ Unproblematisch, daher Ergebnissatz In einer Klausur wäre das legitime Ziel, die Geeignetheit und Erforderlichkeit vorab kurz anzusprechen, sie sind hier aber unproblematisch. Eignung einer Verharmlosung zur Störung des öffentlichen Friedens i.S.v. § 130 III StGB muss separat festgestellt werden. Verfassungskonforme des § 130 III StGB Auslegung Zur nachfolgenden Grenzziehung zwischen Straflosigkeit und Strafbarkeit einer Äußerung: BVerfG, Beschluss vom 4.11.2009, 1 BvR 2150/08, Rn 72 ff. („Wunsiedel- Entscheidung“) Straflos: Vergiftung des geistigen Klimas Strafbar: Aufruf zur Gewalt © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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