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RA Digital - 10/2018

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540 Öffentliches Recht

540 Öffentliches Recht RA 10/2018 In dieser einschränkenden Auslegung genügt § 130 III, V StGB den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und ist somit verfassungsgemäß. In einer Klausur sollte hier das Stichwort „Wechselwirkungslehre“ fallen, also der besondere Wert der Meinungsäußerungsfreiheit betont werden. Strafgerichte haben § 130 III StGB nicht verfassungskonform ausgelegt und angewendet Beachte: In einer Klausur ist eine genaue Auseinandersetzung mit den streitgegenständlichen Äußerungen geboten! Strafgerichte haben Aufruf zur Gewalt nicht hinreichend begründet Das BVerfG betont in seiner Entscheidung ausdrücklich, dass die fehlende Strafbarkeit nicht bedeutet, dass die umstrittenen Äußerungen inhaltlich akzeptabel sind. Man könne ihnen aber nicht durch Verbote, sondern nur in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegentreten. b) Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts Die streitgegenständliche Verurteilung muss dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unter Beachtung der aufgezeigten verfassungskonformen Auslegung des § 130 III, V StGB genügen. Fraglich ist insoweit die Angemessenheit der gerichtlichen Entscheidungen. „[28] […] Das Vorliegen der Eignung einer Störung des öffentlichen Friedens begründet das Landgericht in erster Linie damit, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werde und die Äußerungen als Ausdruck unerträglicher Missachtung wirkten. Damit wird aber in der Sache nicht mehr als eine Vergiftung des geistigen Klimas und eine Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung geltend gemacht, die die Friedlichkeitsschwelle noch nicht erreicht. Nichts anderes gilt für die nicht näher substantiierte, ersichtlich allein auf den rechtsgerichteten Inhalt der Äußerungen abstellende Behauptung, dass die Äußerung geeignet sei, das Miteinander verschiedener Bevölkerungsgruppen zu beeinträchtigen. […] [29] Die Störung des öffentlichen Friedens ergibt sich auch nicht mittelbar aus den fachgerichtlichen Würdigungen der Äußerungen selbst. Das Landgericht stellt insoweit fest, dass mit den Äußerungen die Gewalttaten des NS-Regimes relativiert und bagatellisiert würden. Dabei wirft das Gericht dem Beschwerdeführer nicht vor, dass hierdurch Aggressivität geschürt und die Gewaltherrschaft oder Verbrechen des Nationalsozialismus gegen die Menschlichkeit gebilligt oder geleugnet würden. Abgestellt wird vielmehr auf eine einseitig beschönigende Darstellung des Nationalsozialismus. […] Hiermit wird das Erreichen der Schwelle einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne der Infragestellung der Friedlichkeit der Auseinandersetzung […] nicht dargetan. […]“ Jura Intensiv Damit genügen die gerichtlichen Entscheidungen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Art. 5 I 1 1. Hs. GG an eine Verurteilung wegen Volksverhetzung gem. § 130 III Alt. 3, V StGB stellt und verletzen B somit in seiner Meinungsfreiheit. Jüngst erst in NRW und Berlin, 1. Examen, Termin April 2018, 2. Klausur BVerfG, Beschluss vom 22.6.2018, 1 BvR 673/18 FAZIT Die Entscheidung spricht ein Problem an, das immer wieder Gegenstand von Examensklausuren ist, die Strafbarkeit von Äußerungen unter Berücksichtigung der Wertungen des Art. 5 I 1 1. Hs. GG. Stets kommt es bei diesen Klausuren darauf an, den Inhalt der Äußerung ganz genau zu ermitteln. Das zeigt auch eine Parallelentscheidung des BVerfG vom selben Tag, bei der es jedoch nicht um eine Verharmlosung, sondern um die Leugnung des NS-Völkermords ging. Die entsprechende strafrechtliche Verurteilung hatte folgerichtig auch vor dem BVerfG Bestand. Weiterhin setzt das BVerfG seine „Wunsiedel-Rechtsprechung“ fort, d.h. es ist zwischen einer straflosen „inneren Sphäre“ und einer strafbaren „äußeren Sphäre“ zu trennen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2018 Öffentliches Recht 541 Problem: Ausschluss einer NPD-Fraktion von kommunalen Zuwendungen Einordnung: Grundrechte/Kommunalrecht BVerwG, Urteil vom 27.06.2018 10 CN 1/17 EINLEITUNG Bei dem Urteil des BVerwG handelt sich um die Revisionsentscheidung zu dem Urteil des VGH Kassel vom 5.4.2017 (8 C 459/17.N), über das die „RA“ schon berichtet hat (RA 2017, 313). Zu prüfen war der Ausschluss einer Fraktion von finanziellen städtischen Zuwendungen wegen Verfassungswidrigkeit der dahinter stehenden Partei. Prozessual liegt der Sonderfall einer Normenkontrolle im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits vor. SACHVERHALT Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Büdingen in Hessen beschloss am 27.1.2017, ihre Entschädigungssatzung zu ändern, die jährliche Zahlungen an die Fraktionen für den bei der Fraktionsarbeit entstehenden Aufwand vorsieht. Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen sind danach von den jährlichen Zahlungen eines Sockelbetrages in Höhe von 150 Euro und eines weiteren Betrages in Höhe von 40 Euro je Fraktionsmitglied ab 1.2.2017 ausgenommen. Diese Änderung der Entschädigungssatzung wurde am 31.1.2017 von der Stadt Büdingen bekannt gemacht. Gegen die Änderung haben die NPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung (Antragstellerin zu 1) und ihre Mitglieder (Antragsteller zu 2 bis 4) am 1.2.2017 einen Normenkontrollantrag gestellt, gerichtet gegen die Stadt Büdingen. Hat der Antrag Erfolg? [Anm.: Gem. § 15 HessAGVwGO entscheidet der VGH im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO über die Gültigkeit im Range unter dem Landesgesetz stehender Rechtsvorschriften.] LÖSUNG Der Antrag hat Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit des Antrags Jura Intensiv I. Verwaltungsrechtsweg Mangels aufdrängender Sonderzuweisungen richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I 1 VwGO. Da die angegriffene Satzungsänderung ein Hoheitsakt ist, liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Einschränkend verlangt § 47 I VwGO allerdings, dass der VGH im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit entscheiden muss. Das bedeutet, die Antragsteller müssen eine Norm angreifen, deren Vollzug von den Verwaltungsgerichten zu kontrollieren ist. Das ist hier der Fall. Weiterhin ist die Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art, sodass die Anforderungen des § 40 I 1 VwGO erfüllt sind. Da schließlich keine abdrängenden Sonderzuweisungen greifen ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. LEITSÄTZE 1. Bei verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollen betreffend kommunalverfassungsrechtliche Vorschriften sind kommunale Organe und Organteile entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, wenn die angegriffene Vorschrift ein ihnen selbst zugewiesenes organschaftliches Recht zum Gegenstand hat und dies durch die Geltung der Norm oder deren Vollzug verkürzt wird. Eine nachteilige Betroffenheit durch faktische Auswirkungen normativer Eingriffe in die Rechte anderer Organe oder Organteile begründet keine Antragsbefugnis. 2. Kommunale Fraktionen, die aus Vertretern verfassungsfeindlicher Parteien oder Vereinigungen bestehen, durften gemäß Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 2 GG a.F. und Art. 9 Abs. 2 GG nicht deswegen von Zuwendungen zur Fraktionsgeschäftsführung ausgeschlossen werden. Auch nach derzeitigem Verfassungsrecht (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 2 bis 5 GG) ist eine an dieses Kriterium anknüpfende Benachteiligung bei der Verteilung kommunaler Fraktionszuwendungen nicht zulässig. Die Stadtverordnetenversammlung in Hessen entspricht dem Gemeinderat/Stadtrat in anderen Bundesländern. Wegen des Wortlauts des § 47 VwGO heißt es „Antrag“ und nicht „Klage“. Das ist in einer Klausur strikt zu beachten (vgl. Kues/ Schildheuer, JURA INTENSIV, VerwaltungsprozessR, Rn 298). Kues/Schildheuer, JURA INTENSIV, VerwaltungsprozessR, Rn 300 Hintergrund: VGH soll nicht die Gerichte anderer Gerichtszweige für Streitigkeiten präjudizieren, für die diese im konkreten Streitfall zuständig sind. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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