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RA Digital - 10/2019

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534 Öffentliches Recht

534 Öffentliches Recht RA 10/2019 Problem: Zutritt zu einer Einwohnerversammlung Einordnung: Kommunalrecht OVG Bautzen, Urteil vom 11.06.2019 4 A 469/18 LEITSÄTZE 1. Der Presse steht aus Art. 5 Abs. 2 S. 1 und 2, Art. 20 Abs. 1 S. 1 und 2 SächsVerf das Grundrecht zu, sich aus allgemein zugänglichen Quellen Informationen zu verschaffen. 2. Einwohnerversammlungen nach § 22 SächsGemO sind anders als Gemeinderatsitzungen nicht öffentlich, sondern nur beschränkt auf die Einwohner „öffentlich“, nicht aber „presse-öffentlich“. 3. Zu einer Einwohnerversammlung können „Sachkundige“ zum Thema zugelassen werden, ohne dass diese damit öffentlich wird. Informations- und Pressefreiheit EINLEITUNG Das Urteil des OVG Bautzen beschäftigt sich mit der oftmals gestellten Frage, zu welchen Veranstaltungen der Presse Zutritt gewährt werden muss, damit sie davon berichten kann. Das betraf in der Vergangenheit z.B. Parteiveranstaltungen oder Gerichtsverfahren, wohingegen es im vorliegenden Fall um eine Einwohnerversammlung geht. SACHVERHALT Die Stadt Burgstädt in Sachsen führte am 27.1.2016 eine Einwohnerversammlung zu dem Thema „Aufnahme von Flüchtlingen“ durch. Zutritt wurde grundsätzlich nur den Einwohnern der Stadt gewährt. Eingeladen waren zudem aber auch die Leiter der örtlichen Schulen und Kindertagesstätten sowie der Diakonie, der Pfarrer, ein Vertreter der Polizei, Bürgermeister von Nachbargemeinden sowie eine Vertreterin der Jugendmigrationshilfe. Pressevertretern wurde der Zutritt hingegen verwehrt und stattdessen ein Pressegespräch mit dem Bürgermeister am 28.1.2016 angeboten. Journalistin J, Lokalredakteurin einer Tageszeitung, hält das Vorgehen der Stadt für rechtswidrig. Sie ist der Meinung, ihr hätte die Teilnahme an der Einwohnerversammlung ermöglicht werden müssen, zumal sie ja auch von den Sitzungen des Gemeinderates berichten dürfe. Ist die Rechtsansicht der J zutreffend? LÖSUNG Die Rechtsansicht der J ist zutreffend, wenn sie einen Anspruch auf Zugang zu der Einwohnerversammlung hatte. Jura Intensiv I. Anspruchsgrundlage Dieser Anspruch könnte sich aus dem Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 Hs. 2 GG) und der Pressefreiheit (Art. 5 I 2 Fall 1 GG) ergeben. II. Anspruchsvoraussetzungen Schutzbereich/geschütztes Verhalten: Zugangsanspruch nur bei Informationsquellen, die der Allgemeinheit zugänglich sind (vgl. Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 333, 341) Öffentliche Zugänglichkeit aufgrund rechtlicher Vorgaben? „Das Grundrecht der Informationsfreiheit […] und der Pressefreiheit […] gewähren der Presse den Zugang zu einer Veranstaltung nicht grundsätzlich anders als den Bürgern allgemein. Zu deren Schutzbereich gehört kein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle. Die Grundrechte gewährleisten nur das Recht, sich ungehindert aus einer schon für die Allgemeinheit zugänglichen bestimmten Quelle zu unterrichten. […] Das Grundrecht umfasst ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf Zugang in Fällen, in denen eine im staatlichen Verantwortungsbereich liegende Informationsquelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den Zugang aber verweigert. […]“ Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2019 Öffentliches Recht 535 Das wirft die Frage auf, ob eine Einwohnerversammlung kraft rechtlicher Vorgaben öffentlich zugänglich ist. Diese rechtlichen Vorgaben normiert § 22 SächsGemO. Entscheidend: § 22 SächsGemO „Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine Einwohnerversammlung nach § 22 Abs. 1 SächsGemO keine öffentliche Veranstaltung. Dies folgt schon aus dem in Satz 1 der Norm genannten Zweck der Einwohnerversammlung, wonach allgemein bedeutsame Gemeindeangelegenheiten mit den Einwohnern erörtert werden sollen. Einwohner ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO jeder, der in der Gemeinde wohnt. […] Die Einwohnerversammlung stellt als Mittel der direkten Kommunikation zwischen Bürgermeister, Gemeinderat, -verwaltung und Einwohnerschaft eine unmittelbare Form der Information der Einwohner einerseits und deren unmittelbaren Beteiligung andererseits dar. […] Anders als die Gemeinderatssitzung, die nach § 37 Abs. 1 Abs. 1 SächsGemO grundsätzlich öffentlich ist, […] ist die Einwohnerversammlung damit nur beschränkt auf die Einwohner öffentlich. Der Öffentlichkeitsgrundsatz der Gemeinderatssitzung, der sich auf das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Demokratieprinzip zurückführen lässt […], gilt für die Einwohnerversammlung nicht. Denn das Öffentlichkeitsprinzip unterwirft nur die kommunale Vertretung der allgemeinen Kontrolle von außen, indem es dem Bürger die Möglichkeit gibt, Einblicke in die Tätigkeit seiner Vertretungskörperschaft im Ganzen, aber auch der einzelner gewählter Vertreter zu nehmen. Die Öffentlichkeit soll einer unzulässigen, demokratisch nicht legitimierten Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Vertretung vorbeugen und eine auf Gesetzen beruhende und sachorientierte Arbeit fördern. Diese Zweckrichtung ist bei der Einwohnerversammlung sachlich nicht erforderlich. Für die Gemeinderatsmitglieder folgt ihre Verpflichtung, sich öffentlich darzustellen, schon daraus, dass die demokratische Kontrolle nur funktionieren kann, wenn die einzelnen Positionen im Rahmen der Auseinandersetzung sichtbar gemacht werden, um sie für die Öffentlichkeit verständlich nachvollziehbar und damit auch kontrollierbar zu gestalten. Dagegen sind die Teilnehmer einer Einwohnerversammlung nicht gehalten, sich öffentlich zu den von ihnen vertretenen Auffassungen bekennen zu müssen. Denn sie sind keine gewählten Mitglieder und damit Organteile der Gemeinde, sondern nehmen aus privatem Interesse an der Versammlung teil, um Informationen zu erhalten. Das Argument, dass der besondere Charakter der Einwohnerversammlung es bei der Vielzahl von teilnehmenden Einwohnern, die keiner Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen, es nicht zulasse, in diesem Rahmen Angelegenheiten zu verhandeln, die nach § 37 SächsGemO nichtöffentlich zu behandeln wären, so dass Ortsfremde problemlos zugelassen werden könnten, trägt nicht, weil es den Zweck der Einwohnerversammlung verkennt. Während in der Gemeinderatssitzung Entscheidungen behandelt, beraten und getroffen und Beschlüsse gefasst werden, dient die Einwohnerversammlung neben der Information und dem Meinungsaustausch - wenn überhaupt - lediglich dazu, Vorschläge und Anregungen an den Gemeinderat heranzutragen, […]. Jura Intensiv Zweck des § 22 SächsGemO: Information und Austausch mit den Einwohnern Abgrenzung zu den öffentlichen Gemeinderatssitzungen (in Brandenburg, Bremerhaven und Hessen lautet die Bezeichnung „Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung“) Grund für Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen • Ratsmitglieder müssen für ihre Positionen und Entscheidungen öffentlich einstehen. Das gilt für Teilnehmer einer Einwohnerversammlung nicht. Quecke u.a., SächsGemO, § 22 Rn 6 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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