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RA Digital - 10/2021

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518 Zivilrecht

518 Zivilrecht RA 10/2021 Problem: Keine Realisierung der Betriebsgefahr bei bloßer Anwesenheit Einordnung: Deliktsrecht LG Darmstadt, Urteil vom 12.08.2021 29 O 312/20 (leicht abgewandelt) LEITSATZ DER REDAKTION Der Halter eines Kraftfahrzeugs (Kfz) haftet dem Opfer einer Rechtsgutsverletzung, die aus einem Verkehrsunfall mit dem Kfz resultiert, aus § 7 I StVG, wenn sich die Betriebsgefahr des Kfz im Kausalverlauf realisiert hat. Hierzu muss das Kfz durch die Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben. Die bloße Anwesenheit am Unfallort reicht nicht aus. Wir haben im Vergleich zum Originalfall Änderungen im Sachverhalt vorgenommen. Die Geldbeträge wurden aufgerundet, um den Lesefluss nicht zu stören. Die Gesamtschuldnerproblematik haben wir entfernt, weil sie mit dem Kernproblem des Falles nichts zu tun hat. Im Originalfall war B die Beklagte zu 2. Ihre Haftpflichtversicherung wurde in einfacher Streitgenossenschaft als Beklagte zu 1 mitverklagt. Wichtigstes und zugleich schwierigstes Merkmal: Realisierung der Betriebsgefahr im Kausalverlauf EINLEITUNG Der Halter eines Kraftfahrzeugs haftet aus § 7 I StVG nur, wenn sich die Betriebsgefahr des Kfz im Kausalverlauf realisiert hat. Dieses Merkmal wird sehr weit ausgelegt. Die vorliegende Entscheidung des LG Darmstadt offenbart, wo Gerichte die Grenzen ziehen. SACHVERHALT B befuhr mit ihrem Auto, dessen Halter sie ist, den rechten Fahrstreifen auf der Autobahn, als sie von einem auf der mittleren Spur fahrenden Sattelzug überholt wurde. Aufgrund eines Spurwechsels des Sattelzuges rammte dieser das Auto der B, welches dadurch gegen das Fahrzeug der K geschleudert wurde. K wurde dadurch schwer verletzt, an ihrem Fahrzeug entstand ein Totalschaden. Von B fordert sie die Zahlung von 2.000 € für ihre materiellen Schäden (u.a. Höherstufung in der Versicherung) sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 €. Sie meint, aus dem plötzlichen Spurwechsel sei zu schließen, dass B versucht habe, den Sattelzug rechts zu überholen. B beruft sich darauf, dass die Kollision für sie unvermeidbar war. Zu Recht? LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.000 € gem. § 7 I StVG K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.000 € gem. § 7 I StVG haben. Jura Intensiv I. Rechtsgutsverletzung Dann muss ein von § 7 StVG geschütztes Rechtsgut der B verletzt worden sein. Hier liegt eine Körperverletzung sowie die Beschädigung einer Sache der B vor. II. Halter eines Kraftfahrzeuges Der Anspruchsgegner muss Halter eines Kraftfahrzeugs sein. Das Auto der B ist ein Landfahrzeug i.S.d. § 1 II StVG, das mit Maschinenkraft betrieben wurde und nicht an Bahngleise gebunden ist. B ist lt. Sachverhalt Halter dieses Fahrzeugs. III. Kausalität Aus der Formulierung „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ ist zu schließen, dass sich die Betriebsgefahr des Autos der B im Kausalverlauf realisiert haben muss. Dies ist, weil das Fahrzeug durch Fremdeinwirkung gerammt und dadurch auf das Auto der K geschleudert wurde, fraglich. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2021 Zivilrecht 519 [19] Eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG kommt zwar grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall nur mittelbar durch ein anderes Kraftfahrzeug verursacht wurde. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle hierfür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben. (...) Erforderlich ist darüber hinaus, dass das Schadensereignis dem Betrieb des Kfz nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden kann (...). Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings hängt die Haftung gem. § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird und will daher alle durch den Kfz-Verkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. [20] Vorliegend ist nicht ersichtlich, inwieweit die Beklagte zu 2 durch ihre Fahrweise den Fahrstreifenwechsel des Sattelzuges und somit die daran anschließende Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin zu 1 verursacht haben soll. [21] Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sowie nach den Umständen im konkreten Fall ist nicht anzunehmen, dass der Spurwechsel auf die rechte Spur durch den Fahrer des Sattelschleppers dadurch verursacht wurde, dass die Beklagte zu 2 mit ihrem Fahrzeug versuchte, den Sattelschlepper von rechts zu überholen. Zweifelhaft ist bereits, ob ein Überholvorgang durch die Beklagte zu 2 überhaupt durchgeführt wurde. Jedenfalls wäre eine Kollision beider Fahrzeuge aber unvermeidbar gewesen, so dass mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht ersichtlich ist, dass der Fahrer des Sattelschleppers durch das Fahrverhalten der Beklagten zu 2 zu dem auch für ihn gefährlichen Spurwechsel motiviert worden sein soll. [22] Die Beklagte zu 2 musste aus diesem Grund auch nicht damit rechnen, dass der Fahrer des Sattelschleppers trotz ihrer Anwesenheit auf der rechten Spur einen Spurwechsel vornehmen würde, der zu einer Kollision beider Fahrzeuge führen würde. [23] (...) Davon, dass die Kollision zwischen den Parteien somit durch eine Unachtsamkeit der Beklagten zu 2 verursacht worden sein soll, ist das Gericht auch bei Wahrunterstellung bestrittener Tatsachen zu Gunsten der Klägerinnen nach der Indizienlage nicht überzeugt. [24] Vielmehr wäre davon auszugehen, dass der Fahrer des Sattelzuges die Kollision alleine verursacht hat. Bei einem Unfall im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Jura Intensiv Die bloße Anwesenheit des Unfallfahrzeugs am Unfallort reicht nicht. Nötig ist eine irgendwie geartete Beeinflussung des Verkehrs. Zur Annahme der Realisierung der Betriebsgefahr muss ein sachlicher, örtlicher und zeitlicher Kausalzusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung bestehen. Grund der Halterhaftung Vom Kfz muss eine über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinausgehende Gefahr ausgegangen sein. Die Klägerin behauptet, der Sattelzug sei durch ein Überholmanöver der B auf der rechten Spur zu einem Spurwechsel auf ebendiese rechte Spur motiviert worden. Diese abenteuerlich klingende These – es heißt ja nichts anderes, als dass der Sattelzugfahrer dahin fährt, wo das Hindernis oder die Störung herkommt – überzeugt das LG Darmstadt nicht so recht. Anscheinsbeweisgrundsätze © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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