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RA Digital - 11/2017

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580 Referendarteil:

580 Referendarteil: Zivilrecht RA 11/2017 Wertpapieren und Finanzinstrumenten unzweifelhaft keine sichere und zur Altersvorsorge geeignete Anlage. Soweit es die erwähnten, mit grafisch unauffälligen Risikohinweisen versehenen Aufklärungsbestätigungen auf den Zeichnungsscheinen betrifft, ist es auch naheliegend, dass der Kläger und die Drittwiderbeklagte diese am Schluss des Beratungsgesprächs in familiärem Vertrauen auf ihren Schwiegersohn „blind“ unterschrieben haben. Die in Anlageberatungsfällen wichtige sog. „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“. Zur ständigen Rechtsprechung lies jüngst BGH, Urteil vom 16.03.2017, III ZR 489/16. Ebenso wie die Vermutung aus § 280 I 2 BGB geht dies mit der Gegenseite heim, wenn sie nichts zur Entkräftung der Vermutung vorträgt oder beweist. Grobe Fahrlässigkeit bedeutet auch hier, die Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen zu haben. Häufig wird in Beratungsfällen darauf verwiesen, der Anleger habe grob fahrlässig gehandelt – und damit die Verjährungsfrist in Gang gesetzt –, indem er irgendwo – im Zeichnungsschein, im Prospekt – angegebene Risikohinweise nicht gelesen habe. Dass es so einfach nicht ist, zeigen die detaillierten Ausführungen des BGH. Konkret zur Nichtlektüre des Emissionsprospekts: BGH, Urteil vom 17.03.2016, aaO und vom 14.05.2012, II ZR 69/12 und des Zeichnungsscheins BGH, Urteil vom 23.03.2017, III ZR 93/16 Hier sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Das Ehepaar wurde vom Schwiegersohn (nicht) aufgeklärt. Soweit dem Kläger und der Drittwiderbeklagten der Nachweis von Beratungsfehlern gelungen ist, besteht für deren Ursächlichkeit für den Anlageentschluss eine auf Lebenserfahrung beruhende tatsächliche Vermutung. Dass der Beklagte zu 2) die Beratungsfehler zu vertreten hat, wird gesetzlich vermutet (§ 280 I 2 BGB). Die Beklagtenseite hat nichts vorgetragen, um diese Vermutungen zu entkräften. Die Ansprüche sind nicht verjährt. Die seitens der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung geht fehl. Denn entgegen der Ausführungen der Beklagtenseite ist die Verjährungsfrist nicht bereits mit Zeichnung der Anlage angelaufen, da der Kläger und seine Ehefrau erst später, nämlich mit deren Realisierung, Kenntnis von den verschwiegenen Anlagerisiken erlangt haben. Eine grob fahrlässige Unkenntnis einzelner Anlagerisiken im Sinne des § 199 I Nr. 2 BGB wird von den Ausführungen der Beklagten nicht getragen. „II.4.a) Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 I Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben. Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, eine schwere Form von „Verschulden gegen sich selbst“ vorgeworfen werden können. Sein Verhalten muss „schlechthin unverständlich“ beziehungsweise „unentschuldbar“ sein.“ Jura Intensiv Entgegen der Auffassung der Beklagten wäre es daher nicht ausreichend, dass der Kläger und die Drittwiderbeklagte die Risikohinweise in dem von ihnen unterschriebenen Beratungsprotokoll auf der letzten Seite des dreiseitigen Zeichnungsscheins nicht gelesen haben. „Die Annahme grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne des § 199 I Nr. 2 BGB kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Anlageinteressent einen ihm überlassenen Emissionsprospekt oder den Text eines ihm nach Abschluss der Anlageberatung zur Unterschrift vorgelegten Zeichnungsscheins nicht gelesen hat. Desgleichen lässt sich weder allgemeingültig sagen, dass das ungelesene Unterzeichnen einer Beratungsdokumentation stets den Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von hieraus ersichtlichen Pflichtverletzungen begründet, noch ist es zutreffend, allgemein grobe Fahrlässigkeit abzulehnen, wenn ein Anleger eine Beratungsdokumentation ungelesen unterschreibt. Vielmehr ist eine umfassende Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich, wie beispielsweise der inhaltlichen Erfassbarkeit und grafischen Auffälligkeit der Hinweise, des Ablaufs und Inhalts des Beratungsgesprächs und des Zeitpunkts der Unterzeichnung der Beratungsdokumentation, der im Zusammenhang damit getätigten Aussagen, Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2017 Referendarteil: Zivilrecht 581 des Bildungs- und Erfahrungsstands des Anlegers oder des Bestehens eines besonderen Vertrauensverhältnisses zum Berater. Der Kontext, in dem es zu der Unterzeichnung der Beratungsdokumentation gekommen ist, darf also nicht ausgeblendet werden.“ Für den seitens des Klägers begehrten entgangenen Gewinn, der nach § 252 BGB zu ersetzen ist, ist nach zu erwartendem Niedrigzinsniveau von einer Verzinsung in Höhe von 2 % p.a. auszugehen. Seitens beider Parteien ist nichts für eine höhere oder niedrigere Summe vorgetragen worden. Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet. Grundsätzlich sind isolierte Drittwiderklagen, die sich ausschließlich gegen bisher unbeteiligte Dritte richten, unzulässig. Allerdings können sie in ganz engen Ausnahmefällen doch zulässig sein. Dies gilt unter anderem dann, wenn – wie vorliegend - die Klageforderung ohnehin bereits Gegenstand des Rechtsstreits ist. Dies begründet zudem die Konnexität i.S.v. § 33 ZPO sowie die Sachdienlichkeit der Widerklage. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I 1, 709 S. 1, 2 ZPO. Für den Kläger und die Drittwiderbeklagte gilt dabei nicht § 100 ZPO, da sie keine Streitgenossen sind, so dass ihnen jeweils isoliert gegenüber den Beklagten ein Kostenerstattungsanspruch zusteht. Auch die Beklagten haften nicht nach § 100 IV ZPO gesamtgeschuldnerisch, da nur die Beklagte zu 1) Widerklage erhoben hat. FAZIT Der Fall fällt nicht nur wegen der besonderen persönlichen Konstellation – beklagter Schwiegersohn – als Beratungshaftungsfall aus dem Rahmen. Ein derart dünner Vortrag der Beklagtenseite kommt nicht häufig vor. Deshalb eignet sich dieser Fall besonders gut zum Erlernen der Problematik und damit auch als Examensklausur. Jura Intensiv 2 % p.a. erscheinen gering. Mehr als 2 % sind aber beim aktuellen Niedrigzinsniveau nicht zu erwarten, BGH, Urteil vom 26.02.2013, XI ZR 345/10, Rn 47 ff. und vom 22.10.2015, III ZR 265/14, Rn 32. Es handelt sich um eine sog. isolierte Drittwiderklage. Ihre Zulässigkeit ist problematisch, weshalb Ausführungen unbedingt erforderlich sind! Sie ist nur sachdienlich, wenn das Gericht ohnehin über die Forderung entscheiden muss, so wie hier, oder aus dem Grundsatz der Waffengleichheit, wenn die klägerische Forderung abgetreten wurde, um einen Zeugen zu gewinnen. Hier war die Kostenentscheidung ausnahmsweise einmal komplexer. Da weder Kommentierungen noch „Kochbücher“ etwas zu dieser Konstellation besagen, können Sie bereits punkten, wenn Sie die Probleme ansprechen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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