Aufrufe
vor 6 Jahren

RA Digital - 11/2017

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Entscheidung
  • Stgb
  • Strafrecht
  • Urteil
  • Recht
  • Auflage
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

586 Nebengebiete

586 Nebengebiete RA 11/2017 SACHVERHALT Der Kläger war seit dem Jahr 2001 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er war zuletzt in Dortmund eingesetzt. Zwischen den Parteien war in den Jahren 2013/14 ein Kündigungsrechtsstreit anhängig, der zugunsten des Klägers ausging. Im März 2014 lehnten Mitarbeiter des ehemaligen Teams des Klägers eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ab und begründeten dies damit, dass der Kläger als unkollegial und unkooperativ gelte, er teamübergreifende Aufgaben ignoriert und fehlerhaft ausgeführt und die Regelungen zur Vertrauensgleitzeit stark missbraucht habe. Anfrageverfahren zur Vereinheitlichung der Rspr.: 10. Senat fragte an beim 5. Senat Wäre der 5. Senat bei seiner bisherigen Rechtsauffassung geblieben, hätte der 10. Senat die Sache zur Entscheidung dem Großen Senat des BAG vorlegen müssen. Mit Schreiben vom 23. Februar 2015 teilte die Beklagte dem Kläger daher mit, dass sie ihn unter Bezugnahme des arbeitsvertraglich vereinbarten Direktionsrechts für die Zeit vom 16. März 2015 bis zum 30. September 2015 am Standort Berlin einsetzen werde. Sie begründete ihre Versetzung damit, dass das ehemalige Team des Klägers am Dortmunder Standort eine weitere Zusammenarbeit mit ihm ablehne und es an diesem Standort für den Kläger keine anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten gebe. Nachdem der Kläger seine Arbeit am Standort Berlin nicht aufgenommen hatte, mahnte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 26.3.2015 ab. Im April erfolgte eine weitere Abmahnung. Mit Schreiben vom 28.5.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger wollte deshalb u. a. festgestellt wissen, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung vom 23.2.2015 Folge zu leisten. In einem weiteren – noch nicht entschiedenen – Verfahren (BAG 2 AZR 329/16) wendet er sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung. ArbG und LAG haben der Klage, um die es in dem Verfahren vor dem 10. Senat geht, stattgegeben. VEREINHEITLICHUNG DER RECHTSPRECHUNG Der 10. Senat des BAG hat mit Beschluss vom 14. Juni 2017 (Az. 10 AZR 330/16 (A)) beim 5. Senat angefragt, ob dieser an seiner Rechtsprechung zur Verbindlichkeit von Weisungen des Arbeitgebers festhält. Bisher hatte der 5. Senat angenommen, dass ein Arbeitnehmer eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts bis zur gerichtlichen Klärung nach § 315 III 2 BGB befolgen müsse. Der Arbeitnehmer sei aufgrund der mit dem Arbeitsverhältnis einhergehenden Weisungsgebundenheit an die durch die Ausübung des Weisungsrechts erfolgte Konkretisierung u.a. des Inhalts der Arbeitsleistung vorläufig gebunden, bis durch ein rechtskräftiges Urteil die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung feststehe (BAG 22. Februar 2012, 5 AZR 249/11 Rn 24). Jura Intensiv Abweichend von dieser Rechtsprechung sollten nach Ansicht des 10. Senats des BAG unbillige Weisungen durch den Arbeitgeber vom Arbeitnehmer nicht befolgt werden müssen. Auf den entsprechenden Anfragebeschluss hat der 5. Senat des BAG nunmehr mitgeteilt, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festhält und so den Weg für eine Rechtsprechungsänderung des BAG geebnet. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2017 Nebengebiete 587 LÖSUNG Ein Arbeitnehmer muss im Anwendungsbereich des § 106 GewO eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht befolgen, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen vorliegt. Im neuen § 611a I 2 BGB taucht das „billige Ermessen“ nicht auf. Für die Praxis ist die (bevorstehende) Rechtsprechungsänderung des BAG äußerst relevant. Dies gilt schon vor dem Hintergrund, dass – sofern eine einvernehmliche Änderung der Arbeitsbedingungen nicht möglich ist – neben dem Versetzungstatbestand in der Regel nur noch der Ausspruch einer Änderungskündigung in Frage kommt. Der Ausspruch einer Änderungskündigung kann jedoch unter Umständen zu der ungewollten Folge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. Sollte ein Arbeitnehmer bei Unbilligkeit einer ausgesprochenen Weisung nicht dazu verpflichtet sein, zu den geänderten Arbeitsbedingungen tätig zu werden, bedeutet dies vor allem einen deutlichen Rechtssicherheitsverlust für die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers. Alternative Möglichkeiten sollten daher bei Zweifeln über die Billigkeit einer Weisung zukünftig einer sorgfältigen Vorabprüfung unterzogen werden. Damit geht eine Beweislastverteilung zugunsten der Arbeitnehmer einher, da künftig der Arbeitgeber beweisen muss, dass seine Weisung im Rahmen billigen Ermessens erfolgte. Auch in zeitlicher Hinsicht werden Arbeitgeber im Falle einer vom Arbeitnehmer als unbillig zurückgewiesenen Weisung die vorherige Durchführung eines klärenden Gerichtsverfahrens zu berücksichtigen haben, was einer möglichst kurzfristigen Umsetzung einer Weisung entgegensteht. Aber auch auf Seiten des Arbeitnehmers führt dies zur Rechtsunsicherheit. So war vorher die Sachlage eindeutig: Der Arbeitnehmer hatte der Weisung des Arbeitgebers Folge zu leisten, andernfalls verlor er seinen Anspruch auf Vergütung und ggfs. drohte ihm die (außerordentliche) Kündigung seines Arbeitsverhältnisses wegen (beharrlicher) Arbeitsverweigerung. Nun obliegt jedoch dem Arbeitnehmer das Abschätzungsrisiko, wenn er der in Streit stehenden Weisung nicht nachkommen will. Sollte sich nach einer gerichtlichen Klärung herausstellen, dass die Weisung doch nicht unbillig war, so hat er die Konsequenzen zu tragen. Jura Intensiv Bisher galt, dass eine Versetzung im Verhältnis zur Änderungskündigung gem. § 2 KschG das mildere, also vorrangig zu ergreifende, Mittel ist. Es wäre durchaus interessant, darüber nachzudenken, ob sich hieran durch die neue Rspr. etwas ändern könnte. So z.B., wenn der Arbeitgeber auf eine schnelle Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers angewiesen ist. Im Fall einer Änderungskündigung muss der Arbeitnehmer bei einer Annahme unter Vorbehalt bis zur gerichtlichen Klärung zu den neuen Bedingungen arbeiten. Eine Weisung hätte diese Folge im Konfliktfall nach der neuen Rspr. wohl nicht mehr. Wie sich die Verweigerung einer unbilligen Weisung auf die Wirksamkeit einer wegen Nichtbefolgung ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung auswirkt, damit wird sich der 2. Senat im kündigungsschutzrechtlichen Parallelverfahren befassen müssen. Die Entscheidung dieser Thematik bleibt abzuwarten. FAZIT Die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung überzeugt nicht. Eine unbillige Leistungsbestimmung ist nicht nichtig, sondern gem. § 315 III 1 BGB unverbindlich. Deshalb spricht alles dafür, dass sich der Arbeitnehmer im Streitfall nicht über eine unbillige, nicht aus anderen Gründen unwirksame, Weisung einfach hinwegsetzen kann. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats