Aufrufe
vor 6 Jahren

RA Digital - 11/2017

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Entscheidung
  • Stgb
  • Strafrecht
  • Urteil
  • Recht
  • Auflage
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

592 Öffentliches Recht

592 Öffentliches Recht RA 11/2017 Entscheidungen zur Verfassungswidrigkeit der 5%- und 3%-Hürde bei den Europawahlen (BVerfGE 129, 300; 135, 259) geben für Zulässigkeit der Sperrklausel bei der Bundestagswahl nichts her. Keine niedrigere Sperrklausel geboten, da Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers (vgl. Art. 38 III GG) 5%-Hürde stellt Obergrenze dar. Unterhalb dieser Grenze hat der Gesetzgeber weitgehend freie Hand. Überschreiten des gesetzgeberischen Spielraums nicht feststellbar Eventualstimme hat erhebliche Nachteile bzw. begegnet folgenden Bedenken: • Wahl wird komplexer • Eingriff in Erfolgswertgleichheit • Evtl. Zählwertgleichheit betroffen • Unmittelbarkeit der Wahl problematisch. Umfassend zu den Problemen des Eventualstimmrechts: Damm, DÖV 2013, 913, 917ff.; Heußner, LKRZ 2014, 7, 9ff. [76] Die Notwendigkeit einer Neubewertung der Norm ergibt sich ferner nicht aus den Urteilen zur Verfassungswidrigkeit der Fünf- beziehungsweise Drei-Prozent-Sperrklausel bei der Wahl zum Europäischen Parlament, da das Gericht in diesen Entscheidungen ausdrücklich auf die Nichtübertragbarkeit der dortigen Erwägungen, die Unterschiedlichkeit der Interessenlage angesichts des Umstands, dass das Europäische Parlament keine Regierung wählt, die auf fortlaufende Unterstützung angewiesen ist, und vor allem auf die im Bundestagswahlrecht nicht bestehende Möglichkeit hingewiesen hat, im Falle einer Schwächung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments mit einer Korrektur des nationalen Europawahlrechts zu reagieren. [77] Schließlich fordert entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht der Grundsatz des milderen Mittels die Abschaffung oder zumindest die Absenkung der Fünf-Prozent-Sperrklausel. […] verkennt der Beschwerdeführer, dass es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, eigene Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen. […] [79] Entschließt sich der Gesetzgeber zur Einführung einer Sperrklausel, darf er in aller Regel kein höheres als ein Fünf-Prozent-Quorum - bezogen auf das Wahlgebiet - begründen. Innerhalb dieser Grenze unterliegt es aber seiner Entscheidung, wie weit er die Möglichkeit zur Differenzierung ausschöpft. Es steht ihm grundsätzlich frei, auf die Sperrklausel zu verzichten, deren Höhe herabzusetzen oder andere geeignete Möglichkeiten zu ergreifen. Mit der Festlegung der Höhe der Sperrklausel auf 5 % hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet erscheint. Ob auch mit einer niedrigeren Sperrklausel dieses Ziel in gleich geeigneter Weise dauerhaft erreicht werden kann, ist nicht zweifelsfrei feststellbar. […]“ Demnach ist die mit der 5%-Sperrklausel verbundene Beeinträchtigung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit sowie der Chancengleichheit der Parteien gerechtfertigt. Jura Intensiv 2. Eventualstimme Möglicherweise wäre es aber verfassungsrechtlich geboten, die mit der 5%-Sperrklausel verbundene Beeinträchtigung durch die Einführung eines Eventualstimmrechts abzumildern. „Einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Einführung eines Eventualstimmrechts steht […] entgegen, dass dieses zwar einerseits den mit einer Sperrklausel verbundenen Eingriff in den Grundsatz der gleichen Wahl insoweit abzumildern geeignet ist, als sich damit die Zahl der Wählerinnen und Wähler verringern ließe, die im Deutschen Bundestag nicht repräsentiert sind wenn die von ihnen mit der Hauptstimme gewählte Partei an der Sperrklausel scheitert. Andererseits würde die Einführung einer Eventualstimme aber die Komplexität der Wahl erhöhen, so dass eine Zunahme von Wahlenthaltungen und ungültigen Stimmen nicht ausgeschlossen erscheint. Vor allem aber wäre die Eröffnung der Möglichkeit einer Eventualstimme ebenfalls in relevantem Umfang mit Eingriffen in den Grundsatz der Wahlgleichheit, möglicherweise auch der Unmittelbarkeit der Wahl verbunden. Dies gilt hinsichtlich der Erfolgswertgleichheit, Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2017 Öffentliches Recht 593 falls sowohl die Haupt- als auch die Eventualstimme an Parteien vergeben werden, die jeweils die Sperrklausel nicht überwinden. Daneben erscheint die Eröffnung der Möglichkeit einer Eventualstimme aber auch mit Blick auf die Zählwertgleichheit nicht unproblematisch: Während die Stimmen derjenigen, die eine Partei wählen, die die Sperrklausel überwindet, nur einmal gezählt werden, ist dies bei Stimmen, mit denen in erster Priorität eine Partei gewählt wird, die an der Sperrklausel scheitert, nicht der Fall. Vielmehr wären sowohl die Haupt- als auch die Eventualstimme gültig. Die Hauptstimme würde bei der Feststellung des Wahlergebnisses berücksichtigt, wäre im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung relevant und bliebe lediglich bei der Mandatsverteilung ohne Erfolg. Daneben wäre auch die Eventualstimme eine gültige Stimme, die beim Wahlergebnis berücksichtigt und zusätzlich bei der Mandatsverteilung Relevanz entfalten würde. Mit Blick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl kann die Eventualstimme Probleme aufwerfen, weil letztlich andere Wähler darüber entscheiden, für wen eine Stimme abgegeben wird. [82] Vor diesem Hintergrund […] kann das Eventualstimmrecht nicht als zweifelsfrei „gleich geeignetes, milderes Mittel“ zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Parlaments angesehen werden.“ Demnach ist der Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich gezwungen, ein Eventualstimmrecht einzuführen. Folglich stehen die 5%-Sperrklausel und das Fehlen eines Eventualstimmrechts im Einklang mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien. B. Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern Bzgl. des von B gerügten Einsatzes aus staatlichen Mitteln bezahlter Abgeordnetenmitarbeiter zu Wahlkampfzwecken ist fraglich, ob nachweisbar ein Eingriff in die genannten Grundsätze aus Art. 21 I, 38 I 1 GG vorliegt. I. Beschäftigung im Allgemeinen Ein solcher Eingriff könnte möglicherweise bereits aus dem Umstand folgen, dass die Bundestagsabgeordneten auch während eines Wahlkampfs Mitarbeiter beschäftigen dürfen, die aus staatlichen Mitteln bezahlt werden. Schon darin könnte eine Verzerrung des politischen Wettbewerbs zu sehen sein. Jura Intensiv „[88] Zutreffend ist [...] die Beobachtung, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen der Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats und der Betätigung im Wahlkampf nicht in jedem Einzelfall möglich sein wird. Dies gilt beispielsweise für die vom Beschwerdeführer aufgeführten Fälle der Beantwortung von Presse- und Bürgeranfragen in Wahlkampfzeiten oder die Koordination von Veranstaltungen und öffentlichen Terminen. Selbst wenn, wie der Beschwerdeführer vorträgt, die wahlkreisbezogenen Aktivitäten der Abgeordneten und der Umfang der an sie gerichteten Anfragen in Vorwahlzeiten sprunghaft ansteigen, hindert dies den Einsatz der Abgeordnetenmitarbeiter jedoch nicht, soweit im Einzelfall ein hinreichender Mandatsbezug erkennbar vorliegt. Ist dieser gegeben, ist der dienstliche Einsatz des Abgeordnetenmitarbeiters als Unterstützung des Abgeordneten bei der Wahrnehmung seines Mandats nicht zu beanstanden. Daraus sich ergebende Ungleichheiten für die Teilnehmer am politischen Staatlich bezahlte Abgeordnetenmitarbeiter als Wahlkampfhelfer Schon im Ansatz unzulässig? Nein, da nicht alle Tätigkeiten in Wahlkampfzeiten automatisch nur dem Wahlkampf dienen. Es kommt daher stets auf den konkreten Einzelfall an. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats