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RA Digital - 11/2018

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604 Referendarteil:

604 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 11/2018 Derartige Äußerungen erledigen sich typischerweise so kurzfristig, dass gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gebietet daher, im vorliegenden Sachverhalt eine vorläufige Regelung zu treffen, die jedenfalls in zeitlicher Hinsicht die Hauptsache teilweise vorwegnimmt; ein Abwarten auf eine Entscheidung in einem noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren würde für die Antragstellerin unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge haben. Die Pressemitteilung des Antragsgegners zur Beteiligung an den Protestaktionen gegen die Versammlung der Antragstellerin lässt sich nach deren Durchführung zwar noch vom Internetauftritt entfernen, hätte bis dahin aber seine volle Wirkung entfaltet. Anordnungsanspruch Hier: Folgenbeseitigungsanspruch, da es der Antragstellerin nicht nur um Unterlassen einer Äußerung, sondern um die Entfernung bestimmter Inhalte der Pressemitteilung geht. In der Praxis sind nähere Ausführungen zur Herleitung des Folgenbeseitigungsanspruchs (Rechtsstaatsprinzip, § 1004 BGB analog oder Grundrechte) nicht üblich. Antragsgegner war hier nach dem allgemeinen Rechtsträgerprinzip der Kreis. Abgrenzung vom Kommunalverfassungsstreit Rechtswidriger Zustand wegen 1. fehlender Verbandskompetenz des Antraggegners Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Ihr Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren kann sich aller Voraussicht nach auf den ungeschriebenen, richterrechtlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch stützen. Dieser Anspruch entsteht, wenn durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist. Der Anspruch ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein rechtswidriger Verwaltungsakt vorzeitig vollzogen wurde; er gilt bei rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, auch solchen durch schlichtes Verwaltungshandeln (Verwaltungsrealakt). Gerichtet ist der Folgenbeseitigungsanspruch auf die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands; zu beseitigen sind alle der handelnden Behörde zuzurechnenden rechtswidrigen Folgen ihrer Amtshandlungen. Die Voraussetzungen für das Bestehen eines Folgenbeseitigungsanspruchs hat die Antragstellerin hinreichend glaubhaft gemacht. Der Anspruch ist auf Entfernung der streitgegenständlichen Pressemitteilung von der Internetseite des Antragsgegners gerichtet, soweit diese die von der Antragstellerin beanstandeten Passagen umfasst. Er hat damit ein schlichthoheitliches Handeln des Antragsgegners zum Gegenstand. Jura Intensiv Unerheblich ist, dass die veröffentlichte Pressemitteilung auf einen Beschluss des Kreisausschusses zurückgeht, [...]. Im Außenverhältnis zur Antragstellerin muss sich der Antragsgegner aufgrund des allgemeinen Rechtsträgerprinzips das Handeln seiner Organe zurechnen lassen; er allein ist gemäß § 61 Nr. 1 VwGO zweite Alternative beteiligtenfähig. Die kreisverwaltungsinternen Verantwortlichkeiten sind daher im vorliegenden Verfahren nicht weiter zu bewerten. Insofern ist die vorliegende prozessuale Konstellation von kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeiten abzugrenzen, in denen sich die Beteiligungsfähigkeit einzelner Organe oder Organteile aus § 61 Nr. 2 VwGO ergibt. Durch die Veröffentlichung der streitbefangenen Pressemitteilung am 20. August 2018 ist ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, den die Antragstellerin nicht zu dulden hat. Die veröffentlichte Pressemitteilung verletzt schon deshalb geltendes Recht, weil dem Antragsgegner - und damit den für seine Willensbildung und -äußerung verantwortlichen Organen - die erforderliche Verbandskompetenz fehlt, um zur Unterstützung eines im Nachbarlandkreis gebildeten „örtlichen Bündnisses“ Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2018 Referendarteil: Öffentliches Recht 605 bei den geplanten Protestaktionen gegen die von der Antragstellerin angezeigte und vom Nachbarlandkreis als örtlich zuständige Versammlungsbehörde nicht verbotenen Versammlung unter freiem Himmel aufzurufen. Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Reichweite der Zuständigkeit von Kommunen in Selbstverwaltungsangelegenheiten nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes geklärt. Bereits in seinem Urteil vom 30. Juli 1958 – 2 BvG 1/58 – zur Frage der Zulässigkeit von Volksbefragungen hessischer Gemeinden über die Stationierung von Atomwaffen hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, zwar stehe den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung zu; sie seien auch Gebietskörperschaften mit "Allzuständigkeit", insofern als sie sich aller Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft annehmen könnten. Gleichwohl sei diese Zuständigkeit nicht grenzenlos; die Gemeinde sei als hoheitlich handelnde Gebietskörperschaft, soweit ihr nicht Auftragsangelegenheiten vom Staat zugewiesen worden seien, von Rechts wegen darauf beschränkt, sich mit Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zu befassen. Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises seien nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzelten oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug hätten und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden könnten. Im Anschluss [...] hat das Bundesverwaltungsgericht […] wiederholt klargestellt, dass ein kommunaler Amtsträger nur befugt ist, sich im Rahmen seines Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft öffentlich zu äußern. Zur Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleiste der Gemeinde das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. [...] Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes seien diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzelten oder auf sie einen spezifischen Bezug hätten, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam seien, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde beträfen. Die Stellungnahme eines kommunalen Amtsträgers müsse demnach in spezifischer Weise ortsbezogen sein. [...] Jura Intensiv Diese verfassungsrechtlichen Grenzen seines kommunalpolitischen Mandats hat der Antragsgegner mit der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Pressemitteilung verkannt. Ein spezifisch örtlicher Bezug lässt sich weder im Hinblick auf das von der Antragstellerin gewählte Motto ihrer Versammlung [...] begründen, noch ist die Argumentation mit der räumlichen Nähe oder der Nachbarschaft des Versammlungsortes zum Kreisgebiet des Antragsgegners dazu geeignet. Letzteres gibt der Text des fraktions- und gruppenübergreifend gefassten Beschlusses des Kreisausschusses vom 19. Juni 2018 – Drs.-Nr. 0179/2018 – zu erkennen. Einen Anknüpfungspunkt liefert insoweit die darin enthaltene Passage „Leinefelde liegt keine 35 Kilometer Luftlinie und keine Stunde Fahrzeit von Göttingen entfernt“, die auch die hier streitgegenständliche Pressemitteilung enthält. BVerfGE 8, 122 Darlegung der allgemeinen Grundsätze Da für die Kreise als Gemeindeverbände die Grundsätze der gemeindlichen Selbstverwaltung zur Anwendung kommen, gelten die für Gemeinden entwickelten Grundsätze auch für die Kreise. Verbandskompetenz ist nur bei spezifisch örtlichem Bezug gegeben; Kommunen besitzen kein allgemein-politisches Mandat. Definition „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ i.S.v. Art. 28 II 1 GG BVerwG, Urteil vom 13.9.2017, 10 C 6/16, RA 2018, 29, 29f. Subsumtion © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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