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RA Digital - 12/2017

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622 Zivilrecht

622 Zivilrecht RA 12/2017 Unter „Gefälligkeitsmiete“ versteht man die Vereinbarung einer Miete, die erkennbar unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete angesiedelt ist. „II.2. a) [Ein Vertrag], durch den sich jemand verpflichtet, den Gebrauch einer Sache gegen Entrichtung eines Entgelts zu gewähren, [kann sich] rechtlich als Mietvertrag i.S.d. § 535 BGB darstellen. Dies gilt auch dann, wenn das vereinbarte Entgelt sehr niedrig ist, denn die Miete braucht dem Mietwert der Sache nicht zu entsprechen. Vielmehr stellt auch ein weit unter der Marktmiete liegendes Entgelt für den Gebrauch einer Sache eine Miete dar (sog. Gefälligkeitsmiete).“ B bezog das Reihenhaus unmittelbar nach seiner Errichtung mit ihrem damaligen Ehemann. Seitdem wohnt sie dort ohne Zahlung eines über die Neben- und gelegentliche Reparaturkosten hinausgehenden Geldbetrags. Die Abgrenzung zwischen einer Miete, Leihe und sonstiger schuldrechtlicher Nutzungsvereinbarung erfolgt nach dem für die Auslegung von Willenserklärung geltenden Maßstäben. Handelt es sich um Familienangehörige, Nachbarn, Arbeitskollegen oder Freunde muss zur Bestimmung des Rechtsbindungswillens beim Gefälligkeitsvertrag (Leihe, Auftrag, unentgeltliche Verwahrung) eine Abgrenzung zur bloßen außerrechtlichen Gefälligkeit des Alltags, vorgenommen werden, bei der der Rechtsbindungswille fehlt. Gegen ein Gefälligkeitsverhältnis des Alltags und für einen vertraglichen Rechtsbindungswillen spricht die hohe wirtschaftliche Bedeutung. „II.2. b) Ob hierin eine entgeltliche Gewährung des Gebrauchs des Reihenhauses und damit ein Mietvertrag gem. § 535 BGB oder eine unentgeltliche Gestattung des Gebrauchs und damit eine Leihe gem. § 598 BGB, eine sonstige schuldrechtliche Nutzungsvereinbarung (§ 241 BGB) oder gar ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis - ohne Rechtsbindungswillen - zu sehen ist, ist grds. der Auslegung vorbehalten (§§ 133, 157 BGB). Ob eine Erklärung oder ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung zu werten ist, beurteilt sich dabei nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. II.2.c) bb) Die Abgrenzung, ob den Erklärungen der Parteien ein Wille zur rechtlichen Bindung zu entnehmen ist oder die Parteien nur aufgrund einer außerrechtlichen Gefälligkeit handeln, ist unter Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu bewerten. Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist anhand objektiver Kriterien aufgrund der Erklärungen und des Verhaltens der Parteien zu ermitteln, wobei vor allem die wirtschaftliche und die rechtliche Bedeutung der Angelegenheit heranzuziehen sind. Bei Anlegung dieser Maßstäbe liegt hier ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis nicht vor. [K ließ] B und ihre Familie, aufgrund der geschäftlichen und persönlichen Beziehungen zwischen ihnen seinerzeit in sein neu errichtetes Reihenhaus einziehen und sodann über mehr als ein Jahrzehnt wohnen. Auch falls diese Überlassung ohne ein - wie auch immer geartetes - Entgelt erfolgte, sprechen hier die objektiven Umstände, insbesondere die wirtschaftliche Bedeutung der Überlassung von Wohnräumen ohne eine Befristung und die rechtliche Bedeutung für B und ihre Familie hinsichtlich des Hauses als ihres Lebensmittelpunkts bereits gegen die Annahme eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses.“ Jura Intensiv Damit liegt eine vertragliche Bindung zwischen den Parteien vor. Zwischen den Parteien liegt aufgrund der fehlenden Verpflichtung zur Zahlung eines Entgelts kein Mietvertrag gem. § 535 I BGB vor. „II.2.c) cc) Der Abschluss eines Wohnraummietvertrags setzt [jedoch] voraus, dass sich einerseits der Vermieter verpflichtet, Wohnräume dauerhaft und - im Rahmen des sozialen Mietrechts - unter Einschränkung seiner Kündigungsmöglichkeit dem Mieter gegen Zahlung eines Entgelts zu überlassen und dass sich der Mieter im Gegenzug verpflichtet, hierfür Miete zu entrichten. An letzterem fehlt es, wenn erst nach der Überlassung Kostentragungspflichten entstehen. II.2.c) cc) (1) Aufgrund der Angaben der B ist hier weder eine solche Verpflichtung des Eigentümers zur Überlassung des Reihenhauses noch eine im Gegenseitigkeitsverhältnis dazu stehende Verpflichtung der B zur Entrichtung eines Entgelts feststellbar. Unstreitig existiert keine Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2017 Zivilrecht 623 Mietvertragsurkunde, aus der sich die gegenseitigen Verpflichtungen der Parteien ergeben. Auch gibt es keine sonstigen mündlichen Absprachen, aus denen sich eine solche gegenseitige Verpflichtung der Parteien entnehmen lässt. Die vagen Angaben der B zur behaupteten Anschaffung des Reihenhauses mittels „abgezogener“ Provisionen ihres geschiedenen Ehemannes sind ebenfalls nicht geeignet, den Abschluss eines Mietvertrags gem. § 535 BGB zu belegen. Sie lassen bereits offen, ob, falls überhaupt Provisionszahlungen für die Anschaffungskosten verwendet wurden, das Geld als Darlehen oder aus sonstigen Gründen an den Eigentümer geleistet worden wäre. Auch wären hieraus allein noch keine Rückschlüsse auf den Inhalt und die Dauer eines möglicherweise zustande gekommenen Mietvertrags möglich. II.2.c) cc) (2) Es bleibt damit nur der von B vorgetragene Umstand, „sämtliche“ Neben- und Reparaturkosten von Anfang an gezahlt zu haben. Dabei handelt es sich allerdings um einen ambivalent zu beurteilenden Gesichtspunkt, aus dem sich der Abschluss eines Mietvertrags nicht zweifelsfrei entnehmen lässt. Aus der Übernahme der - im Umfang hier darüber hinaus streitigen - Neben- und Reparaturkosten kann ohne nähere Absprachen hierzu nicht auf eine Gegenleistung i.S.d. § 535 I BGB zur Gewährung des (Miet-) Gebrauchs an dem Reihenhaus geschlossen werden. Die Übernahme gelegentlicher Reparaturkosten spricht nicht für eine mietvertragliche Vereinbarung. Denn auch bei der Leihe hat der Entleiher gem. §§ 598, 601 I BGB regelmäßig die der Erhaltung der Sache dienenden Kosten, die den Gebrauch der Sache erst ermöglichen, zu tragen. Die Kosten sind nach dem Leitbild des Leihvertrags gerade von demjenigen zu tragen, dem der Gebrauch der Sache zusteht. Dies wäre hier B. Die Tragung der Reparaturkosten kann daher genauso gut für die Vereinbarung einer Leihe sprechen. Hinsichtlich der Tragung der Betriebskosten hat auch bei der Vereinbarung eines unentgeltliches Wohnungsrechts der Wohnungsberechtigte jedenfalls die verbrauchsabhängigen Kosten wie Strom, Wasser und Heizung zu tragen, ebenso aber auch die anteiligen verbrauchsunabhängigen Kosten der Unterhaltung der Anlagen. Selbst wenn B darüber hinaus verbrauchsunabhängige Betriebskosten (etwa Grundsteuer, Versicherung o.ä.) getragen haben sollte, ließe dies mangels konkreter Abreden den Rückschluss auf den stillschweigenden Abschluss eines Mietvertrags nicht zu. Diese Kosten stellen allenfalls einen geringen Bruchteil des üblicherweise für die mietweise Überlassung eines Reihenhauses zu zahlenden Entgelts dar. “ Jura Intensiv Die Angaben zu „abgezogenen Provisionen“ sind zu ungenau. Sie können auch als Darlehen oder aus sonstigen Gründen an K geleistet worden sein. Die Übernahme der Neben- und Reparaturkosten reicht ebenfalls nicht aus, um auf einen Mietvertrag schließen zu müssen. Entscheidender Aspekt: Entleiher tragen nach dem Leitbild des Leihvertrages gem. §§ 598, 601 BGB regelmäßig die Erhaltungskosten. Zwischen den Parteien liegt kein Mietvertrag gem. § 535 BGB vor. 3. Leihvertrag gem. § 598 BGB Das denkbare Recht zum Besitz des B aus einem Leihvertrag wurde durch Kündigung gem. § 604 III BGB beendet „II.2.c) dd) Die Leihe gem. § 598 BGB kann, wenn keine bestimmte Zeitdauer vereinbart ist, jederzeit gem. § 604 III BGB beendet werden.“ Ein möglicher Leihvertrag wurde aufgrund des Rückgabeverlangens gem. § 604 III BGB beendet. B. Ergebnis K hat gegen B einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe des Reihenhauses gem. § 985 BGB. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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