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RA 04/2019 - Entscheidung des Monats

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216 Strafrecht

216 Strafrecht RA 04/2019 PRÜFUNGSSCHEMA: RAUB, § 249 I StGB A. Tatbestand I. Qualifiziertes Nötigungsmittel II. Fremde bewegliche Sache III. Wegnahme IV. Vorsatz bzgl. I. – III. V. Finalzusammenhang VI. Absicht rechtswidriger Zueignung B. Rechtswidrigkeit und Schuld LÖSUNG A. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB F und S könnte sich dadurch, dass sie N dazu zwangen, ihnen den Standort der Cannabis-Plantage zu verraten, wegen mittäterschaftlichen schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand F und S müssten zunächst den Tatbestand des Grunddelikts, §§ 249 I, 25 II StGB, verwirklicht haben. Gewalt gegen eine Person ist der unmittelbar oder mittelbar auf den Körper des Opfers bezogene, körperlich wirkende Zwang zur Überwindung geleisteten oder erwarteten Widerstands. Sache ist jeder körperliche Gegenstand. Beweglich ist eine Sache, die tatsächlich fortgeschafft werden kann. Fremd ist eine Sache, die zumindest auch im Eigentum einer anderen Person steht. 1. Qualifiziertes Nötigungsmittel Durch die Schläge haben F und S Gewalt gegen eine Person angewendet. Außerdem haben sie dem N angekündigt, ihm die Finger abzuschneiden, sodass auch eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben vorliegt. F und S haben somit qualifizierte Nötigungsmittel angewendet. 2. Fremde bewegliche Sache Die Cannabis-Pflanzen und die technische Ausrüstung, die F und S erbeuten wollten, standen im Eigentum des N und waren somit für F und S fremde bewegliche Sachen. 3. Wegnahme F und S müssten diese Sachen weggenommen, also fremden Gewahrsam daran gebrochen und neuen, nicht unbedingt eigenen, Gewahrsam begründet haben. F und S haben jedoch die Plantage und die begehrten Sachen nicht gefunden und deshalb nichts weggenommen. II. Ergebnis F und S sind nicht strafbar gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB. B. Strafbarkeit gem. §§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB Durch das Erzwingen der Preisgabe des Standorts der Plantage könnten F und S sich aber wegen mittäterschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand S und F müssten zunächst den Tatbestand des Grunddelikts, §§ 253 I, 255, 25 II StGB, erfüllt haben. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2019 Strafrecht 217 1. Qualifiziertes Nötigungsmittel F und S haben qualifizierte Nötigungsmittel angewendet (s.o.). 2. Opferreaktion Die Preisgabe des angeblichen Standorts der Plantage durch N müsste eine tatbestandliche Opferreaktion darstellen. Welche Anforderungen an die Opferreaktion bei den Erpressungsdelikten zu stellen sind, ist streitig. Nach der sog. Spezialitätstheorie genügt als Opferreaktion bei den Erpressungsdelikten – dem Wortlaut des § 253 I StGB entsprechend – jedes Tun, Dulden oder Unterlassen. Die Nennung des angeblichen Standortes der Plantage stellt eine Handlung dar, sodass nach dieser Meinung eine tatbestandliche Opferreaktion des N vorliegt. Die sog. Exklusivitäts- oder Verfügungstheorie verlangt hingegen als Opferreaktion bei den Erpressungsdelikten – aufgrund der strukturellen Verwandtschaft dieser Delikte zu § 263 I StGB – ebenso wie beim Betrug eine Vermögensverfügung des Opfers. Da N einen Standort genannt hat, an dem sich gar keine Plantage befand, hat er durch seine Handlung sein eigenes Vermögen nicht – auch nicht mittelbar – gemindert. Er hat hierdurch nicht einmal eine Gewahrsamsgefährdung bewirkt. Somit liegt keine Vermögensverfügung und damit nach dieser Meinung auch keine tatbestandliche Opferreaktion vor. Zwar ist der Verfügungstheorie zuzugestehen, dass es sich bei den Erpressungsdelikten ebenso wie beim Betrug um Selbstschädigungsdelikte handelt, sodass eine Übertragung der Anforderungen des § 263 StGB an die Opferreaktion auf die §§ 253, 255 StGB nahe liegt. Jedoch übersieht diese Meinung, dass der Begriff der Vermögensverfügung stets eine Freiwilligkeit impliziert, die bei einem unbewussten Selbstschädigungsdelikt wie § 263 StGB unproblematisch ist, bei bewussten Selbstschädigungsdelikten wie §§ 253; 255 StGB aber nicht gegeben sein kann. Schon deshalb überzeugt die Prüfung einer Vermögensverfügung bei den Erpressungsdelikten nicht. Außerdem kann die Verfügungstheorie bei Anwendung von vis absoluta zu Strafbarkeitslücken führen, wenn (z.B. wegen der fehlenden Zueignungsabsicht) keine Strafbarkeit wegen Raubes vorliegt. Denn bei Ausschaltung des Willens des Opfers kann dieses nicht mehr verfügen, sodass nach der Verfügungstheorie auch die Erpressungsdelikte ausscheiden müssen. Der Spezialitätstheorie ist zu folgen. Eine tatbestandliche Opferreaktion liegt vor. 3. Vermögensnachteil Die Nennung der fiktiven Adresse hat nicht zu einer Vermögensminderung bei N geführt (s.o.), sodass auch kein Vermögensnachteil gegeben ist. Vgl. hierzu die Darstellung bei Schumacher/Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht BT I, Rn 374 BGH, Urteil vom 20.04.1995, 4 StR 27/95, NJW 1995, 2799; Krey/ Hell mann/Heinrich, Strafrecht BT II, Rn 433 BeckOK, StGB, § 253 Rn 7; Schönke/ Schröder, StGB, § 253 Rn 8; Rengier, Strafrecht BT I, § 11 Rn 25 ff. Ein Vermögensnachteil liegt vor, wenn der Gesamtwert des Vermögens des Opfers durch die Tat verringert wurde. II. Ergebnis F und S sind nicht strafbar gem. §§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB. C. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II, 22, 23 I StGB Durch das Erzwingen der Preisgabe des Verstecks könnten F und S sich jedoch wegen versuchten schweren Raubes in Mittäterschaft gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben. I. Vorprüfung Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat ist nicht gegeben (s.o.). Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus dem Verbrechenscharakter des Delikts, §§ 250 I, 12 I StGB, i.V.m. § 23 I StGB. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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