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RA 06/2021 - Entscheidung des Monats

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Die Tierhalterhaftung aus § 833 S. 1 BGB gehört zur Gefährdungshaftung. Der BGH musste erstmals entscheiden, ob die Haftungsprivilegierung der Eltern gem. § 1664 I BGB die Tierhalterhaftung eines Elternteils gegenüber dem Kind beschränkt.

290 Zivilrecht

290 Zivilrecht RA 06/2021 Umfang der Aufsichtspflicht Haftungsprivileg der Eltern V ist aufgrund der gemeinsamen Sorge gem. § 1626 I 2 BGB personensorgeberechtigt. Hieraus folgt gem. § 1631 I BGB die Pflicht zur Aufsicht über das Kind. Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen zu verhindern. Das Maß der geschuldeten Aufsicht erhöht sich mit der Gefahrträchtigkeit der konkreten Situation. Hat der Aufsichtspflichtige eine Aufsichtspflicht zu vertreten, haftet er aus § 1664 I BGB auf Schadensersatz. Hierzu ist nötig, dass die eigenübliche Sorgfalt (§ 277 BGB) überschritten wurde. Hier steht fest, dass V bei der Aufsicht diese Grenze der eigenüblichen Sorgfalt nicht überschritten hat. Damit hat V keine Aufsichtspflichtverletzung zu vertreten. Folglich besteht kein Anspruch der K gegen V aus § 1664 I BGB und des Weiteren auch kein Freistellungsanspruch des V gegen die B. Die Abtretung eines solchen Anspruchs ging ins Leere. K hat keinen Anspruch gegen B auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus §§ 398, 1664 I BGB i. V. m. dem Versicherungsvertrag. B. Anspruch der K gegen B auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gem. §§ 398 BGB, § 833 S. 1 BGB i. V. m. dem Versicherungsvertrag K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gem. §§ 398, 833 S. 1 BGB i. V. m. dem Versicherungsvertrag haben. Voraussetzung für einen Anspruch der K gegen die Versicherung B ist auch hier, dass ein Versicherungsfall vorliegt. Der Hund des V ist mit der Tierhalterhaftpflichtversicherung bei B versichert. Zu prüfen bleibt, ob K einen Anspruch gegen V aus Tierhalterhaftung gem. § 833 S. 1 BGB hat. Körperverletzung Definition Tierhalter Definition Tiergefahr I. Rechtsgutsverletzung Der Körper eines Menschen ist geschütztes Rechtsgut im Tatbestand des § 833 S. 1 BGB. Folglich stellt die Körperverletzung der K eine Rechtsgutsverletzung dar. II. Halter eines Tieres Halter eines Tieres ist, wer die Bestimmungsmacht über das Tier hat, aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt, den allgemeinen Wert und den Nutzen des Tieres für sich in Anspruch nimmt und dadurch bestimmt, welcher Dritte den Gefahren des Tieres ausgesetzt wird. Dies ist bei V der Fall. III. Verletzung der tierspezifischen Gefahr im Kausalverlauf Gehaftet wird für die Schadensverursachung durch ein Tier. Dies setzt voraus, dass sich die typische Tiergefahr im Kausalverlauf realisiert hat. Diese liegt in dem der Natur des Tieres entsprechenden unberechenbaren und instinktgemäßen selbstständigen Verhalten des Tieres und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter. Hierzu gehört das im vorliegenden Fall gezeigte Verhalten, spontan und sehr schnell die Richtung zu wechseln, sodass sich die Hundeleine sehr schnell straffen kann. Folglich hat sich die tierspezifische Gefahr realisiert. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2021 Zivilrecht 291 IV. Kein Ausschluss Fraglich ist, ob ein Haftungsausschluss vorliegt. Eine Exkulpation seitens V gem. § 833 S. 2 BGB wäre nur möglich, wenn es sich beim Hund um ein Haustier handeln würde, das als Nutztier gehalten würde. Das wäre ein Tier, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt zu dienen bestimmt ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Fraglich ist aber, ob § 833 S. 1 BGB aufgrund des Haftungsprivilegs des § 1664 I BGB ausgeschlossen ist. Dies würde zum einen voraussetzen, dass diese Privilegierung auf den Gefährdungshaftungstatbestand des § 1664 I BGB durchschlagen würde und zum anderen, dass das Haftungsprivileg keiner Beschränkung unterworfen ist. 1. Durchschlagen des Haftungsprivilegs auf die Tierhalterhaftung Man könnte das Durchschlagen des Haftungsprivilegs des § 1664 I BGB auf die Tierhalterhaftung verneinen, wenn man der Meinung wäre, dass sich der Sinn des § 1664 I BGB darin erschöpft, das innerfamiliäre Miteinander zu regeln. [8] Nach § 1664 Abs. 1 BGB haben die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Diese Privilegierung der Eltern beruht auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind, welche der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleiht (…). Die Haftungsbeschränkung regelt, in welchem Umfang die Eltern bei Ausübung der elterlichen Sorge gegenüber dem Kind haften (…). Daher gilt sie auch für deliktische Verhaltenspflichten zum Schutz der Gesundheit eines Kindes jedenfalls dann, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für die Person des Kindes aufgehen, da ein Ausschluss des § 1664 Abs. 1 BGB in diesen Fällen mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar wäre (…). Darüber hinaus wird durch § 1664 Abs. 1 BGB ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 Satz 1 BGB ausgeschlossen (…) Dies entspricht den Wirkungen einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlägt mit der Folge, dass wegen desselben Verhaltens nach Deliktsrecht keine strengere Haftung stattfindet und nicht nur eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit entfällt, sondern auch die Gefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 BGB (…). Entsprechendes wird für § 1359 BGB angenommen (…). [9] Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht, wenn der Regelungszweck des § 1664 Abs. 1 BGB - wie die Revision meint - allein darin bestünde, das innerfamiliäre Leben möglichst wenig zu stören (…). Der Hinweis der Revision, dass die Eltern der Klägerin getrennt leben, führt nicht weiter, da es sich auch unter diesen Umständen um familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater handelte. Weiter ist entgegen der Ansicht der Revision unerheblich, ob ein innerfamiliärer Konflikt nicht besteht und dass Gegenstand des Rechtsstreits eine - in der Familie einvernehmliche - Auseinandersetzung mit einem Versicherungsunternehmen ist. Denn aus dem von der Revision unterstellten Regelungszweck könnte angesichts des Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1 BGB jedenfalls nicht geschlossen werden, dass das Bestehen (dh die Entstehung und möglicherweise das spätere Entfallen) eines Anspruchs von den späteren, sich möglicherweise Abgrenzung zum Tier i. S. d. § 833 S. 2 BGB Dies ist die Kernfrage des Falles, die der VI. Zivilsenat des BGH erstmals beantwortet: Findet § 1664 I BGB, der ein Verschulden voraussetzt, auf den Gefährdungshaftungstatbestand der Tierhalterhaftung überhaupt Anwendung? Der VI. Zivilsenat des BGH sieht ein Durchlagen der Haftungsprivilegierung auch auf den Gefährdungshaftungstatbestand des § 833 S. 1 BGB, um den Schutzzweck des § 1664 I BGB nicht einzuschränken. Lugani sieht in NZFam 2021, 266 gar ein Stufenmodell des BGH, in dem die Gefährdungshaftung auf der unteren Stufe stehe: Es sei nicht einzusehen, dass Eltern nicht hafteten, wenn das Kind über einen fahrlässig aufgestellten Saugroboter stolpere, hingegen aber haften sollen, wenn das Kind über die sich straffende Hundeleine falle. Auch Wellenhofer stimmt in JuS 2021, 461 zu: Gesetzliche Haftungsbegrenzungen müssten auch auf konkurrierende deliktische Ansprüche durchschlagen, da der besondere Haftungsmaßstab andernfalls durch das Deliktsrecht wieder außer Kraft gesetzt würde. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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