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RA 06/2024 - Entscheidung des Monats

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Bekanntgabe und Zustellung von Verwaltungsakten werfen in Prüfungen immer wieder Probleme auf. Vorliegend musste das OVG Münster klären, ob infolge der Fiktionswirkung des § 41 II 1 VwVfG NRW der Beginn einer Klagefrist auf einem Sonntag liegen kann und welche Anforderungen an die Entkräftung der Fiktionswirkung gem. § 41 II 3 VwVfG NRW zu stellen sind.

314 Öffentliches Recht

314 Öffentliches Recht RA 06/2024 Sinn und Zweck des § 41 II 1 VwVfG NRW: Rechtsklarheit und Verwaltungsvereinfachung Subsumtion Problem: Endet die Dreitagesfiktion an einem Sonntag? Ja (h.M., vgl. Schoch/Schneider, VwVfG, § 41 Rn 87; a.A. Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 41 Rn 133) § 31 III 1 VwVfG NRW und § 31 III 1 VwVfG des Bundes sind identisch. Vgl. Kues/Schildheuer, JURA INTENSIV Skript VerwProzessR, Rn 122; Schoch/ Schneider, VwVfG, § 41 Rn 87 Problem: Anforderungen an die Entkräftung der Fiktionswirkung […] Der Regelung liegt die Annahme zugrunde, dass ein Brief im Bundesgebiet nach allgemeiner Lebenserfahrung innerhalb von drei Tagen übermittelt wird. Inhaltlich hat die Norm einen doppelten Regelungscharakter: Sie enthält ihrem Wortlaut nach zum einen eine gesetzliche Fiktion („gilt“) dahingehend, dass der schriftliche Verwaltungsakt nicht vor dem dritten Tag ab der Aufgabe zur Post zugegangen ist. Zum anderen beinhaltet die Vorschrift - wie § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW zeigt - eine widerlegliche Bekanntgabefiktion. § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW dient damit der Rechtsklarheit insbesondere im Hinblick auf den Beginn von Rechtsbehelfsfristen sowie der Verwaltungsvereinfachung, da der tatsächliche Zugang zumeist nur schwer nachzuweisen ist. Das Eingreifen der Bekanntgabefiktion setzt voraus, dass es sich um einen schriftlichen Verwaltungsakt handelt, der - an die zutreffende Anschrift des Empfängers adressiert - im Inland durch die Post übermittelt wird. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post als Ereignis, das den Lauf der Drei-Tage-Frist auslöst, feststeht. […] Dass der Bescheid am 29. August 2019 zur Post aufgegeben wurde, ergibt sich aus dem Abvermerk im Verwaltungsvorgang sowie der substantiierten Erläuterung der Beklagten hierzu. Sie hat vorgetragen, die zuständige Bereichsleiterin habe den Bescheid am 28. August 2019 gegengezeichnet und den Abvermerk auf den nächsten Tag datiert. An diesem Tag sei der Bescheid zur Post gegangen.“ Folglich gilt der Verwaltungsakt am 01.09.2019 als bekannt gegeben. Fraglich ist allerdings, wie es sich auswirkt, dass der 01.09.2019 ein Sonntag war. „Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich bei diesem Tag um einen Sonntag gehandelt hat. Die Vermutung der Bekanntgabe gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW greift auch dann ein, wenn der für die Bekanntgabe maßgebende dritte Tag nach der Aufgabe zur Post auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt.“ Dafür spricht zum einen, dass § 41 II 1 VwVfG NRW einen Zeitpunkt und keine Frist regelt, sodass § 31 III 1 VwVfG NRW vom Wortlaut her nicht passt. Zum anderen trägt § 31 III 1 VwVfG NRW dem Umstand Rechnung, dass an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen keine Rechtshandlungen gegenüber Behörden und Gerichten möglich sind. Diese Überlegung gilt jedoch nicht für die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts gegenüber dem Adressaten. 2. Ausschluss der Dreitagesfiktion gem. § 41 II 3 VwVfG NRW Gleichwohl könnte die Fiktion der Bekanntgabe des Verwaltungsakts am 01.09.2019 durch § 41 II 3 VwVfG NRW ausgeschlossen sein. Die Kläger tragen in diesem Zusammenhang vor, der Bescheid sei ihnen tatsächlich erst am 04.09.2019 zugegangen. Das wirft die Frage auf, welche Anforderungen an das Vorbringen des Adressaten eines Verwaltungsakts zu stellen sind, um die Fiktionswirkung des § 41 II 1 VwVfG NRW zu entkräften. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2024 Öffentliches Recht 315 „Dabei erfordert das Bestreiten des nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW vermuteten Zeitpunkts der Bekanntgabe - jedenfalls dann, wenn nicht der Zugang an sich, sondern nur dessen Zeitpunkt in Rede steht - die substantiierte Darlegung von Tatsachen, aus denen schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit hervorgeht, dass ein Zugang des Bescheides erst nach dem von § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW vermuteten Zeitpunkt erfolgte. Das bloße Bestreiten, den Bescheid zu dem vermuteten Zeitpunkt erhalten zu haben, genügt in diesen Fällen nicht. Der „Zweifel“ im Sinne § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 VwVfG NRW muss ein berechtigter Zweifel sein. Andernfalls wäre die widerlegbare Vermutung, die auf der Erfahrung des täglichen Lebens beruht, dass eine gewöhnliche Postsendung den Empfänger binnen weniger Tage erreicht, von vornherein sinnlos. Von dem Adressaten kann dabei die substantiierte Darlegung erwartet werden, welche konkreten Vorkehrungen er getroffen hat, um einen zuverlässigen Eingang der an ihn gerichteten Post und eine hinreichende Kontrolle der eingehenden Post zu gewährleisten. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die in seinem Kenntnis- und Einflussbereich liegen. Ausgehend hiervon fehlt es […] an solchen substantiierten, einen abweichenden Geschehensablauf schlüssig aufzeigenden Darlegungen. Weder der […] schlichte Vortrag eines Zugangs am 4. September 2019 […] noch der handschriftliche Vermerk auf der von den Klägern eingereichten Ablichtung des Übersendungsschreibens zum angegriffenen Bescheid „Eingang 4.9.19“, reichen hierfür aus, zumal die erste Zahl überschrieben wurde. Auch lässt sich dem Vermerk „Eingang 4.9.19“ nicht eindeutig entnehmen, ob mit ihm der Zugang im Rechtssinne oder lediglich eine spätere tatsächliche Kenntnisnahme dokumentiert werden sollte. Eine spätere tatsächliche Kenntnisnahme begründet als solche keine Zweifel an dem von § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW vermuteten Tag der Bekanntgabe. Für die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes kommt es nämlich entsprechend § 130 BGB auf den Zugang und damit auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht aber auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Verwaltungsaktes an. Dementsprechend wird nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW der Tag des Zugangs vermutet, nicht aber der Tag der tatsächlichen Kenntnisnahme des Bescheides, und müssen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW Zweifel am Zugang oder an dem Zeitpunkt des Zugangs vorliegen.“ Einfaches Bestreiten genügt nicht, um sich auf einen späteren Zugang berufen zu können, sondern erforderlich ist eine substanziierte Darlegung der konkreten Vorkehrungen zur Kontrolle des Posteingangs. Subsumtion Differenzierung Bekanntgabe •• tatsächliche Kenntnisnahme Demnach bleibt es bei der Anwendung der Dreitagesfiktion des § 41 II 1 VwVfG NRW, sodass der Verwaltungsakt am 01.09.2019 als bekannt gegeben gilt. II. Fristende Die Klagefrist endete demnach gem. § 57 II VwGO i.V.m. § 222 I ZPO i.V.m. § 188 II BGB mit dem Ablauf des 01.10.2019. Folglich wurde die Klage nicht fristgerecht erhoben. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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