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RA 10/2018 - Entscheidung des Monats

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518 Zivilrecht

518 Zivilrecht RA 10/2018 Der Aufbau ist sehr ungewöhnlich. Schulmäßig muss zunächst überprüft werden, ob eine Klausel Bestandteil des Vertrages wurde. Werden Klauselverbote geprüft, erfolgt eine Auslegung der Klausel. Soll ihr Inhalt anhand der §§ 307 ff. BGB überprüft werden, muss zunächst geklärt werden, ob die Inhaltskontrolle gem. § 307 III BGB überhaupt eröffnet ist. Das OLG Dresden setzt sich zuerst ausführlich mit der Frage auseinander, ob der von K veröffentlichte Post eine unter Teil III Ziff. 12 der Nutzungsbedingungen fallende „Hassrede“ darstellt. Eigentlich investiert man 7 Jahre seines Lebens in die Juristenausbildung, um das nicht zu tun, was der Senat hier getan hat. K hat in gebrochenem und fehlerhaftem Deutsch den unsinnigen Text geschrieben, die „Menschenrasse Islam“ passe nicht zur „Europäischen Kultur.“ Der Senat unterstellt K nun, damit gemeint zu haben, Moslems seien nicht zu kulturellen Leistungen fähig, was an einer genetischen Disposition läge. Die weitere juristische Bewertung erfolgt nicht mehr anhand dessen, was K geschrieben, sondern anhand dessen, was dieser nach Interpretation des Senates damit gemeint hat. Davon abgesehen verwendet der Senat den Begriff der Kultur als Ausdruck einer zivilisatorischen Leistung – so sieht es, was weltweit einzigartig ist, nur das deutsche Bildungsbürgertum. Der fehlerhafte Text stammt aufgrund der Fehler erkennbar nicht von einem Bildungsbürger. Sagen deutsche Bildungsbürger „Kultur“, meinen Sie Bildung, Malerei, Architektur, Ballett und Sinfonieorchester. Außerhalb dieser stolzen Gruppe bezeichnet „Kultur“ die Regeln des Zusammenlebens, was man isst und trinkt, wie man sich begegnet, was höflich und unhöflich ist, das Benehmen der jungen zu den alten Menschen sowie der Männer und Frauen untereinander, wer mit wem auf der Hochzeit tanzt und wie man seine Toten beerdigt. Die Nutzungsbedingungen sind AGB. Es folgt die Inhaltskontrolle der Nutzungsbedingungen gem. §§ 307 ff. BGB. II. Rechtmäßige Löschung des Beitrags Die Löschung des Beitrags des K könnte auf einem Verstoß gegen die in den Gemeinschaftsstandards festgelegten Grundsätze zur sog. Hassrede (Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards) i.V.m. Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen beruhen, der die Antragsgegnerin ermächtigt, Verstöße gegen ihre Gemeinschaftsstandards durch Löschung oder Sperrung zu sanktionieren. „[16] Der streitgegenständliche Beitrag stellt einen Verstoß gegen das in Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards geregelte Verbot der Hassrede dar. Die Bezeichnung des Islam als "diese Menschenrasse", die "nicht zur Europäischen Kultur passen [sic]" stellt einen direkten Angriff auf Personen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit i.S.d. Regelung dar. Anders als K meint, ist der Begriff "Menschenrasse" im hier vorliegenden Kontext keinesfalls lediglich eine völlig wertfreie Kategorisierungsmöglichkeit der Humanbiologie. Unabhängig von der dort streitigen Frage, ob es überhaupt charakteristische Großgruppen gibt, die sich anhand spezifischer Merkmale ihres Genoms so unterscheiden, dass hierfür der biologische Begriff "Menschenrasse" Verwendung finden könnte, liegt der den Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards begründende „direkte Angriff“ hier darin, dass dieser biologische Begriff mit der Zugehörigkeit zu einem Glaubensbekenntnis verkoppelt wird. In Verbindung mit der Einschätzung, diese Glaubensrichtung passe nicht zur "Europäischen Kultur" werden dadurch alle Mitglieder jeder islamischen Glaubensrichtung pauschal als minderwertig gegenüber dieser "Europäischen Kultur" eingestuft. Allein "der Islam" wird nämlich mit einer ausschließlich biologischen Klassifikation verbunden, wodurch ihm zugleich jede zivilisatorische Leistung etwa im Bereich Bildung, Malerei, Architektur u. ä. abgesprochen wird. Im Kontrast hierzu steht nach Meinung des Antragstellers die "Europäische Kultur", mit der ein primär soziologischer Terminus aufgegriffen wird, der beim durchschnittlichen Leser den Eindruck eines hochstehenden zivilisatorischen Niveaus erwecken soll. Die Bezeichnung von Muslimen als Angehörige einer "Menschenrasse" enthält darüber hinaus die Unterstellung, diese behauptete Minderwertigkeit hänge mit ihrer einheitlichen genetischen Disposition zusammen und sei damit unveränderlich. Damit wird den Muslimen ihre Individualität abgesprochen. Entmenschlichende Sprache, wie sie hierin zum Ausdruck kommt, definiert indes Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards ebenso als Hassrede wie "Aussagen über die Minderwertigkeit" einer Personengruppe.“ Bei den Nutzungsbedingungen handelt es sich allerdings um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 I BGB. Diese wurden durch die Veröffentlichung auf der Homepage der B wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen. Zu prüfen ist daher, ob die auf Grundlage der Nutzungsbedingungen verhängte Löschung des Beitrages nebst einer 30-tägigen Sperre aufgrund des § 306 BGB unwirksam sind. „[17] Weder die in Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards niedergelegte Definition von "Hassrede" noch die hieran anknüpfende Sanktion in Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen verstoßen gegen § 307 I 2, II BGB, der auch für die Satzungsbestimmungen der B gilt, bei denen es sich nicht um kontrollfreie Leistungsbeschreibungen handelt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2018 Zivilrecht 519 [22] Der Senat verkennt nicht, dass sich das Verbot von Hassrede in Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards auf die Meinungsfreiheit der Nutzer auswirkt. Eine unangemessene Benachteiligung der Nutzer i.S.d. § 307 BGB, die eine Unwirksamkeit dieser Klausel nach sich zöge, liegt hierin indes nicht. [23] Grundrechte verpflichten die Privaten grds. nicht unmittelbar untereinander selbst. Sie entfalten jedoch auch auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung und sind von den Fachgerichten, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen. Die Grundrechte entfalten hierbei ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlen als "Richtlinien" in das Zivilrecht ein. Sie zielen hier nicht auf eine möglichst konsequente Minimierung von freiheitsbeschränkenden Eingriffen, sondern sind als Grundsatzentscheidungen im Ausgleich gleichberechtigter Freiheit zu entfalten. Die Freiheit der einen ist dabei mit der Freiheit der anderen in Einklang zu bringen. Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Diese mittelbare Drittwirkung ist auch bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen. Hieraus wird teilweise abgeleitet, Äußerungen in sozialen Netzwerken, die nach Art. 5 I GG geschützt seien, dürften auch nicht zum Anlass für eine Sperrung oder Löschung genommen werden. Diese Auffassung berücksichtigt indes nicht hinreichend, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegenüber den Grundrechten der Anbieter nicht schlechthin vorrangig ist. Auf Seiten der Anbieter ist namentlich deren "virtuelles" Hausrecht zu berücksichtigen. Es findet seine Grundlage zum einen im Eigentumsrecht des Anbieters, sofern dieser das Eigentum an der Hardware hat, auf der die Beiträge der Nutzer gespeichert werden. Gem. §§ 903 S. 1 Alt. 2, 1004 BGB kann daher der Betreiber jeden anderen von der Nutzung der Hardware durch das Speichern von Inhalten auf dieser abhalten. Hat der Betreiber die Hardware nur gemietet, so kann er aufgrund des Besitzes und seines Rechtes zum Besitz andere von jeder Einwirkung ausschließen, §§ 858, 862 BGB. Zum anderen findet sich die Grundlage eines virtuellen Hausrechts auch darin, dass der Anbieter der Gefahr ausgesetzt ist, als Intermediär für Beiträge anderer zu haften und etwa auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Dem Betreiber muss daher das Recht zustehen, Beiträge zu löschen oder den Zugang zu ihnen zu sperren. Darüber hinaus ist auch die allgemeine Handlungsfreiheit des Anbieters betroffen, auf die sich auch die Antragsgegnerin als juristische Person berufen kann. Grds. gehört es zur Freiheit jeder Person, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie wann unter welchen Bedingungen welche Verträge abschließen will. Ebenso wenig wie eine Zeitung verpflichtet wäre, alle ihr eingesandten Leserbriefe abzudrucken, ist B daher verpflichtet, die Nutzungsbedingungen für ihre Plattform so auszugestalten, dass alle Meinungsäußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle dort verbreitet werden dürften. Zwar verpflichten Grundrechte die Privaten nicht unmittelbar untereinander. Im Wege der mittelbaren Drittwirkung sind sie jedoch bei der Inhaltskontrolle der Generalklausel § 307 I BGB zu berücksichtigen. Das Recht auf Meinungsäußerung kollidiert mit dem virtuellen Hausrecht der Firma Facebook. Speicher sind Sachen. Inhalte werden dort gespeichert. Darstellung der kollidierenden Grundrechte, die im Wege der praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen sind © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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