566 Zivilrecht RA 11/2025Bei der Eigenbedarfskündigung istinnerhalb der gem. §§ 574 ff. BGBgebotenen Interessenabwägungzu berücksichtigen, dass dem Vermieterder Eigentumsschutz zusteht.Jedoch gilt das berechtigte Besitzrechtdes Wohnraummieters alseigentumsähnliches Recht. Dies giltes bei der Interessenabwägung zubeachten, ohne dass das Gerichtseine eigenen Wertmaßstäbe beider Beurteilung zugrundelegt,welche Nutzung durch den Eigentümeres für angemessen hält. DieGerichte sind nicht berechtigt, ihreVorstellungen von angemessenemWohnen verbindlich an die Stelleder Lebensplanung des Vermieters(oder seiner Angehörigen) zu setzen.Die Gerichte prüfen aber, ob der Eigennutzungswunschdes Vermieters vonvernünftigen und nachvollziehbarenGründen getragen ist. Dies verhindertden Rechtsmissbrauch.Diese Argumente brachte der Mieterim Rechtsstreit vor: Die Voraussetzungdes „Benötigens“ lägen nichtvor, weil K ja schon eine ebensolcheWohnung habe, ferner verdecke Kmit der Eigenbedarfskündigung nurseine eigentlichen Verwertungsinteressen,die für eine Kündigung nach§ 573 I 1, 573 II Nr. 3 BGB allerdingsnicht ausreichten.[13] (...) Ein solches berechtigtes Interesse liegt insbesondere vor, wenn derVermieter die Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörigeseines Haushalts benötigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Bei der Auslegungund Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB haben die Gerichtedie in dieser Vorschrift und den Bestimmungen der §§ 574 ff. BGB zumAusdruck kommende Interessenabwägung des Gesetzgebers zwischendem Erlangungsinteresse des Vermieters und dem Bestandsinteressedes Mieters in einer Weise nachzuvollziehen, die dem beiderseitigenEigentumsschutz (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) Rechnung trägt und diebeiderseitigen Belange in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringt. (...).[14] Das Tatbestandsmerkmal des Benötigens erfordert nicht, dass derVermieter oder einer der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannten Angehörigenauf die Nutzung der Wohnung angewiesen ist. (....). Vielmehrbenötigt ein Vermieter eine Mietwohnung bereits dann im Sinne des§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn sein (ernsthafter) Wunsch, die Wohnungkünftig selbst zu nutzen oder nahen Angehörigen zu Wohnzweckenzur Verfügung zu stellen, auf vernünftige und nachvollziehbareGründe gestützt wird. (...). Eine solche Auslegung ist im Hinblick aufdie sowohl dem Vermieter als auch dem Mieter zukommende Eigentumsgarantiedes Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geboten. (...).[15] Danach haben die Gerichte den Entschluss des Vermieters, die vermieteteWohnung nunmehr selbst zu nutzen (...), grundsätzlich zu achtenund ihrer Rechtsfindung zugrunde zu legen. (...). Ebenso haben sie grundsätzlichzu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sichoder seine Angehörigen als angemessen ansieht. (...). Zur Wahrungberechtigter Belange des Mieters dürfen die Gerichte allerdings denEigennutzungswunsch des Vermieters - unter sorgfältiger Würdigung derEinzelfallumstände (...) - darauf überprüfen, ob er ernsthaft verfolgtwird, von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen istoder - etwa weil der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist, dieWohnung die Nutzungswünsche des Vermieters überhaupt nicht erfüllenkann oder der Wohnbedarf in einer anderen (frei gewordenen) Wohnungdes Vermieters ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden kann -rechtsmissbräuchlich ist. (...).Zu prüfen ist, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind. Man könnte nämlichzum einen der Auffassung sein, dass ein Eigenbedarf im Sinne eines „Benötigens“der streitgegenständlichen Wohnung hier gerade nicht vorliegt. Dieaktuellen Wohnverhältnisse des K entsprechen denjenigen in der Wohnung derB und würden sich durch einen Umzug nicht wesentlich ändern. Man könntezum anderen der Auffassung sein, dass K rechtsmissbräuchlich wider Treuund Glauben gem. § 242 BGB handelt, eine Eigenbedarfskündigung für seineeigentlichen Verwertungsinteressen zu nutzen. Hierzu ließe sich anführen,dass, wenn es K nur darum ginge, eine seiner Wohnungen im Sinne von § 573I 1, II Nr. 3 BGB verwerten zu können, die Kündigung auch hierauf gestütztwerden müsste. Dies würde jedoch zum Nachteil des K gereichen, weil dieVoraussetzungen dieses Kündigungsgrundes nicht vorliegen. Die Absicht desK, die derzeit von ihm selbst bewohnte Wohnung mit dem darüber liegendenDachgeschoss baulich zu verbinden und zur Erzielung eines optimalen Verkaufspreisesals gemeinsame, ausgebaute Wohneinheit zu veräußern ist fürsich genommen nicht ausreichend, um den Anforderungen der Vorschriftdes § 573 I 1, II Nr. 3 BGB zu genügen.© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 11/2025Zivilrecht567[17] Indem das Berufungsgericht ohne die erforderliche konkrete Würdigungder Einzelfallumstände die Kündigung des Klägers vom 1. November2021 allein schon aufgrund seines Wunsches, die derzeit von ihmbewohnte Wohnung zu verkaufen, als missbräuchlich angesehen hat,hat es dem aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Recht des Eigentümers,seine Wohnung bei Eigenbedarf selbst zu nutzen oder durch privilegierteAngehörige nutzen zu lassen, nicht hinreichend Rechnung getragen. Diedem Umbau- und dem Verkaufswunsch selbst - nach dem Vortrag desKlägers und den dementsprechenden erstinstanzlichen Feststellungen- zugrunde liegenden Motive des Klägers und seine Lebensplanung hates - was die Revision mit Erfolg rügt - bei seiner Würdigung rechtsfehlerhaftaus dem Blick verloren. Das Berufungsgericht hat damit den Sachverhaltund den Kern des klägerischen Vortrags nicht vollständig ausgeschöpftund insbesondere nicht geprüft, ob der Eigenbedarfswunsch von ernsthaften,vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist.[18] Anders als das Berufungsgerichts offenbar gemeint hat, ist das Nutzungsinteressedes Vermieters - hier des Klägers - hinsichtlich dervermieteten Wohnung auch dann zu respektieren, wenn er denBedarfsgrund willentlich herbeigeführt beziehungsweise selbst verursachthat. (...). Für die in Rede stehende Veräußerung der bisher vomKläger genutzten Wohnung gilt jedenfalls unter den hier gegebenenUmständen nichts Anderes. (...).[19] Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kann das Vorliegen vonEigenbedarf des Klägers auch nicht deshalb verneint werden, weil sich dessenWohnverhältnisse in Bezug auf den Zuschnitt und die Größe der beiden hierin Rede stehenden Wohnungen nicht wesentlich änderten. Damit stellt dasBerufungsgericht Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des Benötigensder Wohnung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, die nach derRechtsprechung des Senats grundsätzlich nicht bestehen. (...).[20] Vor diesem Hintergrund ist (...) die von dem Kläger ausgesprocheneKündigung nicht an den Maßstäben einer Verwertungskündigung nach§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, sondern allein an den Maßstäben einer Eigenbedarfskündigungnach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu messen. Der Anwendungsbereichder Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist schon nichteröffnet, da es dem Kläger im Streitfall nicht darum geht, eine vermieteteWohnung zu verkaufen, und er sich aufgrund eines Mietverhältnisses aneiner angemessenen wirtschaftlichen Verwertung gehindert sieht. (...).Das Berufungsgericht war der Missbrauchsargumentationder B gefolgtund hatte deshalb die Einzelfallabwägungunterlassen. Deshalb prüftees nicht, ob der Eigenbedarfswunschvon ernsthaften, vernünftigen undnachvollziehbaren Gründen getragenwurde.Der Kern des Rechtsstreits: DerMieter muss das Nutzungsinteressezur Eigenbedarfskündigung sogardann respektieren, wenn der Vermieterden Eigenbedarfsgrund willentlichherbeigeführt hat.Das Berufungsgericht hat nachAnsicht des VIII. Zivilsenates des BGHein Kriterium an das „Benötigen“ vonWohnraum angelegt, das grundsätzlichnicht besteht.Weil die Kündigung wirksam ist,bestehen ebenso die Ansprüche aus§ 985 BGB, § 812 I 2 1. Fall BGB undwegen nunmehr rechtswidrigenVorenthaltens des Besitzes auchwegen der Eigentumsverletzunggem. §§ 823 I, 249 I BGB.Folglich ist der Kündigungsgrund des Eigenbedarfs gem. § 573 I 1, II Nr. 2BGB erfüllt und kein Raum für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichenUmgehung der Voraussetzungen der Vorschrift des § 573 II Nr. 3 BGB. Die Kündigungist wirksam.B. ErgebnisK kann von B die Herausgabe und Räumung der Liegenschaft gem. § 546 I BGBverlangen.FAZITDer Mieter muss das Nutzungsinteresse zur Eigenbedarfskündigung sogardann respektieren, wenn der Vermieter den Eigenbedarfsgrund willentlichherbeigeführt hat. Darauf, dass der Vermieter in eine Wohnung ziehen will,die der von ihm aktuell bewohnten entspricht, kommt es nicht an.© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
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