Aufrufe
vor 4 Jahren

RA 12/2019 - Entscheidung des Monats

  • Text
  • Privaten
  • Hotelbetreiberin
  • Jura
  • Hausverbot
  • Intensiv
  • Ungleichbehandlung
  • Drittwirkung
  • Entscheidung
  • Grundrechte
  • Recht
Anknüpfend an die Entscheidung vom 11.04.2018 (1 BvR 3080/09, RA 2018, 369) musste das BVerfG erneut die Reichweite der Drittwirkung des Art. 3 GG in zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen klären.

RA

RA 12/2019 Öffentliches Recht 641 ÖFFENTLICHES RECHT Problem: Privates Hausverbot gegenüber NPD-Funktionär Einordnung: Grundrechte BVerfG, Beschluss vom 27.08.2019 1 BvR 879/12 EINLEITUNG Anknüpfend an die Entscheidung vom 11.04.2018 (1 BvR 3080/09, RA 2018, 369) musste das BVerfG erneut die Reichweite der Drittwirkung des Art. 3 GG in zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen klären. SACHVERHALT B war von März 1996 bis November 2011 Bundesvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seine Ehefrau buchte für Dezember 2009 einen viertägigen Aufenthalt in einem Wellnesshotel. Nachdem die Buchung zunächst bestätigt wurde, teilte die Hotelbetreiberin schriftlich mit, dass ein Aufenthalt in dem Hotel nicht möglich sei. Stattdessen bot sie alternative Unterbringungsmöglichkeiten oder eine kostenlose Stornierung an. Auf Nachfrage erteilte die Hotelbetreiberin dem B sodann ein Hausverbot und begründete dies damit, dass die politische Überzeugung des B nicht mit dem Ziel der Hotels vereinbar sei, jedem Gast nach Möglichkeit ein exzellentes Wohlfühlerlebnis zu bieten. Die von B erhobene auf den Widerruf des Hausverbots gerichtete Klage blieb vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) und dem Brandenburgischen Oberlandesgericht erfolglos. Der BGH gab der Klage insoweit statt, als es den schon vertraglich vereinbarten Zeitraum betraf, bestätigte aber das in die Zukunft gerichtete Hausverbot der Hotelbetreiberin. Verletzt diese Entscheidung des BGH das Grundrecht des B aus Art. 3 I, III GG? LEITSATZ (DER REDAKTION) Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich auch im Wege der mittelbaren Drittwirkung kein allgemeiner Grundsatz, wonach private Rechtsbeziehungen prinzipiell gleichheitsgerecht ausgestaltet werden müssten. Eine spezifische Konstellation, bei der eine weitergehende Bindung privater Vertragspartner eintreten könnte, liegt bei einer privaten Hotelbuchung nicht vor. Auch aus den Diskriminierungsverboten aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt sich hier nichts anderes. LÖSUNG A. Verstoß gegen Art. 3 I GG B ist in seinem Grundrecht aus Art. 3 I GG verletzt, wenn ihm gegenüber eine Ungleichbehandlung vorliegt, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. I. Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Das ist der Fall, wenn eine Personengruppe oder Situation rechtlich anders behandelt wird als eine vergleichbare andere Personengruppe oder Situation. Um dies festzustellen bedarf es der Festlegung eines gemeinsamen Oberbegriffs als Bezugspunkt, unter den die verschieden behandelten Personengruppen oder Situationen fallen. Zu vergleichen sind die Gäste des betreffenden Hotels, sie bilden also den gemeinsamen Oberbegriff. Die Ungleichbehandlung besteht darin, dass B ein in die Zukunft gerichtetes Hausverbot aufgrund seiner politischen Überzeugung erteilt wurde und den anderen Hotelgästen nicht. Obersatz BVerfGE 49, 148, 165 Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 860-870 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

642 Öffentliches Recht RA 12/2019 Problem: Zivilrechtsstreit • sind die Grundrechte überhaupt anwendbar? Lösung: Mittelbare Drittwirkung (vgl. dazu Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 29 ff.) Grds. sachlicher Grund erforderlich (vgl. Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 873) Problem: Gilt das auch im Zivilrecht, da hier der Grundsatz der Privatautonomie herrscht? Lösung: Sachlicher Grund im Zivilrecht prinzipiell nicht erforderlich • es darf willkürlich diskriminiert werden Ausnahme: Sachlicher Grund erforderlich bei Monopolstellung oder struktureller Überlegenheit Allerdings handelt es sich um ein zivilrechtlich verhängtes Hausverbot, dem ein Zivilrechtsstreit zwischen B und der Hotelbetreiberin folgte. Das wirft mit Blick auf Art. 1 III GG, der nur die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte bindet, die Frage auf, inwieweit Art. 3 I GG hier überhaupt zur Geltung kommen kann. Die Vorschrift entfaltet jedoch – wie alle Grundrechte – eine mittelbare Drittwirkung. Danach verpflichten die Grundrechte die Privaten grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander. Sie haben jedoch auch auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung und sind von den Fachgerichten, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen. Die Grundrechte entfalten hierbei ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlen als „Richtlinien“ in das Zivilrecht ein. Demnach gelangt Art. 3 I GG im Wege der mittelbaren Drittwirkung zur Anwendung, sodass durch die das in die Zukunft gerichtete Hausverbot bestätigende Entscheidung des BGH eine Ungleichbehandlung vorliegt. II. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die Ungleichbehandlung könnte gerechtfertigt sein. Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen das der Fall ist. Grundsätzlich verbietet das GG nur die grundlose Ungleichbehandlung, will aber nicht eine absolute Gleichheit erzwingen. Ansonsten wäre Art. 3 II, III GG, der eine Ungleichbehandlung nur aus bestimmten Gründen verbietet, überflüssig. Gerechtfertigt ist die Ungleichbehandlung daher grundsätzlich dann, wenn für sie ein sachlicher Grund besteht. Etwas anderes könnte jedoch im konkreten Fall aus dem Umstand folgen, dass ein Zivilrechtsstreit zugrunde liegt und im Zivilrecht der Grundsatz der Privatautonomie gilt. Das lässt eventuell den Schluss zu, dass Diskriminierungen auch dann zulässig sind, wenn kein sachlicher Grund vorliegt, sie also willkürlich erfolgen dürfen. „[6] Art. 3 Abs. 1 GG enthält kein objektives Verfassungsprinzip, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten von diesen prinzipiell gleichheitsgerecht zu gestalten wären. Dahingehende Anforderungen ergeben sich auch nicht aus den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung. Grundsätzlich gehört es zur Freiheit jeder Person, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie wann unter welchen Bedingungen welche Verträge abschließen und wie sie hierbei auch von ihrem Eigentum Gebrauch machen will. […] Ein allgemeiner Grundsatz, wonach private Vertragsbeziehungen jeweils den Rechtfertigungsanforderungen des Gleichbehandlungsgebots unterlägen, folgt demgegenüber aus Art. 3 Abs. 1 GG auch im Wege der mittelbaren Drittwirkung nicht. [7] Gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten können sich aus Art. 3 Abs. 1 GG nur für spezifische Konstellationen ergeben, so etwa bei einem einseitigen, auf das Hausrecht gestützten Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Auch in anderen Fällen darf die aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu genutzt werden, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem bestimmten Ereignis auszuschließen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA - Digital

Rspr. des Monats