662 Strafrecht RA 12/2024PRÜFUNGSSCHEMA: KÖRPERVERLETZUNG MIT TODESFOLGE,§ 227 I StGBA. TatbestandI. Grunddelikt: § 223 I StGBII. Qualifikation: § 227 I StGB1. Eintritt der schweren Folge2. Kausalität Grunddelikt – schwere Folge3. Objektive Zurechnung4. Spezifischer Gefahrzusammenhang5. Wenigstens Fahrlässigkeit bzgl. 1., § 18 StGBB. Rechtswidrigkeit und SchuldLÖSUNGP könnte sich durch seine Mitwirkung an dem Überfall auf A wegen mittäterschaftlicherKörperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 227 I, 25 II StGBstrafbar gemacht haben.I. TatbestandKörperliche Misshandlung ist jedeüble unangemessene Behandlung,die das körperliche Wohlbefindendes Opfers oder dessen körperlicheIntegrität mehr als nur unerheblichbeeinträchtigt.Gesundheitsschädigung ist dasHervorrufen oder Steigern einespathologischen Zustands.1. Grunddelikt: §§ 223 I, 25 II StGBP müsste zunächst den Tatbestand des Grunddelikts, §§ 223 I, 25 II StGB,verwirklicht haben.Durch die Schläge und den Stich mit dem Messer wurde A körperlich misshandeltund an der Gesundheit geschädigt.P führte diese Tat arbeitsteilig mit Ar und Y auf der Grundlage eines gemeinsamenTatplans aus, wobei P die Tatherrschaft innehatte und auch mitTäterwillen handelte. Er hat die Körperverletzung also als Mittäter i.S.v. § 25II StGB begangen.P müsste auch vorsätzlich gehandelt haben. P hatte nicht gesehen, dass einerseiner Mittäter ein Messer bei sich führte und es ist auch – jedenfalls nach demGrundsatz „in dubio pro reo“ – nicht davon auszugehen, dass dessen Verwendungunter den Mittätern abgesprochen war, sodass der Stich mit dem Messer einenExzess darstellt, und P sich somit die Stichverletzung nicht zurechnen lassenmuss. Bzgl. der sonstigen Verletzungen und der mittäterschaftlichen Begehunghat P jedoch vorsätzlich gehandelt und so den Tatbestand der mittäterschaftlichenKörperverletzung gem. §§ 223 I, 25 II StGB erfüllt.2. Qualifikation: § 227 I StGBa) Eintritt der schweren FolgeMit dem Tod des A ist die schwere Folge des § 227 I StGB eingetreten.b) Kausalität des Grunddelikts für die schwere FolgeHätte P nicht an dem Angriff auf den A mitgewirkt, also das Grunddelikt dermittäterschaftlichen Körperverletzung, §§ 223 I, 25 II StGB, begangen, wärees auch nicht zu dem tödlichen Messerstich gekommen. Das Grunddeliktkann somit hinweggedacht werden ohne dass der Tod entfiele und ist somitfür die schwere Folge kausal.c) Objektive ZurechnungFraglich ist jedoch, ob P sich den Tod des A auch als sein Werk objektivzurechnen lassen muss, da diese Folge unmittelbar aus dem Messerstich© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 12/2024Strafrecht663resultierte. Diesen musste P sich aber im Rahmen des Grunddelikts nichtzurechnen lassen, da er eine Exzesshandlung darstellt (s.o.).„[10] aa) Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzungsetzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen Körperverletzung mitTodesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB nicht voraus, dass er selbst eineunmittelbar zum Tod des Opfers führende Verletzungshandlung ausführt.Es reicht vielmehr aus, dass der Mittäter aufgrund eines gemeinsamenTatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitragzum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weitererforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigenausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und demTäter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt. Ist der Todeserfolgdurch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden unddeshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursachtworden, kommt eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolggemäß § 227 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn den gemeinschaftlichverübten Gewalthandlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlungvorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr einestödlichen Ausgangs anhaftet. Das kann der Fall sein, wenn das Opferdurch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lagegerät, in der es nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligtenschutzlos ausgeliefert ist oder dem vom gemeinsamen Willen allerMittäter getragenen Angriff nach den ihn kennzeichnenden konkretentatsächlichen Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichenEskalation innewohnt. So kann ein heimtückischer Überfall in […]Überzahl die hohe Gefahr einer Eskalation auch mit unerkanntem Messereinsatzbegründen. Andererseits wohnt nicht jedem von mehrerenPersonen mit einem Schlagwerkzeug geführten tätlichen Angriff aufeinen anderen per se die tatbestandsspezifische Gefahr eines in seinerGefährlichkeit für das Leben des Opfers gesteigerten Messereinsatzesinne. Ein spezifischer Gefahrenzusammenhang kann insoweit inobjektiver Hinsicht nur angenommen werden, wenn sich aus Art undWeise des tätlichen Angriffs einzelfallbezogen konkrete tatsächlicheUmstände ergeben, welche die Möglichkeit einer tödlichen Eskalationnahelegen.[11] bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Todesfolge dem Angeklagten Pzuzurechnen. Zwar war der Angriff mit dem Messer auf A durch einen derTäter […] für die übrigen Tatbeteiligten ein Exzess, weil ein solcher Messereinsatznicht einmal von einem bedingten Vorsatz umfasst war. Dergemeinsame Tatplan war doch darauf ausgerichtet, dem Geschädigten Adie Verteidigungsmöglichkeiten zu nehmen, indem ihn der AngeklagteI […] unter einem Vorwand zum Tatort lockte […], um ihn in einer […]Überzahl aus dem Hinterhalt anzugreifen. Der Angeklagte P nahm vor demAngriff zudem bei einem der Angreifer einen Schlagstock wahr, mit dessenEinsatz er rechnete und dessen Einsatz gegen den Geschädigten A […] erbilligte. Ferner gab es zwischen den Angreifern keine genaue Vereinbarungdarüber, in welcher konkreten Weise sie dem Geschädigten A eine körperlicheAbreibung verpassen wollten. Da die Täter sich nicht oder nicht gutkannten, unterschiedliche Angriffsmotive hatten, die ihnen untereinanderebenfalls nicht bekannt oder gleichgültig waren, und sich spontan zusammenschlossen,bestand die erhöhte Gefahr eines Exzesses durch einen deran-deren Mittäter, auch unter Einsatz eines Messers. […]“BGH, Beschluss vom 07.07.2021,4 StR 141/21, NStZ 2021, 735Den Ausführungen des BGH lässtsich nicht präzise entnehmen, ober die Herbeiführung der schwerenFolge durch einen Mittäterexzess alsProblem der objektiven Zurechnungoder aber des spezifischen Gefahrzusammenhangssieht. Im Gutachtendürfte deshalb eine Verortung desProblems bei jedem der beidenPunkte vertretbar sein. Da im spezifischenGefahrzusammenhang auchder Streit über die entsprechendenVoraussetzungen darzustellen ist,dürfte eine Besprechung der Exzessproblematikbei der Zurechnungsinnvoll sein, um die Prüfung desGefahrzusammenhangs nicht zu„überfrachten“.BGH, Beschluss vom 04.02.2016,1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136;Urteil vom 10.06.2009, 2 StR 103/09,NStZ-RR 2009, 309BGH, Beschluss vom 07.07.2021,4 StR 141/21, NStZ 2021, 735© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
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