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RA Digital - 01/2017

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10 Zivilrecht

10 Zivilrecht RA 01/2017 Problem: Verweigerung von Kaufpreiszahlung und Abnahme bei nur geringfügigem behebbaren Mangel Einordnung: Schuldrecht BGH, Urteil vom 26.10.2016 VIII ZR 211/15 LEITSATZ Im Hinblick auf die Verpflichtung des Verkäufers zur Verschaffung einer von Sach- und Rechtsmängeln freien Sache (§ 433 I 2 BGB) ist der Käufer bei behebbaren Mängeln, auch wenn sie geringfügig sind, grundsätzlich berechtigt, gemäß § 320 I BGB die Zahlung des (vollständigen) Kaufpreises und gemäß § 273 I BGB die Abnahme der gekauften Sache bis zur Beseitigung des Mangels zu verweigern, soweit sich nicht aus besonderen Umständen ergibt, dass das Zurückbehaltungsrecht in einer gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßenden Weise ausgeübt wird. EINLEITUNG Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung gem. § 320 I 1 BGB bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. Daneben darf die Einrede auch dann nicht erhoben werden, wenn die Verweigerung der Leistung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen würde. Ob dies bei einem nur geringfügigem und behebbaren Mangel hinsichtlich Kaufpreiszahlung und Abnahme der Kaufsache der Fall ist, steht im Mittelpunkt der vorliegenden Entscheidung des BGH. SACHVERHALT Die Klägerin (K) handelt mit Kraftfahrzeugen. Sie veräußert dem Beklagten (B) aufgrund einer Bestellung vom 15.01.2013 einen fabrikneuen „Fiat Freemont“ zum Preis von 21.450 €. Die Parteien vereinbaren kostenfreie Lieferung an den Wohnsitz des B. Bei Anlieferung am 16.07.2013 weist das Fahrzeug an der Fahrertür eine Lackbeschädigung auf. Im Lieferschein der Spedition ist insoweit vermerkt: „Kleine Delle Fahrertür, Kosten für Ausbesserung werden von K übernommen.“ Noch am gleichen Tag erklärt B telefonisch, dass er das Fahrzeug „zurückweise“, und teilt K per Telefax mit: „Leider ist die kleine Delle, wie im Lieferschein beschrieben, nicht so ganz klein. Diese verläuft über die Grundierung bis aufs Grundmaterial (Blech) spitz in ca. 2-3 mm tief hinein. Bis zur endgültigen Klärung des Sachverhaltes kann ich den Zahlungsauftrag nicht freigeben.“ Mit Schreiben vom 17.07.2013 macht K geltend, es handele sich um einen bloßen „Bagatellschaden“ und bittet um Überweisung des vollständigen Kaufpreises. B übersendet ihr daraufhin den Kostenvoranschlag eines Autolackierbetriebes vom 17.07.2013, wonach Lackierkosten i.H.v. 528,30 € entstünden. K erklärt mit Schreiben vom 25.07.2013, sie werde bei Vorlage des Originals der Reparaturrechnung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht maximal 300,- € übernehmen. Nachdem B die K mit Anwaltsschreiben vom 26.07.2013 unter Fristsetzung bis zum 10.08.2013 aufgefordert hat, den Lackschaden für ihn kostenfrei zu beheben, lässt K das von B bisher nicht benutzte Fahrzeug am 06.08.2013 zurückholen. B verlangt mit Anwaltsschreiben vom 11.09.2013, das Fahrzeug nunmehr unverzüglich auszuliefern. Daraufhin teilt K am 12.09.2013 mit, es stehe zur Abholung durch ihn bereit. Am 06.10.2013 liefert K das hinsichtlich des Lackschadens reparierte Fahrzeug aus. B entrichtet sodann den vollständigen Kaufpreis, der bei K am 20.10.2013 eingeht. K, die unter Berufung auf ein eingeholtes Angebot vom 07.08.2013 behauptet, der Lackschaden sei mit einem Kostenaufwand von 249,90 € zu beseitigen gewesen, verlangt Verzugszinsen auf den Kaufpreis für die Zeit vom 16.07.2013 bis zum 20.10.2013. Zu Recht? Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2017 Zivilrecht 11 PRÜFUNGSSCHEMA A. K gegen B auf Zahlung von Verzugszinsen gem. § 288 I 1 BGB I. Schuldner einer Geldschuld II. Verzug gem. § 286 BGB B. Ergebnis LÖSUNG A. K gegen B auf Zahlung von Verzugszinsen gem. § 288 I 1 BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen für den Zeitraum vom 16.07.2013 bis 20.10.2013 aus § 288 I 1 BGB haben. Voraussetzung für diesen Anspruch ist eine Geldschuld, mit deren Erfüllung sich B gegenüber K in Verzug befindet. I. Schuldner einer Geldschuld B schuldet K, mit der er einen wirksamen Kaufvertrag abgeschlossen hat, gem. § 433 II BGB einen Kaufpreis i.H.v. 21.450 €. Eine Geldschuld liegt zwischen dem 16.07.2013 und 20.11.2013 vor. II. Verzug gem. § 286 BGB In diesem Zeitraum müsste B mit der Zahlung im Verzug gewesen sein. Verzug setzt gem. § 286 I BGB voraus, dass der Schuldner auf eine fällige und durchsetzbare Forderung trotz Mahnung nicht leistet. „[18] Nach § 433 I 2 BGB war K verpflichtet, die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen, d. h., sie hatte das Fahrzeug dem B in einem einwandfrei lackierten Zustand zu übergeben, der aufgrund der vereinbarten Eigenschaft als Neuwagen geschuldet war. Zahlung des vereinbarten Kaufpreises konnte K mithin nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs in einem solchen - mangelfreien - Zustand verlangen. Das am 16.07.2013 ausgelieferte Fahrzeug war jedoch aufgrund des Lackschadens an der Fahrertür mangelhaft (§ 434 I 1 BGB). Jura Intensiv [17] Bei der ersten (versuchten) Anlieferung des Fahrzeugs am 16.07.2013 bestand [daher] ein den Verzug ausschließendes Zurückbehaltungsrecht. B stand bis zur Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs ein die gesamte Forderung erfassendes Leistungsverweigerungsrecht gem. § 320 I 1 BGB zu. Nach dieser Bestimmung kann im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages jede Vertragspartei, sofern sie nicht zur Vorleistung verpflichtet ist, die ihr obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern. Diese Gegenleistung ist nicht am 16.07.2013, sondern erst am 06.10.2013 bewirkt worden.“ Ausnahmsweise kann der Käufer die Zahlung des Kaufpreises jedoch dann nicht oder nicht vollständig gem. § 320 I 1 BGB verweigern, wenn dies nach den Gesamtumständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit der Pflichtverletzung des Verkäufers gem. § 242 BGB gegen Treu und Glauben verstößt. „[23] Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Denn § 320 BGB verfolgt den doppelten Zweck, dem Gläubiger, der am Vertrag festhalten will, sowohl den Anspruch auf die Gegenleistung zu sichern als auch Druck auf den Fabrikneues Fahrzeug enthält Kratzer und ist damit mangelhaft gem. § 434 I 1 BGB Käufer steht damit grds. ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 320 I 1 BGB zu Denkbar wäre ein Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB wegen Geringfügigkeit der Pflichtverletzung. Jedoch muss der Sinn und Zweck des § 320 BGB beachtet werden. Der Gläubiger darf Druck auf den Schuldner ausüben, um ihn zur mangelfreien Leistung zu motivieren. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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