Aufrufe
vor 7 Jahren

RA Digital - 01/2017

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Urteil
  • Bauo
  • Stgb
  • Anspruch
  • Recht
  • Zivilrecht
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

30 Öffentliches Recht

30 Öffentliches Recht RA 01/2017 LÖSUNG Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde I. Zuständigkeit des BVerfG Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 I BVerfGG. Da K einen Verstoß gegen das GG rügt, kommt eine Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht nicht in Betracht. 1. Kernproblem: Schützen die Grundrechte jur. Personen des Zivilrechts, die von einem ausländischen Staat beherrscht werden? Konfusionsargument (-), da ausländischer Staat nicht an Grundrechte gebunden. Entscheidendes Argument: Ohne Grundrechtsfähigkeit droht Rechtsschutzlosigkeit und damit Schlechterstellung, auch gegenüber staatlichen Konkurrenten. Mit „Schutzmechanismen“ ist insbesondere der Erlass von Gesetzen gemeint, mittels derer Bund, Länder und Gemeinden ihre wirtschaftlichen Aktivitäten schützen können. Weiteres Argument: Europarechtskonforme Auslegung des Art. 19 III GG. II. Beschwerdefähigkeit K muss beschwerdefähig sein. Beschwerdefähig ist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG jedermann, d.h. jede natürliche oder juristische Person, die Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann. K ist eine deutsche GmbH und damit eine inländische juristische Person i.S.v. Art. 19 III GG. Bei der Eigentumsfreiheit handelt es sich auch um ein Grundrecht, das prinzipiell seinem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist. Fraglich ist, ob hier angesichts des Umstands, dass der schwedische Staat alleiniger Gesellschafter ist, etwas anderes gelten muss. „[192] So kann das sogenannte Konfusionsargument, demzufolge der Staat nicht zugleich grundrechtsverpflichtet und grundrechtsberechtigt sein kann, der Grundrechtsfähigkeit einer von einem ausländischen Staat gehaltenen juristischen Person des Privatrechts nicht entgegengehalten werden. Denn der fremde Staat ist von vornherein nicht verpflichtet, die Grundrechte der Menschen in Deutschland zu garantieren und sie entsprechend zu schützen. […] [194] Eine von einem ausländischen Staat gehaltene juristische Person des Privatrechts, die ausschließlich als Wirtschaftssubjekt agiert, verfügt wie andere, rein private Marktteilnehmer weder unmittelbar noch mittelbar über innerstaatliche Machtbefugnisse. Einer solchen juristischen Person […] droht zudem insofern eine spezifische Gefährdungssituation, als sie - falls ihr die Berufung auf die Grundrechte völlig versagt bleibt - im Gegensatz zu allen anderen Marktteilnehmern gegenüber staatlichen Eingriffen und wirtschaftslenkenden Maßnahmen, die unmittelbar durch Gesetz erfolgen, rechtsschutzlos ist. Rein privaten Marktteilnehmern steht die Verfassungsbeschwerde offen. Auch die vom Bund, einem Land oder einer Kommune gehaltenen juristischen Personen des Privatrechts sind, obwohl es ihnen wegen der fehlenden Grundrechtsfähigkeit verwehrt ist, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben, nicht schutzlos. Die hinter ihnen stehenden Hoheitsträger können sich mittels der zur Wahrung innerstaatlicher Kompetenzen vorgesehenen Schutzmechanismen gegen vermeintlich verfassungswidrige Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung zur Wehr setzen. Diese Option ist den von ausländischen Staaten gehaltenen juristischen Personen des Privatrechts verschlossen. Wird ihnen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde verwehrt, bleiben sie gegenüber unmittelbaren gesetzlichen Eingriffen ohne Rechtsschutzmöglichkeit. […] [196] Angesichts dieser besonderen Umstände des Falles ist die […] Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG auch mit Blick auf die unionsrechtlich geschützte Niederlassungsfreiheit vorzunehmen. Auf diese Weise können auch Brüche zwischen der deutschen und der europäischen Rechtsordnung vermieden werden. […] Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2017 Öffentliches Recht 31 [197] Die Niederlassungsfreiheit ist betroffen. Zwar ist die Beschwerdeführerin Vattenfall eine nach deutschem Gesellschaftsrecht errichtete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Dahinter steht jedoch mit der Vattenfall AB ein schwedisches Mutterunternehmen. Die Vattenfall AB hat bei der Gründung ihrer deutschen Tochterunternehmen von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht (Art. 54 Abs. 1 i.V.m. Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV). Die Beschwerdeführerin Vattenfall als Tochtergesellschaft im Sinne des Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV kann sich auf den ihrer Muttergesellschaft durch die Niederlassungsfreiheit gewährten Schutz berufen. Der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit steht nicht entgegen, dass das Unternehmen vollständig in der Hand des schwedischen Staates liegt. […] Art. 54 Abs. 2 AEUV bezieht öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen, sofern sie einen Erwerbszweck verfolgen, ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ein. [200] Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falls bedürfte die Verwehrung der Verfassungsbeschwerde hier jedoch der Rechtfertigung vor der Niederlassungsfreiheit. Zum einen wäre der Beschwerdeführerin Vattenfall nach geltendem deutschen Prozessrecht ohne die Möglichkeit der Gesetzesverfassungsbeschwerde keinerlei Rechtsschutzmöglichkeit gegen die mit der 13. AtG-Novelle verbundenen Beeinträchtigungen eröffnet. Zum anderen wiegen die mit der 13. AtG-Novelle verbundenen Beeinträchtigungen besonders schwer, weil die Novelle die Beschwerdeführerin Vattenfall dazu zwingt, das anteilig auch von ihr gehaltene und über die Beschwerdeführerin Krümmel betriebene Kernkraftwerk frühzeitig abzuschalten, womit insoweit die weitere Ausübung der Niederlassungsfreiheit ausgeschlossen wird. […] [201] Es fehlte an den Voraussetzungen für die Rechtfertigung einer bloßen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, die ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gelten, können […] durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, […]. Solche zwingenden Gründe des Allgemeininteresses sind nicht ersichtlich. […]“ Jura Intensiv Demnach kann sich K gem. Art. 19 III GG auf die Eigentumsfreiheit berufen und ist daher beschwerdefähig. Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 49 AEUV Grenzüberschreitender Sachverhalt (+), weil schwedisches Mutterunternehmen, Art. 49 I 2 AEUV Eingriff in den Schutzbereich durch drohende Rechtsschutzlosigkeit und Abschaltung der Kernkraftwerke Keine Rechtfertigung, da kein zwingender Grund des Allgemeinwohls ersichtlich (sog. Dassonville-Respr.). Zusätzlich hat das BVerfG auch noch kurz auf die EMRK und die einschlägige Respr. des EGMR verwiesen (s. Rn 202). III. Prozessfähigkeit K ist, vertreten durch ihre Geschäftsführung, prozessfähig. IV. Beschwerdegegenstand Gem. Art. 93 I Nr. 4a GG muss sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen Akt öffentlicher Gewalt richten. Darunter ist jedes Verhalten der Legislative, Exekutive und Judikative zu verstehen, vgl. §§ 93 I, III, 95 II, III BVerfGG. K greift die 13. AtG-Novelle und damit einen Akt der Legislative an (sog. Gesetzesverfassungsbeschwerde), sodass ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegt. V. Beschwerdebefugnis Gem. Art. 93 I Nr. 4a GG muss K beschwerdebefugt sein. Das bedeutet, nach ihrem substanziierten Vorbringen muss die Möglichkeit bestehen, dass sie durch den angegriffenen Beschwerdegegenstand in einem ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt ist. K könnte durch die 13. AtG-Novelle © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats