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RA Digital - 01/2021

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6 Zivilrecht

6 Zivilrecht RA 01/2021 Wie bereits gesagt, besteht der Unterschied darin, dass §§ 634 Nr. 2, 637 BGB den Erstattungsanspruch für die Kosten der Ersatzvornahme verschuldensunabhängig gewähren, während ein Schadensersatzanspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 I, III, 281 I 1 2. Fall BGB ein Verschulden voraussetzt. Unter einem Axiom versteht man eine gültige Wahrheit, die keines Beweises bedarf. So wirkt die Behauptung des VII. Zivilsenates, das Nichtreparieren eines mangelhaften Werkes und das Fordern der Mängelbeseitigungskosten führe zu einer Überkompensation. Der V. Zivilsenat hat in seinem Vorlagebeschluss (aaO) in Rn 35 anhand eines Beispiels mit einem in einer grellen Farbe bestellten, in einer gängigen Farbe gelieferten PKW erläutert, dass das Leistungsinteresse und eine Wertminderung nicht deckungsgleich sein müssen. Ferner wies der V. Zivilsenat darauf hin, dass eine Schutzlücke besteht, weil der Schuldner sich in einem solchen Fall sanktionslos seiner Pflicht entziehen könne. Dies lehnt der VII. Zivilsenat mit der Behauptung ab, im Werkvertragsrecht sei alles anders. Auf die Möglichkeit des § 287 ZPO abzustellen, erscheint nicht konsequent. In einem solchen Fall bleibt es dem Geschmack der jeweiligen Zivilkammer überlassen, wie hoch der Schadensersatz ausfällt. Dies belastet die Rechtssicherheit. Der ergänzende Hinweis des V. Zivilsenat aus dem Vorlagebeschluss (aaO. Rn 35) ist gemeint. Auch hier bleibt der VII. Zivilsenat eine Erklärung schuldig, wann eine Überkompensation besteht. Der Hinweis auf die Minderung gem. §§ 634 Nr. 3, 638 BGB ist schwer nachzuvollziehen. Wenn das bedeuten soll, dass man Mängelbeseitigungskosten über den Umweg der Minderung erhalten kann, ist dies nicht konsequent. Danach ist die aufgrund der nicht ordnungsgemäßen (Nach-) Erfüllung gegebene tatsächliche Vermögenslage mit der hypothetischen Vermögenslage bei ordnungsgemäßer (Nach-)Erfüllung zu vergleichen. Dabei belasten mangels Selbstvornahme nicht anfallende, fiktive Mängelbeseitigungskosten die im Rahmen des Vermögensvergleichs aufzustellende Vermögensbilanz des Bestellers aus Sicht des VII. Zivilsenats nicht. Übersteigen die fiktiven Mängelbeseitigungskosten den im Wege des Vermögensvergleichs zu ermittelnden Differenzbetrag, führt die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs in Höhe dieser Kosten vielmehr dazu, dass ein über den aufgrund des mangelhaften Werks gegebenen Vermögensschaden hinausgehender Betrag “ersetzt” wird. Dies berührt indes den schadensrechtlichen Grundsatz des Überkompensations- beziehungsweise Bereicherungsverbots. Eine generelle Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten ließe sich deshalb nur dann rechtfertigen, wenn hierdurch das Leistungsinteresse des Gläubigers - zumindest im Regelfall - zutreffend abgebildet würde, oder wenn nur auf diese Weise zum Nachteil des Gläubigers bestehende Schutzlücken geschlossen werden könnten. Beide Begründungsansätze sind jedoch für das Werkvertragsrecht nach der Schuldrechtsmodernisierung eindeutig zu verneinen (vgl. dazu die Ausführungen unter III.2. und 3.). [30] Der VII. Zivilsenat hat deshalb für den Fall, dass der Besteller eine Mängelbeseitigung nicht durchführen lässt, die schadensrechtliche Rechtsprechung des V. Zivilsenats zum alten Schuldrecht (…) herangezogen und hierauf ausdrücklich Bezug genommen (…). Danach kann in geeigneten Fällen der mangelbedingte Wertunterschied aus Gründen der Vereinfachung anhand fiktiver Mängelbeseitigungskosten geschätzt werden, § 287 ZPO. Jedoch handelt es sich dabei um eine Schätzung, die dann nicht gerechtfertigt ist, wenn diese - nicht angefallenen - Kosten den Wertunterschied nicht mehr annähernd widerspiegeln. [31] Der ergänzende Hinweis des V. Zivilsenats, dass auch ein Vermögensvergleich das Leistungsinteresse des Gläubigers dann nicht zutreffend abbilde, wenn infolge des Mangels kein Wertunterschied besteht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Damit kann nicht umgekehrt eine zur Überkompensation führende Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten gerechtfertigt werden. Diese - im durch individuelle Leistungsbeschreibungen geprägten Werkvertragsrecht typischerweise häufiger als im Kaufrecht auftretende - Konstellation kann vielmehr ohne Nachteil für den Besteller entweder durch eine Selbstvornahme oder - bei unterbleibender Selbstvornahme - durch eine Schadensbemessung in Anlehnung an § 634 Nr. 3, § 638 BGB abgewickelt werden (…). [38] Die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des VII. Zivilsenats ist - jedenfalls im Werkvertragsrecht - erforderlich geworden, um eine hieraus resultierende Fehlentwicklung zu beenden. [39] Das Leistungsinteresse des Bestellers, der den Erfolg nicht im Wege der Selbstvornahme herbeiführt, wird durch die Mängelbeseitigungskosten nicht - auch nicht für den Regelfall - zutreffend abgebildet, so dass eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht nicht gerechtfertigt ist. Diese Form der Schadensbemessung hat vielmehr nach den langjährigen Erfahrungen des VII. Zivilsenats in zahlreichen Fällen zu einer erheblichen Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2021 Zivilrecht 7 Überkompensation des Bestellers geführt. Die Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bei Mängeln, mit denen der Besteller “leben kann”, deren Beseitigung aber hohe Kosten verursachen würde, ist zunehmend als lukrative Geldquelle genutzt worden (…) [42] Hierzu soll im Ausgangspunkt der folgende, der Gerichtspraxis entlehnte Beispielsfall dienen: Der Besteller hat den Unternehmer beauftragt, den Boden im Erdgeschoss seines Einfamilienhauses mit weißen Natursteinplatten zu fliesen. Der vereinbarte Preis beträgt 40.000 €. Tatsächlich werden hellgraue Natursteinplatten verlegt. Der Austausch würde etwa 60.000 € netto kosten, da die Einbauküche wieder abgebaut, die Möbel ausgelagert, die verlegten Platten entfernt, die neuen Platten verlegt und die Familie vorübergehend in einem Hotel untergebracht werden muss. Der Unternehmer hat die Nacherfüllung nicht innerhalb der gesetzten Frist durchgeführt. [43] Im Beispielsfall kann der Besteller gemäß § 634 Nr. 1, § 635 BGB Nacherfüllung und bei Ausbleiben der Nacherfüllung gemäß § 634 Nr. 2, § 637 BGB Vorschuss oder Kostenerstattung verlangen. Die Geltendmachung dieser Rechte ist auch bei Mängelbeseitigungskosten, die die Vergütung erheblich übersteigen, nicht unverhältnismäßig. Denn der Unternehmer unterliegt der werkvertraglichen Erfolgshaftung. Er hat einen bestimmten Farbton versprochen und der Farbton der verlegten Natursteinplatten weicht hiervon ab, so dass der Besteller nicht darauf verwiesen werden kann, dies hinzunehmen. [44] Entscheidet sich der Besteller indes, die hellgrauen Natursteinplatten zu behalten, kann er nach der bisherigen Rechtsprechung die gesamten - tatsächlich nicht anfallenden - Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 60.000 € netto geltend machen. Er muss daher im wirtschaftlichen Ergebnis für die Verlegung der Natursteinplatten die vereinbarte Vergütung in Höhe von 40.000 € nicht bezahlen, erhält neue Natursteinplatten, wenn auch nicht in der gewünschten Farbe, und bekommt zusätzlich noch einen Betrag in Höhe von 20.000 €. [45] Das ist nach der Wertung des VII. Zivilsenats kein angemessener Schadensausgleich für das mangelhafte Werk, sondern eine gegen das Bereicherungsverbot verstoßende Überkompensation. Jura Intensiv B. Ergebnis Nach Auffassung des VII. Zivilsenates sollen fiktive Mängelbeseitigungskosten nicht als kleiner Schadensersatz statt der Leistung über §§ 634 Nr. 4, 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2 BGB abweichend vom hier vorliegenden Fall aus dem Kaufrecht gewährt werden. Der VII. Zivilsenat wiederholt seine Behauptung. Selbst wenn es zutrifft, dass Besteller lieber mit dem Mangel leben und sich die Mängelbeseitigungskosten auszahlen lassen, um sich damit einen anderen Wunsch zu erfüllen, fällt es schwer, darin eine Überkompensation zu sehen. Eine simple Lösung des Konflikts kann man auch darin sehen, dass Bauunternehmer nur versprechen, was sie halten können. Wenn weiße Natursteinplatten geschuldet sind, verletzen hellgraue Natursteinplatten das Leistungsinteresse des Gläubigers. Exzesse können in der Praxis mit den bekannten Einreden der Unverhältnismäßigkeit nach § 635 III BGB oder 275 II BGB abgewendet werden; eine analoge Anwendung des § 635 III BGB auf § 631 BGB ist mit guter Begründung vertretbar. Was der VII. Zivilsenat hier kritisiert, ist nichts anderes als die im Schadensrecht übliche Wahlfreiheit des Geschädigten. Letztlich hat der Gläubiger nicht bekommen, was er bestellt hat. Muss man seine Entscheidung, nicht weitere Baumaßnahmen über sich ergehen zu lassen, sondern Geld anzunehmen und dafür täglich eine Farbe ansehen zu müssen, die er gar nicht gewünscht hat, nicht akzeptieren? Darf ein Gericht, seine individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen zur Lösung eines die gesamte Gesellschaft betreffenden sozialen Konflikts zum Maßstab erheben? Hierüber wird der Große Senat in Zivilsachen entscheiden. FAZIT Indem der VII. Zivilsenat bei seiner im Urteil vom 22.02.2018, VII ZR 46/17 = RA 2018, 293 vom Kaufrecht abweichenden Auffassung bleibt, wird der Große Senat in Zivilsachen das letzte Wort haben. Die Befürchtungen des V. Zivilsenates, eine einheitliche Rechtspraxis bei der Schadensberechnung sei über das Werkvertragsrecht hinaus gefährdet, sind begründet, wie die o.g. Entscheidungen des LG Darmstadt sowie des LG Nürnberg-Fürth anschaulich zeigen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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