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RA Digital - 01/2021

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10 Zivilrecht

10 Zivilrecht RA 01/2021 Es kommt nicht auf die Art der Leistungserbringung an, sondern auf die Art und Weise, wie der Vertrag geschlossen wird. Sinn und Zweck des § 312c BGB BGH, Urteil vom 21.10.2004, III ZR 380/03 und vom 12.11.2015, I ZR 168/14 Weil der persönliche Kontakt fehlt, steigt das Risiko einer Fehlentscheidung des Verbrauchers. Dies verneinend: Buchmann K&R 2014, 369, 371; Markworth, AnwBl 2018, 214, 217. Bejahend: Münch.Komm./Wendehorst, BGB, § 312c Rn 28 Der Eintrag auf der Homepage, persönliche Erreichbarkeit sei nicht entscheidend, war anscheinend keine gute Idee. entsprechendes System vor. Bei einem Rechtsanwalt ist dies etwa der Fall, wenn er seine Kanzlei so organisiert hat, dass gerade für die von ihm erstrebten Mandate typischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Mandatsvertrags eine gleichzeitige, persönliche Anwesenheit von Mandant und Anwalt erforderlich ist und der Anwalt eine Mandatserteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis gegenüber Dritten aktiv bewirbt. Die nach Abschluss des Vertrags erfolgende Art und Weise der Leistungserbringung ist hingegen unerheblich (…). [15] (…) Die fernabsatztypische Gefährdungslage entsteht regelmäßig erst durch die systematische Nutzung von Fernkommunikationsmitteln (…). Fernabsatzgeschäfte sind dadurch gekennzeichnet, dass Anbieter und Verbraucher sich nicht physisch begegnen und der Verbraucher die vom Unternehmer angebotene Ware oder Dienstleistung in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen kann. Um der daraus erwachsenden Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers zu begegnen, wird ihm ein Widerrufsrecht eingeräumt [17] Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Sinne des § 312c Abs. 2 BGB abgeschlossen hat, muss darlegen und beweisen, in welcher Form er seine Rechtsanwaltskanzlei im Hinblick auf Verhandlungen und Abschluss eines Anwaltsvertrags organisiert hat. Dabei muss er in erster Linie darlegen und beweisen, dass die für ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem sprechenden Indizien in seinem Fall keinen Rückschluss darauf zulassen, dass seine Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet ist, Verträge im Rahmen eines solchen Systems zu bewältigen. (…). Er kann auch darlegen und beweisen, dass er kein solches System eingerichtet hat und die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Vertragsverhandlungen und -schluss nur zufällig erfolgte, etwa aus besonderen Gründen des Einzelfalls. Die Beklagte ist dieser Darlegungslast nicht nachgekommen. Es kann daher dahinstehen, ob ein Rechtsanwalt den Beweis auch dadurch führen könnte, dass der Vertrag trotz ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Einzelfall nicht im Rahmen des bestehenden Fernabsatzsystems geschlossen worden ist. [18] Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen mehrere Indizien vor, die dafür sprechen, dass die Beklagte im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem eingerichtet hat. Danach hat sich die Beklagte auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisiert, ist in ganz Deutschland tätig und vertritt Mandanten aus allen Bundesländern. Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, dass die Beklagte eine Homepage im Internet unterhält. Die Beklagte weist unter dem Stichwort „Kontakt“ darauf hin, dass sie jederzeit auch telefonisch und elektronisch für interessierte Mandanten bereit stehe. Unter dem Stichwort „Mandatserteilung“ erklärt sie, dass der Ortsbezug immer mehr an Bedeutung verliere, die vermeintliche persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei und Entfernung keine Rolle spiele. Dank ihrer modernsten technischen Ausstattung könne sie das Anliegen der Mandanten schnell und ohne Zeitverlust bearbeiten. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2021 Zivilrecht 11 [19] Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, kann aufgrund dieser Umstände darauf geschlossen werden, dass die Beklagte gezielt Fernkommunikationsmittel zum regelmäßigen Abschluss von Anwaltsverträgen einsetzt und ihre Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, eine Vielzahl von Mandanten unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen. Zwar kann bei einem Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht bejaht werden, wenn dieser lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält, die auch sonst zur Bewältigung des Betriebs einer Anwaltskanzlei erforderlich sind (…). Die im Streitfall bestehenden Indizien gehen jedoch weit darüber hinaus. Dabei kommt dem eigenen Auftritt eines Anwalts im Internet erhebliche Bedeutung zu (…). Die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot eines Vertragsschlusses unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln spricht für eine Fernabsatzorganisation (…). Vor diesem Hintergrund weisen die vom Berufungsgericht festgestellten Umstände in ihrer Gesamtheit deutlich darauf hin, dass die Beklagte ihre Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, Mandatserteilungen regelmäßig und in großer Zahl jederzeit unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu erhalten. Hierzu zählen der Inhalt des Internetauftritts in Verbindung mit der Spezialisierung der Beklagten auf ein begrenztes Rechtsgebiet, die deutschlandweite Tätigkeit und die über ihre Homepage erfolgende deutschlandweite Werbung. Angesichts von bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland bei nur einem Hauptsitz und drei weiteren Kontaktstellen sprechen diese Indizien in ihrer Gesamtheit dafür, dass die Beklagte ihre Anwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, dass jederzeit und wiederholt Vertragsschlüsse ohne gleichzeitige persönliche Anwesenheit der Parteien in großer Zahl möglich sind, ohne dass die Beklagte hierzu besondere Maßnahmen ergreifen müsste. Diese Indizien muss die Beklagte entkräften, so dass - anders als die Revisionserwiderung meint - nicht genügt, dass auch ein anderes Verständnis des Internetauftritts möglich ist. [20] Die vom Berufungsgericht für seine gegenteilige Auffassung herangezogenen Umstände sind schon aus Rechtsgründen nicht geeignet, die im Streitfall für einen Abschluss des Anwaltsvertrags im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems sprechenden Indizien zu entkräften. Unter welchen inhaltlichen Voraussetzungen die Beklagte bereit ist, einen Anwaltsvertrag abzuschließen, ist hierfür - anders als das Berufungsgericht meint - nicht entscheidend. Zwar kann eine besondere Individualisierung der Vertragserklärung einen Hinweis darauf bieten, dass das anbietende Unternehmen nicht über eine hinreichende Fernabsatzorganisation verfügt (…). Dies allein genügt jedoch nicht, um den dem Unternehmer obliegenden Beweis zu führen (…). Für ein Fernabsatzsystem ist nicht das Ob eines Vertragsschlusses wesentlich, sondern die Art und Weise, wie Vertragsverhandlungen, ein Vertragsangebot, eine Vertragsannahme und die hierfür erheblichen Umstände innerhalb des Unternehmens im Hinblick auf den Einsatz von Fernkommunikationsmitteln organisatorisch behandelt werden. Daher erfordert ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht, dass jedes mit Fernkommunikationsmitteln Jura Intensiv Ein wichtiger Punkt, denn welcher Marktteilnehmer kann es sich schon leisten, auf Briefkasten, Telefon, E-Mail-Postfach und Telefax zu verzichten? Indiz: B warb mit der Möglichkeit, einen Vertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu verwenden. Indiz: Deutschlandweite Werbung, organisiert von einem Hauptsitz und drei Kontaktstellen. B konnte die Indizien nicht entkräften. Individualisierung der Vertragserklärung genügt nicht Entscheidend: Die Art und Weise des Vertragsschlusses © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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