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RA Digital - 01/2021

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14 Zivilrecht

14 Zivilrecht RA 01/2021 1. Gegenseitiger Vertrag Der Anspruch aus §§ 326 IV, 346 I BGB setzt einen gegenseitigen Vertrag voraus. In Betracht kommt ein Kaufvertrag zwischen K und B. Fraglich ist aber, ob B als Verkäufer den Vertrag geschlossen hat oder ob sie in Stellvertretung des Veranstalters gem. § 164 I BGB gehandelt hat. Dann wäre der Veranstalter der Rücktrittsgegner gewesen. Zu dieser Einschätzung gelangte in einem ähnlichen Fall der BGH in seinem Urteil vom 23.08.2018, III ZR 192/17. B ist nicht Veranstalterin. B verkauft ein Recht auf Teilnahme an der Veranstaltung. K und B schlossen einen Vertrag über einen Rechtskauf. Eintrittskarten sind kleine Inhaberpapiere gem. §§ 793, 807 BGB, BGH, Urteil vom 11.09.2008, I ZR 74/06. Dieser Aspekt wirkt an dieser Stelle überflüssig, dient aber dem Verständnis, weil der Anspruch aus §§ 807, 793 BGB – aus dem Wertpapier – sich nicht gegen den Tickethändler, sondern gegen den Veranstalter richtet. An diesen muss sich K halten. Definition der echten Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB Wenn bereits eine Leistungsbefreiung durch Erfüllung gem. § 362 I BGB eingetreten ist, kann keine Leistungsbefreiung gem. § 275 I BGB mehr eintreten. Erfüllung und Unmöglichkeit schließen sich gegenseitig aus. Inhaberpapiere werden gem. §§ 929 ff. BGB übereignet. Das Recht aus dem Papier, die Forderung, folgt dann dem Recht am Papier. [20] Die Beklagte ist Verkäuferin der Eintrittskarten. [21] Zwar veranstaltet sie die Veranstaltung nicht selbst, jedoch vertreibt sie die Eintrittskarten als Kommissionärin gemäß § 383 Abs. 1 HGB. Hiernach ist Kommissionär, wer es gewerbsmäßig übernimmt, Waren oder Wertpapiere für Rechnung eines anderen in eigenem Namen zu kaufen oder zu verkaufen. Die Beklagte betreibt eine Website, die sich ausschließlich dem Verkauf von Veranstaltungstickets im eigenen Namen auf Rechnung Dritter, der Veranstalter der jeweiligen Veranstaltungen, widmet. Mithin ist sie Kommissionärin und damit Verkäuferin. [23] Kaufgegenstand des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags sind zwei Eintrittskarten bzw. das jeweilige Zutrittsrecht zu einem Musical. [24] Eintrittskarten sind sog. kleine Inhaberpapiere gemäß § 807 BGB. Aus diesen ergibt sich gem. §§ 807, 793 Abs. 1 S. 1 BGB das Recht, die darauf versprochene Leistung zu verlangen. Folglich handelt es sich um einen Rechtskauf gemäß § 453 Abs. 1 BGB, für welchen die Vorschriften auf den Sachkauf nach § 433 ff. BGB anwendbar sind. 2. Freiwerden des Schuldners von seiner synallagmatischen Hauptleistungspflicht gem § 275 BGB Der Schuldner muss von seiner synallagmatischen Hauptleistungspflicht gem. § 275 I BGB frei geworden sein. Unter Unmöglichkeit im Sinne des § 275 I BGB versteht man die dauerhafte Nichterbringbarkeit des Leistungserfolges. Auf den ersten Blick scheint dies wegen der ausgefallenen Konzerte und des denkbaren Fixschuldcharakters der Veranstaltung der Fall zu sein. Jedoch ist es erneut geboten, zu ermitteln, worin genau die Leistungspflicht der B bestand. B schuldete aus dem Verkauf der Tickets die Übereignung des kleinen Inhaberpapiers und nicht die Durchführung der Veranstaltung. Hätte B diese Pflicht vor der Absage der Veranstaltungen bereits gem. § 362 BGB erfüllt, wäre die Leistungspflicht bereits vor der Absage der Veranstaltung erloschen, was eine Unmöglichkeit ausschließen würde. Jura Intensiv [27] Die kaufvertraglich versprochene Leistung konnte zum Zeitpunkt der Absage der Veranstaltung nicht mehr unmöglich werden, da der Anspruch zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt worden war. Denn die Beklagte hat das von ihr im Rahmen des Kaufvertrags mit dem Kläger geschuldete bereits geleistet gemäß § 362 Abs. 1 BGB. Erfüllung und Unmöglichkeit schließen sich gegenseitig aus. [28] Da es sich bei Eintrittskarten um kleine Legitimationspapiere handelt, welche nach §§ 929 ff. BGB übertragen werden, tritt mit Übersendung und Übereignung des Papiertickets bzw. der Übermittlung des entsprechenden QR-Codes im Fall des Onlinetickets Erfüllung im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB ein. Die Beklagte als Tickethändler hat damit die von ihr geschuldete Leistung in dem Moment vollständig erbracht, in dem sie dem Käufer das Ticket und das in diesem Zeitpunkt bestehende Recht zum Zutritt zu der gebuchten Veranstaltung übertragen hat. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2021 Zivilrecht 15 Etwas anderes könnte nur gelten, wenn man der Auffassung wäre, dass das verbriefte Recht im Moment des Kartenverkaufs noch gar nicht bestand. Dann könnte man möglicherweise von einer anfänglichen Unmöglichkeit ausgehen. [29] Zum Zeitpunkt des Kartenverkaufs bestand das in der Urkunde verbriefte Recht zum Zutritt zu der jeweiligen Veranstaltung. Es handelt sich insbesondere nicht um ein künftiges Recht, welches erst mit Beginn der Veranstaltung tatsächlich besteht, sondern um ein bereits bestehendes Teilnahmerecht zu einer künftigen Veranstaltung. Dass das Recht erst am Veranstaltungstag vor Ort beansprucht werden kann führt nicht dazu, dass das Recht tatsächlich auch erst in diesem Moment entsteht (a. A. AG Bremen, Urteil vom 02.10.2020 – 9 C 272/20). [31] Wird das Konzert nach diesem Zeitpunkt, welcher als Erfüllung und insbesondere nicht nur als Gefahrenübergang zu qualifizieren ist (a. A. AG Bremen, Urteil vom 02. Oktober 2020 – 9 C 272/20), abgesagt, haftet nur der Veranstalter dem Karteninhaber wegen der eingetretenen Unmöglichkeit. Die Beklagte als Tickethändlerin haftet wegen einer solchen Unmöglichkeit gerade nicht, da sie ihre Leistung bereits in vollem Umfang erbracht und in ihrer Person als Verkäuferin der Tickets überhaupt keinen Einfluss darauf hat, ob das Konzert durchgeführt wird oder nicht (…). Zu einem anderen Ergebnis käme man, wenn der Tickethändler eine Garantie für die Durchführung der Veranstaltungen übernimmt, für die sie Tickets vertreibt. [33] Müsste der Tickethändler bis zum Beginn der Veranstaltung das Risiko der Unmöglichkeit der Leistung übernehmen, so würde man im Ergebnis in jedem durch die Beklagte durchgeführten Rechtskauf konkludent auch die Übernahme des Risikos für den Bestand des Rechts sehen. Dies entspricht jedoch nicht der Intention des Gesetzgebers (….). Den Verkäufer einer Forderung trifft keine Gewährleistung für die Bonität in Gestalt der Einbringlichkeit und Durchsetzbarkeit des Rechts gegenüber dem Verpflichteten, denn die Leistungsfähigkeit des oder der Schuldner der verkauften Forderung gehört nicht zur „gewöhnlichen Beschaffenheit“ des Rechts (…). Eine solche „Durchführungsgarantie“ im Fall einer Veranstaltung wäre eine zusätzliche Zusage des Veranstalters, welche sich dann als Garantie gemäß § 276 darstellen könnte (…); eine solche ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Es wäre realitätsfern anzunehmen, die Beklagte hätte (konkludent) eine Garantie für die Durchführung sämtlicher Veranstaltung übernommen, für welche sie Tickets vertreibt. Bei der Beklagten „finden [sich] Tickets für jährlich über 200.000 Veranstaltungen in ganz Deutschland“ (vgl. Angaben der Beklagten auf deren Homepage). Auch einem objektiven Dritten muss klar sein, dass die Beklagte diese Anzahl an Veranstaltungen nicht selbst durchführt und insbesondere keine Durchführungsgarantie für sämtliche angebotenen Veranstaltungen übernimmt. Jura Intensiv Das Gericht stellt hier klar, dass es kein anfängliches Leistungshindernis gab. Das Recht aus dem Papier, die Zutrittsberechtigung zur Veranstaltung, bestand bereits zur Zeit des Verkaufs und zur Zeit der Eigentumsübertragung am Papier. Nur der Veranstalter haftet bei Absage der Veranstaltung. Hat er die Unmöglichkeit nicht zu vertreten, kommen je nach Vereinbarung und Einzelfall eine Gutscheinslösung sowie ein Rückzahlungsanspruch nach Rücktritt aus §§ 313 I, 313 III 1, 346 I BGB in Betracht. Ein Tickethändler übernimmt keine Haftung für die Durchführung der Veranstaltung, wie auch ein Forderungsverkäufer keine Haftung für die Bonität des Schuldners übernimmt. B hat auch keine garantieähnliche Risikoübernahmeerklärung abgegeben. Sie ergibt sich auch nicht konkludent aus den Umständen. Tickethändler haften allerdings für die zur Veranstaltung gemachten Angaben, wenn diese nicht zutreffen, siehe AG Dortmund, Urteil vom 19.07.2018, 425 C 970/18 = RA 2018, 456. Folglich wurde B durch Erfüllung i.S.d. § 362 BGB und nicht durch Unmöglichkeit im Sinne des § 275 I BGB von seiner Leistung frei. Ein Rücktrittsrecht gem. § 326 V BGB bestand nicht. K ist somit nicht wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten. Ein Anspruch auf Rückzahlung aus dem Rückgewährschuldverhältnis besteht nicht. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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