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RA Digital - 01/2022

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

4 Zivilrecht

4 Zivilrecht RA 01/2022 Das vom Berufungsgericht angelegte Kriterium war untauglich. Entscheidend ist, welche Leistungspflicht als Hauptleistungspflicht des Vertrages anzusehen ist. Der Schwerpunkt der Leistung liegt in der Einpassung in das Treppenhaus. Die Lieferung der Einzelteile ist zwar notwendig, stellt aber nur einen untergeordneten Zwischenschritt dar. Erstellung der Laufschiene im Vordergrund stehe. Dies stelle kein taugliches Kriterium zur Abgrenzung zwischen Werklieferungsvertrag und Werkvertrag dar und ändere nichts an der Einordnung als Werklieferungsvertrag. [26] Der vom Berufungsgericht betonte Umstand, dass die Montage des Treppenlifts nur einen geringen Aufwand erfordere, rechtfertigt mit Blick auf die anzustellende Gesamtbetrachtung nicht die Annahme, im Streitfall liege ein Werklieferungsvertrag vor. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist bei der Abgrenzung zwischen Werklieferungsvertrag und Werkvertrag auch der Aufwand für die individuelle Erstellung der Laufschiene zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kommt es bei der für die Abgrenzung zwischen Kaufvertrag und Dienstvertrag erforderlichen Prüfung, ob die Dienstleistung den Verkauf lediglich ergänzt oder als Hauptgegenstand des Vertrags anzusehen ist, nicht nur auf Montageleistungen, sondern auch auf Leistungen an, die in der Herstellung oder Erzeugung von für die Erbringung einer Werkleistung erforderlichen Waren besteht (vgl. EuGH, NJW 2017, 3215 Rn. 37, 38, 44, 45 - Schottelius). Auch ein verhältnismäßig geringer Montageaufwand steht daher der Einordnung als Werkvertrag nicht entgegen, wenn der Vertragsgegenstand eine Anpassung typisierter Einzelteile an die individuellen Wünsche des Bestellers erfordert (...). [31] Ein Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts mit individuell erstellter Laufschiene ist ein Werkvertrag. [32] Bei der für die rechtliche Einordnung dieses Vertrags anzustellenden Gesamtbetrachtung liegt der Schwerpunkt nicht auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz am zu liefernden Treppenlift, sondern auf der Herstellung eines funktionstauglichen Werks, das zu einem wesentlichen Teil in der Anfertigung einer passenden Laufschiene und ihrer Einpassung in das Treppenhaus des Kunden besteht. Auch der hierfür an den individuellen Anforderungen des Bestellers ausgerichtete, erforderliche Aufwand spricht daher für das Vorliegen eines Werkvertrags. Bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts, der durch eine individuell erstellte Laufschiene auf die Wohnverhältnisse des Kunden zugeschnitten wird, steht für den Kunden nicht die Übereignung, sondern der Einbau eines Treppenlifts als funktionsfähige Einheit im Vordergrund, für dessen Verwirklichung die Lieferung der Einzelteile einen zwar notwendigen, aber untergeordneten Zwischenschritt darstellt (...). Jura Intensiv Indem es sich vorliegend um einen Werkvertrag handelt, kommt der Ausschlussgrund des § 312g II Nr. 1 BGB nicht in Betracht. Folglich stand K das Widerrufsrecht auch zu. Fazit: Die Abgrenzung des Werkvertrages von Kauf-, Werklieferungssowie Dienstverträgen ist nicht nur hinsichtlich der unterschiedlichen Gewährleistungssysteme relevant, sondern auch hinsichtlich des Widerrufsrechts gem. §§ 312, 312b, 312g, 355 BGB. Der Ausschlussgrund des § 312g II Nr. 1 BGB findet auf Werkverträge keine Anwendung, weil diese nicht auf die Lieferung von Waren gerichtet sind. III. Widerrufsfrist Gem. § 355 II BGB kann der Widerruf innerhalb von 14 Tagen erfolgen. Der Lauf der Frist beginnt mit dem Vertragsschluss, wenn alle Widerrufsinformationen und Belehrungen gem. § 312d BGB erfolgt sind. Vorliegend erfolgte der Widerruf nach sieben Tagen seit dem Vertragsschluss, sodass die Widerrufsfrist unabhängig von der Frage, ob die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß erfolgt war, eingehalten wurde. Folglich hat K wirksam widerrufen. Ergebnis: K hat gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung der 1.000 € aus § 355 III BGB. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2022 Zivilrecht 5 Problem: Keine Anwendbarkeit des § 313 BGB auf § 546a BGB Einordnung: Mietrecht KG Berlin, Urteil vom 04.11.2021 8 U 85/21 (abgewandelt) EINLEITUNG Ist das Mietverhältnis beendet, zieht der Mieter jedoch nicht aus, hat er gem. § 546a BGB an den Vermieter eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, welche sich in der Höhe nach der vereinbarten Miete des beendeten Mietverhältnisses richtet. Bereits vor einigen Jahren entschied der BGH, dass dieser Anspruch weder gemäß noch analog § 536 BGB wegen eines Mangels gemindert werden kann (RA 08/2015, 410). Ist das Mietverhältnis beendet, soll der Mieter schlicht ausziehen und keine Mängel rügen. In der vorliegenden Entscheidung verweigert das Kammergericht in Berlin einem Mieter die Kürzung dieses Anspruchs im Wege der Vertragsanpassung gem. § 313 BGB. SACHVERHALT B war Mieter einer Geschäftsimmobilie, in welcher er ein Hotel betrieb. Aufgrund der Covid19-Pandemie erzielte B mit seinem Geschäftsbetrieb in den Monaten April und Mai sowie November und Dezember 2020 und im Januar 2021 keine Einnahmen, weil die Gäste fernblieben. Zahlungen an den Vermieter K leistete B für diese Monate nicht. Nachdem K die Nachzahlung von 60.975 € rückständiger Miete verlangt hatte, stellte sich heraus, dass das Mietverhältnis in Wirklichkeit bereits zum 31.03.2020 beendet wurde, weil ein Optionsrecht zur Vertragsverlängerung nicht genutzt worden war. Nunmehr verlangt K diese Summe als Nutzungsentschädigung aus § 546a BGB. B wendet ein, infolge pandemiebedingter Einschränkungen des Hotelbetriebs nach dem Ende des Mietverhältnisses sei die Nutzungsentschädigung gem. § 313 I BGB zu reduzieren. Zu Recht? LÖSUNG Jura Intensiv A. Anspruch des K gegen B auf Zahlung von 60.975 € Nutzungsentschädigung aus § 546a BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 60.975 € Nutzungsentschädigung aus § 546a BGB haben. I. Anspruch entstanden Die Beendigung des Mietverhältnisses steht ebenso fest wie die Miethöhe und die Fortsetzung der Nutzung seitens B. Ein Anspruch auf Zahlung der Geldsumme aus § 546a BGB ist folglich entstanden. II. Anspruch erloschen Als rechtsvernichtende Einwendungen kommen die Mietminderung gem. § 536 I BGB, die Unmöglichkeit gem. § 326 I BGB und die Vertragsanpassung gem. § 313 I BGB in Betracht. 1. Mietminderung gem. § 536 I BGB Unabhängig von der Frage, ob Betriebsschließungen sachbezogene oder betriebsbedingte Störungen sind, fordert § 536 I BGB das Vorliegen eines Mietverhältnisses. Dieses war zum 31.03.2020 bereits beendet worden. LEITSATZ Der Einwand des Mieters, dass ihm wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein Anspruch auf Reduzierung der vereinbarten Miete gemäß § 313 BGB zustehe, ist gegenüber dem Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung (§ 546a Abs. 1 BGB) unschlüssig. Die volle Zahlungspflicht ist für den Mieter, der die Sache trotz Vertragsendes dem Vermieter vorenthält, keine unzumutbare, mit Recht und Gerechtigkeit unvereinbare Folge, da er sich ihrer jederzeit durch Rückgabe entledigen kann. Lies zur Frage, warum bei einem bestehenden Mietverhältnis die Minderung gem. § 536 BGB nicht in Betracht kommt, wenn der Mieter aufgrund der Covid19-Pandemie den Betrieb schließen oder einschränken muss, OLG Frankfurt, RA 11/2021, 565. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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