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RA Digital - 02/2016

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88 Öffentliches Recht

88 Öffentliches Recht RA 02/2016 Zusätzliches Problem (s. dazu unten das Fazit). [28] Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die Antragsgegnerin auf der Grundlage der Generalklausel des § 11 Nds. SOG berechtigt ist, die beabsichtigten Baumaßnahmen zur (Wieder-) Herrichtung des Gebäudes durchzuführen und damit das beschlagnahmte Objekt baulich umzugestalten, kommt es deshalb nicht an.“ Darüber hinaus könnte die Voraussetzung des § 8 I Nr. 3 Nds. SOG nicht erfüllt sein. Darlegung der abstrakten rechtlichen Anforderungen Die zeitliche Begrenzung folgt aus § 8 II Nds. SOG. Zu diesen Mindestanforderungen: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. E Rn 750 (mit Verweis auf die Wohnungsaufsichtsgesetze der Länder). Alternative Unterbringungsmöglichkeit: Turnhalle Nochmal: Gefordert ist „nur“ eine menschenwürdige Unterbringung, keine Wohnung. „[30] An die Zulässigkeit von Beschlagnahmen von Grundstücken Privater zur Unterbringung von von Obdachlosigkeit unmittelbar bedrohten Personen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Eigentumsrecht der Grundstückseigentümer gemäß Art. 14 Abs. 1 GG hohe Anforderungen zu stellen. Deshalb muss […] die zuständige Ordnungsbehörde in sachlicher Hinsicht bei der Inanspruchnahme privaten Eigentums zur Einweisung von Obdachlosen im Einzelnen darlegen, dass ihr zum einen keine gemeindeeigenen Unterkünfte zur Verfügung stehen und ihr zum anderen auch die Beschaffung geeigneter anderer Unterkünfte bei Dritten nicht zeitnah möglich ist. In zeitlicher Hinsicht ist eine Beschlagnahme nicht auf Dauer, sondern lediglich für einen kurzen Zeitraum möglich, währenddessen sich die Ordnungsbehörde nachhaltig und nachweisbar um eine Unterbringungsalternative zu bemühen hat. In beiderlei Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass die zuständige Behörde lediglich für eine Unterbringung des von Obdachlosigkeit Betroffenen zu sorgen hat, die den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft genügt. [33] Für den Fall der Erschöpfung sämtlicher Kapazitäten ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin nicht kurzfristig anderweitige eigene Einrichtungen zur Flüchtlingsunterbringung herrichten könnte. Die Antragsgegnerin räumt in ihrer Beschwerdebegründung ein, dass die Turnhalle der Berufsbildenden Schule am Schwalbenberg als Notunterkunft vorübergehend zur Abwendung von Obdachlosigkeit ab Mitte November 2015 zur Verfügung steht. […] Das Verwaltungsgericht und auch der Senat verkennen nicht, dass die Beherbergung von Flüchtlingen in einer Turn- oder Sporthalle gewichtige Nachteile mit sich bringt. Eine solche Nutzung wäre aber für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmen, da die zuständige Behörde zur Abwehr der Gefahr einer akuten Obdachlosigkeit nicht eine wohnungsmäßige Vollversorgung zu gewährleisten hat, sondern die Maßnahme darauf gerichtet sein muss, den von Obdachlosigkeit bedrohten Personen vorübergehend eine den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügende Unterkunft zu stellen. Jura Intensiv [34] Die darin liegende Gewährung sozialer Fürsorge, die grundsätzlich der Allgemeinheit obliegt, darf nicht auf eine Privatperson abgewälzt werden, solange […] eine menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeit […] zur Verfügung steht […]. [36] Nach dem Vorgesagten kommt es deshalb für die Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht mehr darauf an, ob gegenwärtig Wohnraum für Flüchtlinge von der Antragsgegnerin beispielsweise in Hotels, Ferienwohnungen oder in der Jugendherberge Inhaltsverzeichnis

RA 02/2016 Öffentliches Recht 89 angemietet werden kann. Vorsorglich tritt der Senat allerdings der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei, dass eine Unterbringung in solchen Unterkünften angesichts des oben dargestellten strengen Maßstabs für die zwangsweise Heranziehung privaten Eigentums vorzuziehen ist, und zwar selbst unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin in den Vordergrund ihres Beschwerdevorbringens gerückten Nachteile dieser Unterbringung, namentlich der knappen zeitlichen Verfügbarkeit der Unterkünfte und der zu vermeidenden Verteilung von Einzelpersonen oder Kleinstgruppen auf Hotelzimmer und Ferienwohnungen. Nach der Recherche des Antragstellers spricht die Belegungssituation der Jugendherberge in den Monaten Januar und Februar 2016, also in dem Zeitraum, in dem das Gebäude des Antragstellers frühestens zur Aufnahme von Flüchtlingen hergerichtet sein könnte, nicht dagegen, dort eine größere Anzahl von Flüchtlingen unterzubringen. Aber selbst wenn in den privaten Unterkünften zum Teil nur wenige Flüchtlinge für einen begrenzten Zeitraum beherbergt werden könnten, wäre der damit verbundene organisatorische und finanzielle Aufwand von der Antragsgegnerin hinzunehmen. Wirtschaftspolitische Erwägungen wie der Gesichtspunkt der Attraktivität des Tourismusstandortes Lüneburg sind nicht geeignet, die zwangsweise Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Dritter zu rechtfertigen.“ Somit sind die Anforderungen des § 8 Nds. SOG für eine Inanspruchnahme des B nicht erfüllt, sodass die behördlichen Anordnungen rechtswidrig sind. FAZIT Die Entscheidung des OVG Lüneburg ist nicht nur wegen der Aktualität des Themas interessant, sondern weil sie die von den sog. „Obdachlosenfällen“ eigentlich altbekannten Probleme der Beschlagnahme von Unterkünften um zwei interessante Überlegungen anreichert. Zum einen ist es tatsächlich fraglich, ob eine längerfristige Beschlagnahme auf die Generalklausel gestützt werden kann. Das OVG dürfte in Anbetracht der Wesentlichkeitstheorie mit seinen Bedenken richtig liegen, dass es für eine solche Maßnahme einer Spezialregelung in einem Parlamentsgesetz bedarf. Die Wesentlichkeitstheorie steht zum anderen wohl auch der Heranziehung der Generalklausel entgegen, wenn es darum geht, Umbaumaßnahmen in dem beschlagnahmten Gebäude durchzuführen, um es als Unterkunft nutzbar zu machen. Solche Maßnahmen dürften noch stärker in das Eigentumsgrundrecht eingreifen als die bloße Beschlagnahme. Jura Intensiv Erhöhter Verwaltungsaufwand, wirtschaftspolitische Erwägungen: keine ausreichenden Gründe i.S.d. § 8 I Nr. 3 Nds. SOG Selbst im Falle der Existenz einer Spezialregelung begegnen solche Umbaumaßnahmen rechtlichen Bedenken, vgl. Ewer/Mutschler- Siebert, NJW 2016, 11, 15. Hingewiesen sei darauf, dass eine langfristige Unterbringung von Flüchtlingen in öffentlichen Gebäuden wie Turn- oder Stadthallen rechtlich bedenklich ist, wenn dadurch der eigentliche Widmungszweck dieser Gebäude massiv beeinträchtigt wird. Auch das OVG will wohl nur eine kurzfristige Unterbringung zulassen. Inhaltsverzeichnis

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