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RA Digital - 02/2018

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62 Zivilrecht

62 Zivilrecht RA 02/2018 Problem: Amazon-Bestellbestätigung ist keine Annahme Einordnung: BGB AT AG Plettenberg, Urteil vom 23.10.2017 1 C 219/17 LEITSATZ Die von Amazon bzw. von Amazon für einen Marketplace-Anbieter versendete Bestellbestätigung stellt keine Annahme, sondern eine bloße Wissenserklärung dar, mit der der Anbieter seiner aus § 312i I Nr. 1 BGB folgenden Pflicht genügt. Wie immer verändern wir bei wörtlichen Zitaten den Text nicht. Die empfohlene Schreibweise lautet nach wie vor: „Ihr Kaufvertrag kommt zustande, wenn...“. Jemand wurde „gehackt“, wenn sich ein anderer unbefugt Zugang zum Account, also zum virtuellen Marktplatz-Konto des Opfers verschafft hat. Der Begriff hat sich bereits so etabliert, dass wir ihn ohne Anführungszeichen benutzen. EINLEITUNG Das vorliegende Urteil beschäftigt sich mit der rechtlichen Bedeutung einer E-Mail-Bestellbestätigung im Amazon-Onlinehandel. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie eine rechtlich bindende Willenserklärung von einer einfachen Wissenserklärung abzugrenzen ist. SACHVERHALT Am 06.02.2017 tätigt die Klägerin (K) bei Amazon eine Bestellung für einen Whirlpool zum Kaufpreis von 396,- €. Als Anbieter ist die Beklagte (B) ausgewiesen. Noch am selben Tage erhält K eine E-Mail von dem Absender „bestellbestaetigung@amazon.de“, die mit „Bestellbestätigung“ überschrieben ist und folgenden Inhalt hat: „Guten Tag, vielen Dank für Ihre Amazon.de Marketplace Bestellung bei B. Wir werden Sie benachrichtigen, sobald Ihr Artikel versandt wurde. Bitte beachten Sie, dass diese E-Mail lediglich der Bestätigung des Eingangs Ihrer Bestellung dient und noch keine Annahme Ihres Angebotes auf Abschluss eines Kaufvertrages darstellt. Ihr Kaufvertrag kommt zu Stande, wenn wir Ihre Bestellung annehmen, indem wir Ihnen eine E-Mail mit der Benachrichtigung zusenden, dass der Artikel an Sie abgeschickt wurde.“ Mit Schreiben vom 14.03.2017 fordert K die B zur Vertragsabwicklung auf. Die Aufforderungen blieben ohne Antwort. K verlangt von B in der Folgezeit weiter die Herausgabe des Whirlpools. Daraufhin führt B an, dass ihr Marketplace-Konto bei Amazon am 06.02.2017 gehackt und über 200.000 Artikel zu unrealistischen Preisen angeboten worden seien. Bereits in der Nacht habe sie den Account daher bei Amazon deaktiviert. Amazon habe ihr zudem zugesichert, getätigte Bestellungen zu stornieren und die Besteller zu informieren. Darüber hinaus führt B an, dass sie bei Amazon nur Schalter und Steckdosen verschiedener Hersteller vertreibt. Sanitärartikel gehören nicht zu ihrem Sortiment. Zu Recht? Jura Intensiv PRÜFUNGSSCHEMA A. K gegen B gem. § 433 I 1 BGB I. Abschluss eines Kaufvertrags II. Zwischenergebnis B. Ergebnis LÖSUNG A. K gegen B gem. § 433 I 1 BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Whirlpool gem. § 433 I 1 BGB haben. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2018 Zivilrecht 63 I. Abschluss eines Kaufvertrags Dies setzt voraus, dass die Parteien einen wirksamen Kaufvertrag über den Whirlpool abgeschlossen haben. Ein Vertrag kommt durch zwei inhaltlich korrespondierende mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen in Form von Angebot und Annahme zustande. Dabei ist eine Willenserklärung eine Willensäußerung, die auf die Erzielung einer privatrechtlichen Rechtsfolge gerichtet ist. „A.I. Zuvörderst ist vor dem Hintergrund des Vortrages der B, wonach ihr Konto „gehackt“ worden ist, bereits zweifelhaft, ob B überhaupt eine Willensäußerung abgegeben hat, wenn tatsächlich nicht durch sie Artikel im Marketplace angeboten wurden, sondern durch Dritte unter Verwendung ihres Kontos. Ungeachtet der sonstigen rechtlichen Bewertung des Verkaufsvorganges folgt der Abschluss eines Kaufvertrags auch in den Fällen, in denen über eine Internetplattform Gegenstände zum Verkauf angeboten werden, regelmäßig den Bestimmungen der §§ 145 ff. BGB und mithin auch den hierauf anwendbaren Vertretungsregelungen. A.I. 1) Handelt ein Dritter unter Verwendung eines fremden Mitgliedskontos und soll bei der Nutzung beim Geschäftspartner der Anschein erweckt werden, es solle mit dem Namensträger ein Geschäft abgeschlossen werden, hat der BGH für die Plattform ebay bereits herausgestellt, dass unter der weiteren Voraussetzung, dass dadurch eine falsche Vorstellung über die Identität des Handelnden hervorgerufen wird, die Regeln über die Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) und die hierzu entwickelten Grundsätze entsprechend Anwendung finden, obwohl dem Handelnden ein Vertretungswille fehlt. Eine rechtsgeschäftliche Erklärung, die unter solchen Voraussetzungen unter dem Namen eines anderen abgegeben worden ist, verpflichtet den Namensträger daher regelmäßig nur dann, wenn sie in Ausübung einer bestehenden Vertretungsmacht erfolgt (§ 164 I 1 BGB analog), vom Namensinhaber nachträglich genehmigt worden ist (§ 177 I BGB analog) oder wenn die Grundsätze über die Anscheins- oder die Duldungsvollmacht eingreifen. A.I. 2) Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die B eine Vertretungsmacht für derlei Geschäfte erteilt hätte. Wertet man ihren Auftritt bei Amazon aus, veräußert sie dort tatsächlich nur Lichtschalter verschiedener Hersteller und keine Jacuzzis, so dass es auf Basis dessen bereits unwahrscheinlich erscheint, dass für derlei Geschäfte eine Vertretungsmacht erteilt ist. Gleichsam gibt es keine Anhaltspunkte für eine Genehmigung; die B hat vielmehr vorgetragen, noch in der Nacht auf den 06.02.2017 ihr Konto deaktiviert und Amazon informiert zu haben. Aus diesem Umständen folgt zugleich, dass hier kein Raum für die Annahme ist, die B habe es willentlich geschehen lassen, dass ihr Konto für die Veräußerung von Sanitärgeräten genutzt wird. Mithin fehlt es an den Voraussetzungen einer Duldungsvollmacht. Eine Anscheinsvollmacht kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn die Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht greifen in der Regel nur dann ein, wenn das Verhalten des einen Teils, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten glaubt schließen zu können, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit ist. Daran fehlt es hier mit Blick darauf, dass der Missbrauch offenbar am 06.02.2017 erfolgte und noch in der Nacht auf den 07.02.2017 durch Deaktivierung des Kontos unterbunden worden sein soll. Jura Intensiv Bereits der Umstand, dass das Konto der B gehackt wurde, lässt an einem Vertragsschluss zwischen den Parteien zweifeln. Eine Identitätstäuschung führt zur analogen Anwendung der §§ 164 ff. B hat keine Vertretungsmacht erteilt. B hat nicht analog § 177 BGB genehmigt. B ließ es nicht willentlich geschehen, dass ihr Konto benutzt wurde. Deshalb bestand keine Duldungsvollmacht. Anders lag der Fall in der Entscheidung des OLG München, Urteil vom 05. 02. 2004, 19 U 5114/03. Ebenso scheidet mangels Rechtsscheins eine Anscheinsvollmacht aus. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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