Aufrufe
vor 6 Jahren

RA Digital - 02/2018

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Urteil
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Recht
  • Auflage
  • Stgb
  • Strafrecht
  • Anspruch
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

102

102 Strafrecht RA 02/2018 PRÜFUNGSSCHEMA: NOTWEHR, § 32 StGB A. Objektive Voraussetzungen I. Notwehrlage: Gegenwärtiger rechtswidriger Angriff II. Notwehrhandlung 1. Handlung richtet sich gegen den Angreifer 2. Geeignetheit der Handlung zur Abwehr des Angriffs 3. Erforderlichkeit der Handlung zur Abwehr des Angriffs 4. Gebotenheit der Handlung zur Abwehr des Angriffs B. Subjektive Voraussetzung: Verteidigungswille LÖSUNG Angriff ist jede Bedrohung oder Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten. BGH, Urteil vom 31.01.2007, 5 StR 404/06 Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn 14 BGH, Urteil vom 21.03.2017, 1 StR 486/16. JA 2017, 629 A. Strafbarkeit gem. § 212 I StGB durch den Schuss Durch den Schuss in die Brust des H könnte A sich wegen Totschlags gem. § 212 I StGB zum Nachteil des H strafbar gemacht haben. I. Tatbestand Durch den Schuss in die Brust des H hat A diesen getötet. A handelte diesbezüglich auch mit bedingtem Vorsatz. Er hat also den Tatbestand des § 212 I StGB erfüllt. II. Rechtswidrigkeit A könnte allerdings durch Notwehr, § 32 StGB, gerechtfertigt sein. 1. Objektive Voraussetzungen a) Notwehrlage: Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff A müsste sich in einer Notwehrlage befunden haben, d.h. im Zeitpunkt des Schusses müsste ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf ihn stattgefunden haben. Dass H auf A schießen wollte, stellt einen Angriff auf Leib und Leben des A dar. Dieser Angriff müsste auch rechtswidrig gewesen sein, d.h. H dürfte nicht seinerseits gerechtfertigt sein. Zwar stellen der vorherige Tritt des A in das Gesäß des H und die Beschimpfungen Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit und die Ehre des H dar. Jedoch waren diese Angriffe bereits in dem Moment beendet, in dem H seine Flinte aus dem Auto holte. H war also keinem gegenwärtigen Angriff des A mehr ausgesetzt und konnte sich deshalb seinerseits nicht auf Notwehr, § 32 StGB, berufen. Da auch andere Rechtfertigungsgründe für H nicht ersichtlich sind, war dessen Angriff auf A rechtswidrig. Der Angriff des H auf A müsste auch gegenwärtig gewesen sein. Jura Intensiv „[9] a) Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn das Verhalten des Angreifers unmittelbar in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben einer Abwehrhandlung entweder deren Erfolg in Frage gestellt wäre oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste. Der Angriff beginnt, wenn der Angreifer unmittelbar zu diesem ansetzt, also mit einem Verhalten, das unmittelbar in die eigentliche Verletzungshandlung umschlagen soll; bei einem vorsätzlichen Angriff ist dies die Handlung, die dem Versuchsbeginn unmittelbar vorgelagert ist. Entscheidend für die Beurteilung ist dabei die objektive Sachlage, nicht die Befürchtungen des Angegriffenen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2018 Strafrecht 103 [10] b) Nach diesen Grundsätzen steht der Umstand, dass die Flinte des Geschädigten ungeladen war, der Annahme eines gegenwärtigen Angriffs nicht entgegen. Ausweislich der Urteilsfeststellungen hatte dieser die Waffe ergriffen und hantierte daran, um auf den Angeklagten zu schießen, wobei die Schussbereitschaft innerhalb weniger Sekunden hätte hergestellt werden können. Angesichts dieser kurzen Zeitspanne lag trotz der noch notwendigen Zwischenschritte eine schon unmittelbare und akute Bedrohung des Angeklagten vor.“ Der Angriff war also auch gegenwärtig. A befand sich somit in einer Notwehrlage. b) Notwehrhandlung aa) Handlung richtet sich gegen den Angreifer Die Notwehrhandlung des A – der Schuss – richtete sich gegen den Angreifer H. bb) Geeignetheit der Handlung zur Abwehr des Angriffs H hat zwar trotz des Schusses in seine nicht sofort innegehalten. Jedoch kann bei einem Schuss in die Brust des Angreifers grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass dieser seinen Angriff abbrechen wird. Eine solche Handlung ist also durchaus abwehrtauglich und somit zur Abwehr des Angriffs geeignet. cc) Erforderlichkeit der Handlung zur Abwehr des Angriffs Der Schuss müsste auch zur Abwehr des Angriffs erforderlich gewesen sein. „[12] a) Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt sein. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken. Jura Intensiv [13] Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung für den lebensgefährlichen Einsatz einer Schusswaffe in Notwehrsituationen dahin konkretisiert, dass ein solcher zwar nicht von vornherein unzulässig ist, aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein kann. In der Regel ist der Angegriffene Geeignet zur Abwehr des Angriffs ist jede Handlung, die nicht von vornherein als völlig abwehruntauglich erscheint. BGH, Beschluss vom 22.06.2016, 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593 BGH, Beschluss vom 21.07.2015, 3 StR 84/15 Vgl. hierzu Dr. Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht AT I, Rn 407 ff. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats