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RA Digital - 02/2018

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106 Strafrecht

106 Strafrecht RA 02/2018 Problem: Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert Einordnung: Strafrecht BT III/Straßenverkehrsdelikte LG Heilbronn, Beschluss vom 14.08.2017 8 Qs 39/17 LEITSÄTZE (DER REDAKTION) 1. Für die Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert i.S.v. § 315c I StGB ist es nicht ausreichend, dass der Gesamtwert der gefährdeten Sache über der maßgeblichen Wertgrenze von 750,- € liegt; vielmehr muss der drohende Schaden diese Wertgrenze übersteigen. 2. Bei Eintritt eines Schadens, der über der Wertgrenze liegt, steht das Vorliegen einer konkreten Gefahr i.S.v. § 315c I StGB unzweifelhaft fest, weil das Ausmaß der Gefahr nicht geringer gewesen sein kann als der tatsächlich eingetretene Schaden. 3. Ist nur unbedeutender Schaden entstanden, so darf daraus nicht ohne Weiteres auf eine nur unbedeutende Gefahr geschlossen werden; nur wenn die Prognose ergibt, dass von vornherein lediglich der tatsächlich eingetretene geringe Schaden gedroht hat, also kein unverbrauchter Eskalationsrest vorhanden war, scheidet ein überschießender Gefährdungsschaden aus. EINLEITUNG Das Landgericht Heilbronn setzt sich im vorliegenden Beschluss mit dem Problem auseinander, wann eine konkrete Gefahr für eine fremde Sache von bedeutendem Wert i.S.v. § 315c I StGB anzunehmen ist. Entsprechend der Rechtsprechung des BGH geht das LG davon aus, dass die Grenze für einen „bedeutenden Wert“ bei 750,- € anzusetzen ist. Es führt weiter aus, dass jedenfalls dann, wenn ein Schaden oberhalb dieser Wertgrenze eingetreten sei, auch eine konkrete Gefahr für fremde Sachen gegeben sein müsse. Allerdings schließe das Fehlen eines entsprechenden Schadens es nicht aus, eine konkrete Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert anzunehmen. SACHVERHALT Die Beschuldigte B fuhr am 30.06.2017 gegen 14:55 Uhr auf der B 19 von W. nach U./K. mit ihrem Pkw und kam aufgrund ihrer Übermüdung auf die Gegenfahrbahn der gerade verlaufenden Straße. Ihre Fahrunsicherheit hätte B bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt zuvor erkennen können. Nachdem F, der Fahrer der entgegenkommenden Sattelzugmaschine mit Auflieger, die Lichthupe betätigte und zudem die der B nachfolgende Zeugin Z hupte, gelang es B, ihr Fahrzeug auf ihre Fahrspur zurück zu lenken. Hierbei streifte sie jedoch mit ihrem Fahrzeug das entgegenkommende Gespann, wobei an diesem ein Schaden in Höhe von etwa 500,- € entstand. Hat B sich wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c I Nr. 1b), III Nr. 2 StGB strafbar gemacht? Jura Intensiv PRÜFUNGSSCHEMA: GEFÄHRDUNG DES STRASSENVERKEHRS, § 315c I Nr. 1B), III Nr. 2 StGB A. Tatbestand I. Tathandlung gem. § 315c I Nr. 1b) StGB 1. Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr 2. Fahrunsicherheit infolge geistiger oder körperlicher Mängel II. Konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert III. Zurechnungszusammenhang IV. Fahrlässigkeit bzgl. I. – III. B. Rechtswidrigkeit und Schuld LÖSUNG Durch das Fahren mit ihrem Pkw könnte B sich wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c I Nr. 1b), III Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2018 Strafrecht 107 A. Tatbestand I. Tathandlung gem. § 315c I Nr. 1b) StGB B müsste die Tathandlung des § 315c I Nr. 1b) StGB vorgenommen haben, d.h. sie müsste im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt haben, obwohl sie infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. 1. Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr Dadurch, dass sie mit ihrem Pkw auf der B 19 fuhr, hat B ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt. 2. Fahrunsicherheit infolge geistiger oder körperlicher Mängel B war aufgrund ihrer Übermüdung nicht mehr in der Lage, ihr Fahrzeug eine längere Strecke so zu steuern, dass sie den Anforderungen des Straßenverkehrs so gewachsen war, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwartet ist. Eine Fahrunsicherheit (auch: Fahruntüchtigkeit) der B infolge geistiger Mängel war somit gegeben. II. Konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert Es müsste eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert eingetreten sein. Eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen, insb. des F, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. In Betracht kommt allerdings eine konkrete Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert, insb. für die von F geführte Sattelzugmaschine. „[11] Ob durch das Fehlverhalten der Beschuldigten eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet wurde ist stets und auch dann in zwei Schritten zu prüfen, wenn es zu einem tatsächlichen Schaden gekommen ist, da dieser geringer sein kann, als der maßgebliche Gefährdungsschaden. [12] Dass es sich bei der vom Zeugen gelenkten Sattelzugmaschine mit Auflieger um eine fremde Sache von bedeutendem Wert i.S.v. § 315c StGB handelt ist vorliegend eindeutig. Die seitens der Staatsanwaltschaft vorgenommene Schätzung mit weit über 100.000,- € erscheint insoweit realistisch. Jura Intensiv [13] Ferner hat dieser Sache auch ein bedeutender Schaden gedroht, wobei die Wertgrenze nach wie vor bei 750,- € anzusiedeln ist. [14] Eine entsprechende, konkrete Gefahr setzt jedoch bereits begrifflich keinen tatsächlichen Schadenseintritt voraus. Vielmehr ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass sich die der Tathandlung innewohnende latente Gefährlichkeit in einer Weise konkretisiert, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht. Ein unbeteiligter Beobachter muss zu der Einschätzung gelangen, dass das Ganze gerade noch einmal gutgegangen ist. [15] Zwar ist ein derartiger Beinahe-Unfall, bei dem das bedrohte Rechtsgut in eine hochgradige Existenzkrise gerät, dann nicht anzunehmen, wenn es dem entgegenkommenden Fahrer noch möglich ist auf das verkehrswidrige Verhalten des Beschuldigten durch ein im Bereich Fahrzeug ist jedes zur Ortsveränderung bestimmte Fortbewegungsmittel zur Beförderung von Personen oder Gütern. Führen eines Fahrzeugs bedeutet, das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung der Antriebskräfte in Bewegung zu setzen oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtung während der Fahrtbewegung zu lenken. Vgl. hierzu Schneider, JURA INTENSIV, Strafrecht BT III, Rn 1138 ff. Gefahr ist ein ungewöhnlicher Zustand, in dem nach den konkreten Umständen der Eintritt eines Schadens nahe liegt. Konkret ist die Gefahr, wenn der Eintritt des Schadens derart nahe liegt, dass es lediglich vom Zufall abhängt, ob der Schaden ausbleibt. BGH, Beschluss vom 31.01.2017, 4 StR 597/16, NStZ-RR 2017, 123 BGH, Beschluss vom 28.09.2010, 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215 BGH, Urteil vom 30.03.1995, 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131; OLG Rostock, Urteil vom 20.12.2002, 1 Ss 206/01 I 88/01 OLG Hamm, Beschluss vom 09.12.2004, 4 Ss 510/04 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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