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RA Digital - 02/2019

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RA 02/2019 Referendarteil: Strafrecht 109 Speziell für Referendare Problem: Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts Einordnung: Revision, Zulässigkeit BGH, Beschluss vom 03.07.2018 4 StR 227/18 EINLEITUNG Die vorliegende Entscheidung betrifft die Frage der Wirksamkeit von Prozesserklärungen, hier eines Rechtsmittelverzichts. Der BGH bestätigt dabei seine ständige Rechtsprechung, dass solche Erklärungen nur in Ausnahmefällen unwirksam sind. SACHVERHALT Das LG hat den vorbestraften A erstinstanzlich zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung und der Rechtsmittelbelehrung hat der verteidigte A zu Protokoll erklärt, dass er das Urteil „sofort annehmen wolle“; er „bestehe darauf“, das Urteil anzunehmen. Gleichzeitig äußerte er, dass der Vorsitzende „ein Märchen“ erzählt habe und dass er kein Mörder sei. Nach dem Hinweis des Vorsitzenden, dass sich aus diesem Zusatz ergebe, dass der A mit dem Urteil nicht einverstanden sei, äußerte dieser, dass er „ja doch keine Chance habe“ und das Urteil deshalb annehmen wolle. Auf den weiteren Hinweis des Vorsitzenden, dass sich A dies überlegen solle, äußerte dieser erneut, dass er „darauf bestehe“, das Urteil anzunehmen. Der Verteidiger gab keine Erklärung ab. Ist eine form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des A gegen das Urteil zulässig? PRÜFUNGSSCHEMA: ZULÄSSIGKEIT DER REVISION Zulässigkeit I. Statthaftigkeit, §§ 333, 335 StPO II. Rechtsmittelbefugnis III. Beschwer IV. Form- und fristgerechte Einlegung, § 341 StPO V. Form- und fristgerechte Antragstellung und Begründung, §§ 344f. StPO VI. Kein Rechtsmittelverzicht Jura Intensiv DER LEITSATZ (DER REDAKTION) Die Erklärung des Angeklagten, er nehme das Urteil an, enthält regelmäßig einen Rechtsmittelverzicht. Dessen Wirksamkeit steht weder entgegen, dass die Erklärung in emotional aufgewühltem Zustand abgegeben wird, noch dass sie mit inhaltlicher Kritik an dem Urteil einhergeht. LÖSUNG Zulässigkeit I. Statthaftigkeit Die Revision gegen das Urteil einer großen Strafkammer des Landgerichts ist statthaft, § 333 StPO. II. Rechtsmittelbefugnis Als Angeklagter ist A zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt, § 296 I StPO. Dies gilt auch für seinen Verteidiger, § 297 StPO. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind in einer Revisionsklausur regelmäßig unproblematisch und sollten deshalb kurz abgehandelt werden. Nur wenn – wie hier - bei einem Prüfungspunkt ein Problem auftaucht, ist hierzu ausführlich Stellung zu nehmen. III. Beschwer Da A in dem angefochtenen Urteil wegen einer Straftat verurteilt wurde, ist er durch dieses Urteil auch beschwert. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

110 Referendarteil: Strafrecht RA 02/2019 IV. Form- und fristgerechte Einlegung Die Voraussetzungen für eine form- und fristgerechte Einlegung der Revision, § 341 StPO, liegen vor. V. Form- und fristgerechte Antragstellung und Begründung A hat auch seine Revision gem. § 344 f. StPO form- und fristgerecht mit Anträgen versehen und begründet. Ein Rechtsmittelverzicht ist grds. bedingungsfeindlich, unwiderruflich und nicht anfechtbar. Die Erklärung ist in der Form abzugeben, die für die Rechtsmitteleinlegung gilt, und wird wirksam, sobald sie gegenüber dem mit der Sache befassten Gericht (judex a quo) abgegeben wird. Eine Unwirksamkeit der Erklärung kommt vor allem bei einer vorausgegangenen Verständigung (§ 302 I S. 2 StPO), Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten bei Abgabe der Erklärung oder einer unzulässigen Willensbeeinflussung, also bei Täuschung, Drohung oder auch einer irrtümlich objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts in Frage. VI. Kein Rechtsmittelverzicht Der Zulässigkeit der Revision könnte ein wirksamer Rechtsmittelverzicht des A mittels seiner Erklärungen nach der Urteilsverkündung entgegenstehen. „[6] Für das Vorliegen eines Rechtsmittelverzichts kommt es nicht darauf an, dass das Wort „verzichten“ benutzt wird, sondern maßgeblich ist der Gesamtsinn der Erklärung. Die Erklärung, das Urteil werde „angenommen“, enthält regelmäßig einen Rechtsmittelverzicht. Vorliegend sind die mehrfachen und unmissverständlichen Erklärungen des A, er wolle das Urteil annehmen, eindeutig in dem Sinne zu verstehen, dass auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet worden ist. […] [7] Die zusätzlichen Äußerungen des A, wonach er kein „Mörder“ sei und der Vorsitzende „ein Märchen“ erzählt habe, stehen der Annahme eines Rechtsmittelverzichts nicht entgegen, da ein solcher nicht voraussetzt, dass das verkündete Urteil für inhaltlich richtig gehalten wird. Zudem hat der A seinen Verzichtswillen auch noch nachdrücklich geäußert, nachdem ihn der Vorsitzende auf Bedenken am Vorliegen eines Rechtsmittelverzichts hingewiesen hatte. Spätestens hierdurch wurden etwaige Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erklärung ausgeräumt. [8] Ebenso wenig stellt es die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts in Frage, wenn es sich bei der Erklärung des A um eine wütende Spontanäußerung gehandelt haben sollte; auch der in emotionaler Aufgewühltheit erklärte Rechtsmittelverzicht ist wirksam. Vorliegend kommt hinzu, dass der strafrechtlich erheblich vorbelastete A […] gerichtserfahren ist und sich nicht erstmals mit einer gravierenden Verurteilung konfrontiert sah […]. [9] Auch der Verteidiger hat nicht zu erkennen gegeben, dass bezüglich der Frage eines einzulegenden Rechtsmittels noch Erörterungsbedarf bestehe, was der Wirksamkeit des Verzichts des Angeklagten hätte entgegenstehen können. Vielmehr hat der Verteidiger ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls keine Erklärung abgegeben“. Jura Intensiv Der Rechtsmittelverzicht des A ist wirksam. Ergebnis: Die Revision des A ist somit nicht zulässig. Vgl. dazu Weidemann/Scherf, Die Revision im Strafrecht, Rn 67 FAZIT Der Zulässigkeit einer Revision kann eine wirksame Rechtsmittelverzichtserklärung entgegenstehen. Solche Erklärungen sind grds. bedingungsfeindlich, unwiderruflich und nicht anfechtbar. Dies gilt auch für einen in emotionaler Aufgewühltheit erklärten Rechtsmittelverzicht. Der Verzicht wird – anders als hier - jedoch nicht bindend, solange der Angeklagte oder sein Verteidiger zu erkennen geben, dass sie die Frage des Verzichts noch miteinander oder mit Dritten erörtern wollen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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