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RA Digital - 02/2020

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88 Öffentliches Recht

88 Öffentliches Recht RA 02/2020 Subsumtion: Antragsteller stören schon gar nicht den Versammlungszweck Zumindest fehlt die Erheblichkeit der Störung Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kann auch nicht angenommen werden, dass die Antragsteller durch die Teilnahme an der genannten Versammlung ausschließlich Werbung für die MLPD betreiben wollen. Vielmehr ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass das Mitführen von Fahnen, Transparenten, Plakaten, Flugblättern etc. einer Partei bei objektiver Betrachtung den Rückschluss zulässt, dass die Mitglieder der betroffenen Partei das Anliegen der „Fridays for Future“-Demonstration unterstützen. Zudem haben auch die von den Antragstellern vorgelegten und nach ihrem Vortrag bei der Demonstration am 20. September 2019 verteilten Flugblätter einen eindeutigen Bezug zu Fragen des Klima- und Umweltschutzes. Ob die Mitglieder der Antragstellerin zu 1. bei der Demonstration am 20. September 2019 (auch) ein rot gefärbtes Faltblatt mit Parteiwerbung verteilt haben, ist aus den bereits dargelegten Gründen für die streitgegenständliche Entscheidung nicht von Bedeutung. […] Unabhängig hiervon ist eine (unterstellte) Störung der Ordnung der Versammlung durch den Antragsteller zu 2. und seinen Begleiter aber auch nicht als erheblich zu betrachten. Insbesondere das Schwenken von Parteifahnen und das Verteilen von Flugblättern war und ist nicht geeignet, den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung in Frage zu stellen. Die Versammlung war in keinem Zeitpunkt in ihrem Bestand gefährdet. Auch stand zu keiner Zeit zu befürchten, dass das Ziel der Versammlung – nämlich die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens – nicht oder nur eingeschränkt erreicht werden würde. Eine Störung der Versammlung durch akustische oder gar körperliche Einwirkungen war nicht gegeben. Die fehlende Erheblichkeit lässt sich zuletzt daran festmachen, dass nach dem polizeilichen Verlaufsbericht lediglich 8 Versammlungsteilnehmer dem Lager der Antragstellerin zu 1. zugerechnet wurden. Bei einer Teilnehmerzahl von ca. 10.000 Personen war es ihnen daher schon allein aufgrund der Gruppengröße kaum möglich, durch ihr Verhalten den Ablauf der Versammlung zu behindern.“ Jura Intensiv Somit lag keine erhebliche Störung der Ordnung der Versammlung i.S.v. § 10 III 1 NVersG vor, sodass die polizeiliche Aufforderung rechtswidrig war. FAZIT Die beiden Entscheidungen zeigen sehr schön, wie weit der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit reicht. Danach ist auch derjenige, der sich kritisch an einer Versammlung beteiligen will oder für eine politische Partei wirbt, durch die Versammlungsfreiheit geschützt, sofern sein Verhalten einen Bezug zum Versammlungszweck hat und nicht darauf gerichtet ist, die Versammlung zu verhindern. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2020 Öffentliches Recht 89 Problem: Kfz-Kennzeichenkombination „-HH 1933“ Einordnung: Straßenverkehrsrecht VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.2019 6 L 175/19 OVG Münster, Beschluss vom 14.11.2019 8 B 629/19 EINLEITUNG Kfz-Wunschkennzeichen sind oftmals Anlass für Heiterkeit oder Kopfschütteln und werden in aller Regel von den Behörden toleriert. Eine Grenze ist jedoch erreicht, wenn ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt. Ob ein solcher Sittenverstoß wegen eines Bezugs des Kennzeichens zur NS-Zeit vorliegt, musste im vorliegenden Fall geklärt werden. SACHVERHALT Dem Antragsteller als Halter eines Kfz wurde auf seinen Antrag von der zuständigen Behörde ein Kfz-Kennzeichen mit der Kombination „KK-HH 1933“ zugeteilt. Nach einer, vom Antragsteller bestrittenen, Beschwerde aus der Bevölkerung gibt ihm die Behörde nach vorangegangener Anhörung und gestützt auf § 8 III Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) auf, sein Fahrzeug gebührenfrei umzukennzeichnen. Zur Begründung führt die Behörde aus, aus der Kombination der Buchstaben und Zahlen des Kennzeichens des Antragstellers (1933 als Jahr der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland) dränge sich für den Betrachter der Verdacht auf, die Buchstaben „HH“ könnten für den Ausspruch „Heil Hitler“ stehen. Das Kennzeichen sei daher sittenwidrig und das Fahrzeug umzukennzeichnen. Dem hält der Antragsteller entgegen, er verfüge über einen bestandskräftigen Bescheid über die Zuteilung des Wunschkennzeichens, der von der Behörde nicht zurückgenommen wurde. Auch lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme nicht vor. Ferner reiche allein die Möglichkeit, dass die Buchstaben- und Zahlenkombination des Kennzeichens irgendwelche NS-Assoziationen wecken könnten, nicht aus, um eine Sittenwidrigkeit annehmen zu können. Anderenfalls müssten sämtliche Fahrzeuge in der Hansestadt Hamburg (HH) stillgelegt werden. Weiterhin gebe es auch in der Justiz die Abkürzungen „Ns“ und „Ss“. Darüber hinaus sei die Sittenwidrigkeit dadurch widerlegt, dass das Kennzeichen ihm ursprünglich von der Behörde zugeteilt wurde. Halte ein Sachbearbeiter, der tagtäglich Kfz-Kennzeichen vergebe, die umstrittene Kombination ursprünglich für unproblematisch, könne nicht im Nachhinein von einem Sittenverstoß ausgegangen werden. Schließlich sei die Kennzeichenkombination „-HH 1933“ bundesweit üblich. Ein in Bayern wohnhafter Bekannter des Antragstellers führe dieses Kennzeichen beanstandungsfrei seit ca. 10 Jahren. Da der Sittlichkeitsmaßstab deutschlandweit einheitlich sei, könne ihm folglich aus der Kennzeichenkombination kein Nachteil entstehen. Ist die behördliche Verfügung rechtmäßig? Jura Intensiv LEITSATZ Ein Kfz-Kennzeichen mit der Kombination „-HH 1933“ verstößt gegen die guten Sitten im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 3 FZV. Es ist objektiv geeignet, ohne Weiteres eine Assoziation mit dem NS-Regime herzustellen. § 8 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV): „(1) Die Zulassungsbehörde teilt dem Fahrzeug ein Kennzeichen zu, um eine Identifizierung des Halters zu ermöglichen. Das Kennzeichen besteht aus einem Unterscheidungszeichen (ein bis drei Buchstaben) für den Verwaltungsbezirk, in dem das Fahrzeug zugelassen ist, und einer auf das einzelne Fahrzeug bezogenen Erkennungsnummer. Die Zeichenkombination der Erkennungsnummer sowie die Kombination aus Unterscheidungszeichen und Erkennungsnummer dürfen nicht gegen die guten Sitten verstoßen. […] (3) Die Zulassungsbehörde kann das zugeteilte Kennzeichen von Amts wegen oder auf Antrag ändern und hierzu die Vorführung des Fahrzeugs anordnen.“ LÖSUNG Die behördliche Verfügung ist rechtmäßig, wenn sie auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, die formell und materiell rechtmäßig angewendet wurde. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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