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RA Digital - 02/2020

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60 Zivilrecht

60 Zivilrecht RA 02/2020 Problem: Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund Einordnung: Schuldrecht, culpa in contrahendo OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.2019 I-24 U 21/19 LEITSÄTZE 1. Auch nach länger andauernden Vertragsverhandlungen über einen Grundstückskaufvertrag kann sich ein Verhandlungspartner grundsätzlich ohne Nachteile von den Verhandlungen zurückziehen. Macht der andere Vertragsteil im Hinblick auf einen erhofften Vertragsschluss Aufwendungen, dann trägt er selbst die damit verbundenen Risiken. 2. Die Eigenverantwortung für die Beschaffung notwendiger Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko stellt einen zentralen Vertrauensaspekt dar, der auch bei der Beurteilung von Informationspflichten zu beachten ist. In einer Marktwirtschaft ist im Grundsatz jede Seite selbst dafür verantwortlich, sich über die Marktverhältnisse zu informieren und sich vertragsrelevante Informationen zu verschaffen. Eine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen können, besteht nicht. EINLEITUNG Wer vor der endgültigen Bindung die Vertragsverhandlungen abbricht, haftet nur in Ausnahmefällen auf Schadensersatz. Ob eine solche Ausnahme vorlag, musste das OLG Düsseldorf entscheiden. SACHVERHALT B ist Eigentümer eines Grundstücks, K ist Bauunternehmerin. Sie bebaut und vermarktet eigene und fremde Grundstücke. Auf dem Grundstück des B steht ein seit 1996 unbewohntes, offensichtlich baufälliges Gebäude. Grenzständig zum Nachbargrundstück der Z befindet sich eine sanierungsbedürftige, von Feuchtigkeit betroffene Giebelwand, die Anlass laufender Rechtsstreitigkeiten zwischen B und Z ist. Unter der Grundstücksoberfläche befindet sich eine B bekannte, unterirdisch verlaufende Wasserleitung, welche weder grundbuchrechtlich noch baulastenmäßig erfasst ist. Am 26.03.2014 schloss B mit T einen Maklervertrag. T klärte daraufhin K über die Verkaufsabsichten des B auf. Am 03.04.2014 schloss K mit S einen Beratervertrag. In diesem versprach K dem S 15.000 € für die Beratung im geplanten Bauvorhaben zu zahlen. S sollte Beratungsleistungen für die Erstellung von Häusern, insbesondere für die Vertragsgestaltung und Vertragsanbahnung des Ankaufs des Grundstücks und der Objektvermarktung erbringen. K wünschte die Errichtung eines Gebäudes mit sechs Wohneinheiten. Im Mai 2014 stellte sie das Projekt auf einer von T organisierten Immobilienbörse vor. Nachdem B als gewünschten Kaufpreis die Summe von 165.000 € genannt hatte, erachtete ein von K beauftragter Architekt das zunächst geplante Vorhaben für unwirtschaftlich und prüfte in der Folgezeit eine über das gesetzliche Maß hinausgehende Bebaubarkeit. In diesem Zusammenhang führte er Gespräche mit der Stadtverwaltung. Während dieser gesamten Zeit gab es keinen direkten Kontakt zwischen B und K. Insbesondere stellte K keine Fragen an B zur Beschaffenheit des Grundstücks. Stattdessen nahmen Mitarbeiter der K dort Besichtigungen vor. Der Architekt erstellte eine Planung zur Errichtung eines Fünffamilienhauses mit sechs PKW-Garagen, welche Grundlage eines am 09.07.2015 von K gestellten Antrags auf Erlass eines Bauvorbescheids war. Diesen beschied die Stadt am 24.09.2015 positiv und forderte hierfür Gebühren i.H.v. 968,- €. Der Architekt stellte eine Vergütung von 35.333,21 € in Rechnung. Erst jetzt klärte B die K über die schadhafte Giebelwand und die Wasserleitung, deren Verlegung 1.980 € kosten würde, auf. K bot daraufhin B an, das Grundstück zu einem Kaufpreis von 130.000 zu erwerben. Dies lehnte B ab. K fordert von B Schadensersatz in Höhe von 39.000 € wegen sinnlos getätigter Aufwendungen. K versichert glaubhaft, dass er die Planungs- und Beratungsleistungen nicht in Auftrag gegeben hätte, wenn er von der schadhaften Giebelwand und der Wasserleitung gewusst hätte. B weist die Forderung zurück, weil es in der Verantwortung der K läge, zuerst Informationen zum Grundstück einzuholen und erst dann Planungsleistungen in Auftrag zu geben. Zu Recht? Jura Intensiv © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2020 Zivilrecht 61 LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Zahlung von Schadensersatz gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB haben. I. Schuldverhältnis im Sinne des § 311 II Nr. 1 BGB Aufgrund der zwischen K und B geführten Vertragsverhandlungen bestand auch ohne notariell beurkundeten Vertragsschluss zwischen beiden ein auf Vertragsschluss gerichteter sozialer Kontakt. Dies genügt zur Annahme eines rechtsgeschäftsähnlichen Verhältnisses gem. § 311 II Nr. 1 BGB. II. Pflichtverletzung gem. § 241 II BGB Gem. § 241 II BGB sind die Parteien im Rechtsverkehr zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Vermögensinteressen des jeweils anderen verpflichtet. Aus diesem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme erwachsen Schutz-, Obhuts-, Fürsorge-, Treue- und Aufklärungspflichten. 1. Aufklärungspflichtverletzung In Betracht kommt zunächst eine Aufklärungspflichtverletzung. K rügt, B habe ihn nicht über die schadhafte Giebelwand und die Wasserleitung hinreichend aufgeklärt, weshalb teure Aufwendungen für Planungs- und Beratungsleistungen getätigt wurden, die sich nach Abbruch der Vertragsverhandlungen als sinnlos erwiesen haben. Eine allgemeine Pflicht zur Aufklärung gibt es allerdings nicht. Informationsdefizite sind grundsätzlich Teil des allgemeinen Lebensrisikos. Eine Pflicht zur Aufklärung des potentiellen Vertragspartners besteht bei einem erkennbaren berechtigten Interesse an der Mitteilung einer Information, sofern die Preisgabe der Information zumutbar ist. Dies gilt umso mehr im vorvertraglichen Schuldverhältnis. Jura Intensiv [19] Eine Verletzung der Aufklärungspflicht des Beklagten betreffend die Mängel an der Giebelwand und des Vorhandenseins einer unterirdischen Wasserleitung scheitert bereits daran, dass der beabsichtigte Grundstückskaufvertrag nicht zustande gekommen ist und dass es grundsätzlich das gute Recht eines jeden an Vertragsverhandlungen Beteiligten ist, vom Vertragsschluss letztlich doch Abstand zu nehmen, ohne dies irgendwie begründen zu müssen. Hat der andere Teil gehofft, der Vertrag werde zustande kommen und aus diesem Grund etwa Aufwendungen gemacht, so ist es grundsätzlich seine Sache. Selbst wenn der andere Teil von diesen Aufwendungen weiß, begründet allein das keine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss. Denn grundsätzlich ist in einer Marktwirtschaft jede Seite für ihren Überblick über die Marktverhältnisse, die für sie vertragsrelevanten Informationen und deren Beschaffung selbst verantwortlich. Sie hat zudem das Risiko zu tragen, dass sie nicht alle vertragsrelevanten Informationen ermittelt hat. Denn derjenige, der einen Vertrag abschließt, muss sich selbst vergewissern, ob dieser für ihn von Vorteil ist oder nicht. Diese Eigenverantwortung darf nicht der anderen Seite zugewiesen werden. So muss der Vertragspartner auch nicht ungefragt auf vertragsrelevante Umstände hinweisen, Rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis durch gesteigerten sozialen Kontakt, der auf Vertragsschluss gerichtet ist Innerhalb des Anspruchs auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB muss die Art Pflichtverletzung besonders sorgfältig benannt, konkretisiert und schließlich subsumiert werden. Dies ist ständige Rechtsprechung: BGH, Urteile vom 07.12.2000, VII ZR 360/98; vom 29.03.1996, V ZR 332/94; vom 22.02.1989, VIII ZR 4/88; vom 28.03.1977, VIII ZR 242/75; vom 17.05.1962, VII ZR 224/60 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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