70 Zivilrecht RA 02/2022 Wichtig zum Verständnis: Es geht im vorliegenden Verfahren weder um die Ansprüche auf Unterlassung der Veröffentlichung der Zitate, noch um die Art der Veröffentlichung noch um die Höhe der Geldentschädigung. Entscheidend ist allein, ob K einen Anspruch des Erblassers auf Geldentschädigung geerbt haben kann oder ob dieser mit dessen Tod sofort erloschen ist und damit unvererblich ist. Neu ist an diesem Fall, dass der Erblasser ein Urteil erstritten hatte, das zur Zahlung einer Geldentschädigung verurteilte. Problematisch ist, dass dieses Urteil zu Lebzeiten des Erblassers nicht rechtskräftig geworden ist und sich deshalb die Frage nach der Vererblichkeit erneut stellt. Bereits in seinem Urteil vom 29.04.2014, VI ZR 246/12 = RA 08/2014, 397 hatte der BGH ausgeführt, dass Grundlage des schmerzensgeldähnlichen Ausgleichsanspruchs der Genugtuungsgedanke sei. Einem verstorbenen Menschen könne postmortal keine Genugtuung gewährt werden, der Präventionsgedanke könne den Entschädigungsanspruch nicht alleine tragen und ein Vergleich zum Urheberpersönlichkeitsrecht verbiete sich, weil dieses untrennbar mit den vermögensrechtlichen Elementen des Urheberrechts verbunden sei. Deshalb lehnte der BGH die Vererblichkeit ab. Die Besonderheit in diesem Prozess bestand darin, dass der Betroffene zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit, also vor Zustellung der Klage verstorben war. Zwangsvollstreckung 200 Tonbänder an den Erblasser heraus, nachdem er zuvor zur Herausgabe sämtlicher Tonbandaufnahmen, auf denen die Stimme des Erblassers zu hören ist, verurteilt worden war. Der Erblasser wies B1 in der Folgezeit darauf hin, dass die Nutzung der Tonbänder und Unterlagen rechtswidrig sei. Ferner erklärte er sowohl gegenüber dem D.-Verlag als auch gegenüber dessen Tochtergesellschaft H-Verlag, im Folgenden B3, dass er mit einer Veröffentlichung der Zitate nicht einverstanden sei. Dennoch erschien im Oktober 2014 ein u.a. von B1 verfasstes Buch mit dem Titel „VERMÄCHTNIS - DIE KOHL-PROTOKOLLE“ im Verlag der B3. Das Buch enthält eine Vielzahl angeblicher Äußerungen des Erblassers, von denen B1 behauptet, dass sie sämtlich anlässlich der zur Erstellung der Memoiren und des Tagebuchs geführten Gespräche gefallen und auf Tonband aufgezeichnet worden seien. Unter anderem finden sich im Buch 116 von K für unzulässig erachtete Passagen. Der Erblasser erstritt gegen B1 und B3 ein erstinstanzliches Urteil zur Zahlung einer Geldentschädigung von 1.000.000 € an ihn wegen der Veröffentlichung der dargestellten Textpassagen. Noch vor der Rechtskraft des Urteils starb der Erblasser. Das Urteil wurde in der von K geführten Berufungsinstanz abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen legte K Revision ein und verfolgt das ursprüngliche Klagebegehren weiter. Zu Recht? LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B1 und B3 gem. §§ 1922, 823 I BGB i.V.m. Art. 2 I, 1 I GG K könnte einen Anspruch gegen B1 und B3 aus ererbtem Recht gem. §§ 1922, 823 I BGB auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers haben. I. Alleinerbenstellung der K K müsste gem. § 1922 BGB Erbin des Erblassers sein. Es steht fest, dass K vom Erblasser als Alleinerbin eingesetzt wurde und mithin gem. §§ 1922, 1937 BGB Gesamtrechtsnachfolgerin des Erblassers geworden ist. Jura Intensiv II. Vererblichkeit eines Anspruchs aus §§ 1922, 823 I BGB i.V.m. Art. 2 I, 1 I GG auf Zahlung einer Geldentschädigung Fraglich ist, ob K auch einen Anspruch des Erblassers auf Geldentschädigung aus § 823 I BGB i.V.m. Art. 2 I, 1 I GG gegen B1 und B3 wegen schwerwiegender Verletzung des Persönlichkeitsrechts geerbt hat. Ein solcher Anspruch könnte nämlich im Zeitpunkt des Todes des Erblassers erloschen sein und folglich unvererblich sein. [8] Das Berufungsgericht (…) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen der Veröffentlichung der dargestellten Textpassagen in Buch und Hörbuch in dem für die rechtliche Beurteilung durch den (Berufungs-) Senat allein maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht (mehr) zu. Zwar sprächen gute Gründe dafür, dass dem Erblasser jedenfalls zu Lebzeiten ein Anspruch auf Zahlung einer empfindlichen Geldentschädigung aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagten zugestanden habe. Ein solcher Anspruch sei aber jedenfalls mit dem Tod des Erblassers erloschen. Denn der Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 02/2022 Zivilrecht 71 allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei nach der vom (Berufungs-) Senat für überzeugend erachteten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Grundsatz nicht vererblich. Besondere Gründe, die im konkreten Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigten, bestünden nicht. [9] Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Ob und - wenn ja - in welcher Höhe dem Erblasser bis zu seinem Tod ein Anspruch auf Geldentschädigung gegen die Beklagten zustand, kann offenbleiben. Denn der Anspruch ist mangels Vererblichkeit jedenfalls nicht gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf die Klägerin übergegangen. [10] Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats (…) ist der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Grundsatz nicht vererblich. Dies gilt auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchsinhabers bereits bei Gericht anhängig (…) ist. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergibt sich dabei entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs. Insoweit steht der Genugtuungsgedanke im Vordergrund; einem Verstorbenen kann Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden (…). Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention dient, ändert an der grundsätzlichen Unvererblichkeit des gesamten Anspruchs - auch im Falle der von der Revision im Streitfall für gegeben erachteten Zwangskommerzialisierung - nichts und gebietet das (Fort-) Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde (…); insbesondere führt dies entgegen der Ansicht der Revision auch nicht dazu, dass der Anspruch jedenfalls in Höhe des auf die Präventionsfunktion entfallenden Teils vererblich ist (…). [11] Hieran hält der erkennende Senat in Kenntnis der an dieser Auffassung in der Literatur geäußerten Kritik fest (…). Mit den insoweit auch von der Revision angeführten Gegenargumenten hat sich der erkennende Senat im Wesentlichen bereits in den genannten Entscheidungen vom (...) auseinandergesetzt. (...) Der von der Revision bei Verneinung der Vererblichkeit im Übrigen befürchteten Gefahr rechtsmissbräuchlicher (Verfahrens-) Verzögerungen durch den Schuldner, für die auf der Grundlage der dem Berufungsurteil zugrundeliegenden Feststellungen im Streitfall allerdings nichts spricht, kann - wenn überhaupt veranlasst - gegebenenfalls durch die Annahme einer Ausnahmekonstellation begegnet werden. (…) [14] Anders als die Revision (hilfsweise) meint, wurde der - unterstellte - Geldentschädigungsanspruch des Erblassers auch nicht mit Verkündung des landgerichtlichen Urteils im vorliegenden Verfahren, mit dem er dem Erblasser in Höhe von 1.000.000 € vorläufig vollstreckbar zugesprochen wurde, vererblich. [15] Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei erneut die Erkenntnis, dass die Geldentschädigung als solche insbesondere den Zweck hat, dem schwer in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzten Genugtuung zu verschaffen, einem Verstorbenen Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden kann (…). Kann der im Vordergrund stehende Zweck der Geldentschädigung nicht mehr erreicht werden, weil der Verletzte verstorben ist, verliert aber auch der Anspruch auf diese Geldentschädigung, also der Anspruch auf Genugtuung, seine innere Berechtigung, weshalb seine Vererblichkeit grundsätzlich ausscheidet. Soweit der Verletzte freilich noch zu seinen Lebzeiten die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung aus dem Geldentschädigungsanspruch erlangt und damit Jura Intensiv In seinem Urteil vom 23.05.2017, VI ZR 261/16, dehnte der BGH seine Rechtsprechung zur Unvererblichkeit des schmerzensgeldähnlichen Ausgleichsanspruchs auf einen Fall aus, in welchem die Klage des Betroffenen bereits zugestellt war, als dieser verstarb. Hier liegt die Besonderheit darin, dass Helmut Kohl sogar ein erstinstanzliches Urteil erstritten hatte, jedoch vor dem Eintritt der Rechtskraft verstorben ist. Siehe RA 08/2014, 397 Diese Sicht des BGH ist mehr als kritikwürdig, weil Medien mit Hochbetagten ihr Spiel treiben können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Es gibt auch keinen sachlichen Grund, warum die Präventivfunktion, die sonst immer die Höhe der Geldentschädigung entscheidend mitbestimmt, hier nicht ausreichen soll. Möglicherweise liegt eine vom BGH in Aussicht gestellte Ausnahmekonstellation hier vor. Ab hier werden die neuen Aspekte des Vererblichkeitsproblems erörtert. Grundsatz: Der Geldentschädigungsanspruch dient der Genugtuung, die es nur zu Lebzeiten geben kann. Deshalb besteht grundsätzlich Unvererblichkeit. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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