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RA Digital - 02/2022

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78 Referendarteil:

78 Referendarteil: Zivilrecht RA 02/2022 2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 612,80 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. B beantragt, die Klage abzuweisen. RG, Urteile vom 09.11.1915, III 145/15, und vom 20.02.1917, III 384/16 Die Entscheidung hat drei Problemschwerpunkte. 1. Grundsätzliches Verhältnis zwischen Art. 240 § 2 EGBGB und Schuldrecht AT/BT 2. Hoheitliche Betriebsuntersagung als Mangel des Mietgegenstandes i. S. v. § 536 I 1 BGB 3. Anwendbarkeit des § 313 BGB Erster Schwerpunkt und Entscheidung des Gerichts, dass Art. 240 § 2 EGBGB nicht die Anwendbarkeit vom allgemeinen Schuldrecht ausschließt. Eine andere Rechtsauffassung würde zudem dem Schutzzweck des pandemiebedingt eingeführten Art. 240 § 2 EGBGB zuwiderlaufen. Umstrittene Rechtslage: Für einen Mangel: LG Kaiserslautern, Urteil vom 13.04.2021, 4 O 284/20; offengelassen, die dafürsprechenden Gründe aber als beachtlich bezeichnet: OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.10.2020, 13 U 3078/20 Gegen einen Mangel: Statt vieler: OLG München, Hinweisbeschluss vom 17.02.2021; 32 U 6358/20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.02.2021, 7 U 109/20 Erläuterung des BGH, dass die hoheitliche Maßnahme keinen Mangel im Sinne des § 536 BGB darstellt, weil die Maßnahme nicht an die Mietsache, sondern an den Geschäftsbetrieb der Mieterin anknüpft. Ein Mangel kann aber nur der Mietsache anhaften. B vertritt die Rechtsauffassung, durch die Nutzungsuntersagung sei die Tauglichkeit des Mietobjekts zur Nutzung derart aufgehoben worden, dass die Mietzahlungspflicht entfalle. Die Situation sei mit den Tanzverbot- Entscheidungen des Reichsgerichts, vergleichbar, so dass auch bei einer pandemiebedingten Schließung ein Minderungsrecht anzunehmen sei. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die zulässige Klage ist begründet. K hat einen Anspruch auf Zahlung der Miete für den Monat April 2020 gemäß § 535 II BGB. Insbesondere ist Art. 240 § 2 EGBGB nicht lex specialis gegenüber dem besonderen und allgemeinen Schuldrecht. [18] (…) die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 313 Abs. 1 BGB, [ist] nicht durch Art. 240 § 2 EGBGB, mit dem die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters wegen eines coronabedingten Zahlungsverzugs des Mieters ausgesetzt wurde, ausgeschlossen (…). Zweck der Regelung ist der Schutz der Mieter vor dem Verlust ihres Lebensmittelpunktes. Regelungen hinsichtlich Mietminderungen trifft die Norm nicht. Würde Art. 240 § 2 EGBGB abschließend wirken, wäre der Schutzzweck ad absurdum geführt, wenn dem Mieter grundsätzlich Ansprüche aus dem allgemeinen Schuldrecht verwehrt bleiben würden. Die Miete in dem streitgegenständlichen Zeitraum ist nicht gem. § 536 I BGB gemindert. Die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen Staatsministeriums beruhende Betriebsschließung führte nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands. Jura Intensiv [31] Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen erst während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, kann auch dies einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, fallen dagegen in den Risikobereich des Mieters. (…) [32] Auf dieser rechtlichen Grundlage führt die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen Staatsministeriums (…) beruhende Schließung des Einzelhandelsgeschäfts der Beklagten nicht zu einem Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil die mit der Schließungsanordnung zusammenhängende Gebrauchsbeschränkung nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache beruht, sondern an den Geschäftsbetrieb der Beklagten als Mieterin anknüpft. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2022 Referendarteil: Zivilrecht 79 Die Mangelhaftigkeit ergibt sich auch nicht aufgrund der faktischen Zugangsbeschränkung bzw. -verhinderung. [35] (…) Eine Zugangsbehinderung kann (…) einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen. (…) Im vorliegenden Fall beruht die Zugangsbeeinträchtigung jedoch nicht auf der konkreten baulichen Gegebenheit der Mietsache, sondern auf einer hoheitlichen Maßnahme, die flächendeckend für alle im gesamten Bereich des Freistaats Sachsen liegenden Geschäfte ein Öffnungsverbot anordnete (…). Auch die Vereinbarung zwischen den Parteien im Mietvertrag, dort unter § 5 Nr. 3, führt zu keiner anderen Bewertung. [36] (…) Ohne besondere Umstände, (…), gehören nur rechtliche Umstände, die die körperliche Beschaffenheit, den Zustand oder die Lage der Mietsache betreffen oder Einfluss auf sie haben, zu der vom Vermieter geschuldeten Leistung. (…). Ebenfalls nicht überzeugend ist der Vergleich zur reichsgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich des Tanzverbotes. Zum einen lag der Entscheidung ein anderes Verständnis vom Mangelbegriff zugrunde, zum anderen erfolgte die Rechtsprechung zur Störung der Geschäftsgrundlage erst zeitlich später. Die Beklagte kann zudem keine Vertragsanpassung gemäß § 313 I BGB verlangen. Die Norm ist tatbestandlich nicht erfüllt. Erforderlich ist eine schwerwiegende Veränderung der zur Vertragsgrundlage gewordenen Umstände. Die ist hier zu bejahen. Im vorliegenden Fall [45] (…) ist (…) die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. (…). Nichts anderes ergibt sich auch aus Art. 240 § 7 I EGBGB. Jura Intensiv Weiterhin ist für § 313 I BGB erforderlich, dass es nicht um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Dies kann sich aus einer vertraglichen Abrede oder qua Gesetz ergeben. § 5 Nr. 3 des Mietvertrages enthält eine solche Regelung – für einen pandemiebedingten Ausfall – nicht. [51] (…) Nach ihrem eindeutigen Wortlaut bezieht sich diese Regelung nur auf Mängel- und Schadensersatzansprüche des Mieters. Da Vertragsbestimmungen, mit denen die Mietvertragsparteien die Risikoverteilung abändern wollen, grundsätzlich eng auszulegen sind, kann aus dieser Regelung nicht geschlossen werden, dass die Beklagte (…) auch im Fall einer weltweiten Pandemie das alleinige Risiko dafür übernehmen wollte, die Mietsache nicht vertragsgemäß verwenden zu können. Prüfung, ob die hoheitliche Zugangsbeschränkung einen Mangel an der Mietsache darstellt. Der BGH stellt zudem fest, dass ein Recht zur Minderung wegen Unmöglichkeit gem. §§ 326 I, 275 I BGB nicht besteht; dies steht i. E. im Einklang mit den hier bereits behandelten Entscheidungen (LG Zweibrücken, RA 11/2020, OLG Frankfurt, RA 11/2021). Prüfung, ob die Vereinbarung im Mietvertrag zu einem Mangel führt Nicht einschlägiger Verweis auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung zum Tanzverbot: Anderer Mangelbegriff und kein Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage Checkliste § 313 I BGB • Schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlage • Risikosphären • Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag Erläuterung des Begriffes der sogenannten „großen Geschäftsgrundlage“ Gesetzliche Vermutung, dass die Geschäftsgrundlage sich verändert hat Ermittlung der Risikozuweisung: § 313 BGB kann nur erfüllt sein, falls das sich verwirklichende Risiko nicht allein in die Sphäre einer Partei fällt. Der Mietvertrag regelt diesbezüglich nichts. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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