84 Nebengebiete RA 02/2022 „Doppelt hilfsweise“ für den Fall, dass man beide obigen Ansprüche verneinen wollte: Anspruch aus § 616 S. 1 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag gegeben. Hiernach wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Dies hat der BGH, III ZR43/77, in folgendem Fall bejaht: Mehrere in einer Metzgerei angestellte Arbeitnehmer wurden als Ausscheider von Salmonellen ermittelt und anschließend wurden gegen diese Beschäftigungsverbote nach dem damals geltenden Bundesseuchengesetz erlassen. Der BGH bejahte einen persönlichen Verhinderungsgrund nicht nur für tatsächliche Ausscheider, sondern auch potentielle Ansteckungsverdächtige. Denn die von den Betroffenen ausgehende Gefahr sei das eigentliche Arbeitshindernis, was sich auch darin zeige, dass der Arbeitgeber sie auch ohne ein behördliches Verbot für die Dauer der Gefahrenlage nicht beschäftigen dürfte; denn der Arbeitgeber sei schon nach § 618 BGB gegenüber seinen übrigen Arbeitnehmern und nach § 823 BGB gegenüber jedermann aus Gründen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht verpflichtet, seinen Betrieb von Ansteckungsgefahren freizuhalten. Er müsse von sich aus gegen die Beschäftigung von Ausscheidern, Ausscheidungsverdächtigen und Ansteckungsverdächtigen einschreiten. Das OLG Hamm sieht den BGH-Fall und den vorliegenden Fall insoweit als vergleichbar an. [20] 3. Doch selbst wenn man für die Dauer der Absonderungsverfügung einen Vergütungsanspruch des Zeugen A gegen die Klägerin aus § 611a S. 2 BGB und § 615 BGB verneinen sollte, wäre ein solcher jedenfalls aus § 616 S. 1 BGB gegeben. [24] a) Die gegen den Zeugen A ergangene Absonderungsverfügung stellte (…) dann einen in seiner Person liegenden Verhinderungsgrund i.S.d. § 616 S. 1 BGB dar. Zwar muss sich der Verhinderungsgrund speziell auf den Arbeitnehmer beziehen und er darf sich nicht auf einen größeren Personenkreis erstrecken und objektiv gegeben sein (Palandt-Weidenkaff, BGB 80. Aufl. 2021, § 616 Rn. 7). Allerdings ist die Anzahl der betroffenen Fälle nur ein erstes Indiz für die Annahme eines persönlichen Hinderungsgrundes. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich das Leistungshindernis gerade aus Eigenschaften und Umständen ergibt, die in der Person des Arbeitnehmers begründet sind. [25] b) Aufgrund der gegen ihn angeordneten Absonderungsverfügung, infolge derer er sich für die Dauer von 14 Tagen in häusliche Quarantäne begeben musste, wäre der Zeuge A auch nur für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit i.S.d. § 616 S. 1 BGB an der Erbringung der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung gehindert gewesen. [26] (…) Einheitliche Grenzen lassen sich nicht für alle Fälle bestimmen, weil die in Betracht kommenden Sachverhalte zu verschiedenartig sind. Verhinderungen des Arbeitnehmers (…) etwa wegen eines Todesfalles in der Familie, (…) oder einer Ladung als Schöffe, dauern ihrer Eigenart nach regelmäßig nur eine so kurze Zeit, dass insoweit allenfalls wenige Tage als eine nicht erhebliche Zeitspanne angesehen werden. Dagegen kann sich die Behandlung eines Ausscheiders über Wochen erstrecken. Ob diese Frist als erheblich anzusehen ist, hängt danach von mehreren Umständen, insbesondere der Eigenart, der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den darüber getroffenen Abreden ab (…). [27] Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der BGH in der vorgenannten Entscheidung für den Fall eines Beschäftigungsverbotes gegen einen Salmonellenausscheider sogar einen Zeitraum von bis zu 6 Wochen als Grenze einer verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit angesehen mit der Begründung, dass hier von besonderem Gewicht die Tatsache sei, dass die Arbeitsverhinderung eines Ausscheiders ihrem Wesen nach einer Verhinderung durch Krankheit nahekommt. Von daher sei angebracht, wenn nicht Besonderheiten des konkreten Arbeitsvertrages entgegenstünden, in solchen Fällen die allgemein für Erkrankungen geltende Sechs-Wochen- Frist jedenfalls bei einem länger andauernden unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich als Grenze einer verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit anzusehen (…). [28] Unter Zugrundelegung der vom Bundesgerichtshof aufgezeigten Beurteilungskriterien ist der infolge der Absonderungsverfügung verursachte 14-tägige Arbeitsausfall des Zeugen A bei Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls noch als nicht erhebliche Zeit im Sinne des § 616 S. 1 BGB anzusehen. Auch die Verhinderung des Zeugen A beruhte auf einem Krankheitsgeschehen. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
IMMER INFORMIERT Aktuelles aus den Bundesländern Übersicht zum VersG NRW 2022 AKTUALISIERUNG FÜR NRW Liebe Leserinnen und Leser, zum Herausnehmen der Landtag von NRW hat am 15.12.2021 das Gesetz zur Einführung eines nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften (VersammlungsgesetzEinführungsgesetz NRW - VersGEinfG NRW) beschlossen. Als Art. 1 dieses Gesetzes wurde das Versammlungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (Versammlungsgesetz NRW - VersG NRW) erlassen. Das Gesetz ist am 7.1.2022 in Kraft getreten (vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt für NRW Heft Nr. 1/2022 vom 6.1.2022, S. 2 ff.). Es beruht auf einem Gesetzentwurf und einem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen (LT-Drs. 17/12423 und 17/15821). Das VersG NRW löst das Versammlungsgesetz des Bundes ab und soll ein modernes und zeitgerechtes Versammlungsrecht schaffen, das Defizite des bisherigen Bundesrechts beseitigt (LT-Drs. 17/12423, S. 41-44). Mit der Einführung des neuen Versammlungsrechts wurden gleichzeitig das Bannmeilengesetz des Landtags NRW und die Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz aufgehoben (Art. 2 VersGEinfG NRW). Das VersGEinfG NRW (einschließlich des VersG NRW) ist abrufbar über die Homepage des Landtags NRW (Dokumente Dokumentensuche Gesetzgebungsportal Aktuelle Gesetzgebung Versammlungsgesetz) oder direkt unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_nr=6&vd_id=20098&ver=8&val=20098&sg=0&menu=0&vd_ back=N Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird der Gesetzestext nachfolgend nicht vollständig wiedergegeben, sondern es werden die examensrelevanten Vorschriften des VersG NRW kurz erläutert: § 1 Versammlungsfreiheit Die Vorschrift wiederholt im Wesentlichen den Art. 8 I GG, dehnt den Schutz aber über Deutsche hinaus auf jede Person aus, wie dies bisher auch schon in § 1 I VersammlG des Bundes der Fall war. § 2 Regelungsbereich, Begriffsbestimmungen § 2 I, II VersG NRW normiert den Regelungsbereich des Gesetzes und stellt insbesondere klar, dass es sowohl für öffentliche wie auch für nichtöffentliche Versammlungen gilt, soweit im VersG NRW nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist (z.B. finden §§ 10, 11, 22 VersG NRW nur auf öffentliche Versammlungen Anwendung). Gerade bei der Ermächtigungsgrundlage des § 23 VersG NRW erledigt sich damit die bisher strittige Frage, ob die Norm auf nichtöffentliche Versammlungen analog anzuwenden ist. § 2 III VersG NRW definiert den Begriff der Versammlung im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, d.h. maßgeblich ist der sog. enge Versammlungsbegriff, der eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung verlangt. Bei sog. gemischten Veranstaltungen, die auch andere - z.B. unterhaltende - Elemente beinhalten, kommt es darauf an, wo der Schwerpunkt der Veranstaltung liegt. Wie dem Definitionselement „örtliche Zusammenkunft“ zu entnehmen ist, werden virtuelle Zusammenkünfte im Internet (z.B. in Chatrooms) nicht erfasst (LT-Drs. 17/12423, S. 47). Die geforderte Mindestteilnehmerzahl von drei Personen ist fraglich, da für Versammlungen i.S.d. Art. 8 I GG vielfach zwei Personen für ausreichend gehalten werden ( Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rn. 4 m.w.N.); das BVerfG hat sich hierzu allerdings bisher nicht klar positioniert. Der Gesetzgeber hat die Festlegung auf drei Personen getroffen, damit gesetzliche Anforderungen wie z.B. die Anzeigepflicht gem. § 10 VersG NRW nicht schon bei einem Treffen von nur zwei Personen erfüllt werden müssen (LT-Drs. 17/15821, S. 8). § 2 IV VersG NRW erklärt, wann eine Versammlung öffentlich ist. Der Passus „die Versammlung auf eine Kundgebung an die Öffentlichkeit in ihrem räumlichen Umfeld gerichtet ist“ meint, dass die räumlich angrenzende Öffentlichkeit in den kommunikativen Prozess einbezogen wird, etwa durch Lautsprecher- und Videoübertragung (LT-Drs. 17/12423, S. 48). Jura Intensiv § 3 Zusammenarbeit Hier werden Vorgaben des BVerfG zur Kooperation von Versammlungsbehörde und Veranstalter / Leiter der Versammlung normiert (LT-Drs. 17/12423, S. 48). Inhaltsverzeichnis
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