96 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 02/2022 FFK als statthafte Klageart. Im Rahmen der Zulässigkeit sollten jedenfalls stets Ausführungen zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse erfolgen. Hier: Besondere Anforderungen mit Blick auf Art. 8 GG BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004, 1 BvR 461/03, juris Rn 36; OVG Münster, Beschluss vom 16.6.2020, 15 A 3138/18, juris Rn 29; Beschluss vom 19.3.2018, 15 A 943/17, juris Rn 11 Wiederholungsgefahr BVerfG, Beschluss vom 3.3.2014, 1 BvR 461/03, juris Rn 41 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 16.6.2020, 15 A 3138/18, juris Rn 32 Subsumtion. Andere Formulierungen zur Einleitung: „Gemessen hieran …“, „Unter Anwendung dieser Grundsätze/ Maßstäbe …“, „Dies zugrunde gelegt …“ Die insoweit als Fortsetzungsfeststellungsklage statthafte Klage ist im Hinblick auf die beschränkenden Verfügungen unter Ziffer 2 Satz 3, Ziffer 3, Ziffer 4 und Ziffer 5 zulässig und begründet. Insbesondere steht dem Kläger bezüglich dieser Regelungen ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Seite. In versammlungsrechtlichen Verfahren sind die für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage geltenden Anforderungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG anzuwenden. Allerdings begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Dieses ist gegeben, wenn eine Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitierungsinteresse besteht oder wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt. Unter letzterem Gesichtspunkt ist aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG in einer Demokratie die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes stets geboten, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, weshalb es keiner Klärung bedarf, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hinsichtlich des Hauptsacheverfahrens ist jedoch ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, dies aber infolge von behördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert, hat. Abzulehnen ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse demgegenüber dann, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben. Die durch die Auflage erfolgte Negativbeurteilung der Versammlungsbehörde, wonach mit der angemeldeten Versammlung gegen die öffentliche Sicher-heit oder die öffentliche Ordnung verstoßen werde, begründet ein Fort-setzungsfeststellungsinteresse nur dann, wenn die belastenden Wirkungen durch die Art der Begründung ein besonderes Gewicht haben. Jura Intensiv Daneben begründet eine Wiederholungsgefahr das Fortsetzungsfeststellungsinteresse, wenn zum einen die Möglichkeit der erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger besteht und zum anderen die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. Dabei genügt es auf Seiten des Klägers, wenn sein Wille erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Darüber hinaus darf mit Blick auf das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Veranstalters, auch über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Nach diesen Grundsätzen kann betreffend die Auflage zu Transparenten und Haltestangen in Ziffer 3 ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers schon aufgrund der Beeinträchtigung seiner Versammlungsfreiheit Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 02/2022 Referendarteil: Öffentliches Recht 97 aus Art. 8 Abs. 1 GG angenommen werden. Denn indem nur Transparente sowie Haltestangen in einer bestimmten Größe zugelassen waren, wurde die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens seiner Versammlung beeinträchtigt. Hinsichtlich der Auflagen in Ziffer 2 Satz 3, Ziffer 4 und Ziffer 5 ergibt sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers aus einer Wiederholungsgefahr. Sein Wille, auch in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die zu ähnlichen Rechtsproblemen führen können, ist hinreichend dargetan. Insoweit hat er angegeben, in den Jahren 2017 und 2018 weitere Versammlungen im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums N. angemeldet und geleitet zu haben und zu beabsichtigen, dies auch zukünftig zu tun. Konkret hat er am 10. September 2021 erneut eine Versammlung in N. geleitet. Weiterhin wird das Polizeipräsidium voraussichtlich auch zukünftig an seiner Rechtsauffassung hinsichtlich dieser Auflagen festhalten und sie bei einer entsprechenden Gefahrenprognose auch für künftige Versammlungen des Klägers verwenden. Dazu hat der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass entsprechende Auflagen wohl wieder verwendet würden, sofern der Kläger in ähnlichen Konstellationen erneut Versammlungen anmelde. Betreffend die genannten Ziffern ist die Klage auch begründet. Denn die Verfügung ist insoweit rechtswidrig gewesen (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Die Auflagen ließen sich nicht auf § 15 Abs. 1 VersG stützen. Danach kann die zuständige Behörde Versammlungen und Aufzüge von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst unter anderem die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, deren Schutzgüter insbesondere durch Strafgesetze gesichert sind. Die Vorschrift ist im Lichte der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit zu sehen, die für Versammlungen unter freiem Himmel in Art. 8 Abs. 2 GG einen Gesetzesvorbehalt vorsieht. Insoweit ist das nach Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich bestehende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Modalitäten der Versammlung beschränkt, soweit seine Ausübung zu Kollisionen mit Rechtsgütern anderer führt. Stehen sich verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter derartig gegenüber, ist ein Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz herbeizuführen. Jura Intensiv Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Rechtsgrundlage für versammlungsrechtliche Auflagen: § 15 Abs. 1 VersG Definition „öffentliche Sicherheit“ Aber: Besondere Auslegung im Hinblick auf Art. 8 GG BVerfG, Beschluss vom 2.12.2005, 1 BvQ 35/05, juris Rn 27 Anforderungen an Gefahrenprognose OVG Münster, Beschluss vom 27.8.2021, 15 B 1414/21, juris Rn 4 ff. m.w.N.; Beschluss vom 24.5.2020, 15 B 755/20, juris Rn 9 ff. m.w.N. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
Laden...
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook
Twitter