Aufrufe
vor 1 Jahr

RA Digital - 02/2023

  • Text
  • Verlagjuraintensivde
  • Zivilrecht
  • Anspruch
  • Beklagten
  • Recht
  • Stgb
  • Urteil
  • Verlags
  • Inhaltsverzeichnis
  • Jura
  • Intensiv
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

66 Zivilrecht

66 Zivilrecht RA 02/2023 Geschuldet war nur die Gebrauchsüberlassung, welche hier nicht unmöglich war. Wichtige Erweiterung der Vermieterhaftung: Wenn Vermieter erklären, für die Gebrauchstauglichkeit einstehen zu wollen, wäre die öffentlich-rechtliche Beschränkung eine Leistungsstörung, selbst wenn sie keinen Bezug zu einer Sachbeschaffenheit aufweist. Prüfungsschema des § 313 I BGB: I. Vertrag II. Keine vorrangige Regelung III. Geschäftsgrundlage IV. Wesentliche Störung V. Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag VI. Zumutbarkeit der Vertragsanpassung (normatives Element) Der Schwerpunkt liegt regelmäßig beim normativen Element. Zu prüfen ist zunächst, ob ein anerkannter Fall der Störung vorliegt (Äquivalenzstörung, nachträgliche übermäßige Leistungserschwerung, Zweckverfehlung, Zweckvereitelung, offener Kalkulationsirrtum, gemeinsamer Eigenschaftsirrtum). Ist dies der Fall, ist die Risikoverteilung zu überprüfen und schließlich, ob im Einzelfall eine Verteilung des Risikos auf beide Parteien aufgrund besonderer Umstände angezeigt ist. Zeiträumen seine vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand ganz oder teilweise unmöglich gewesen wäre (§§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB). Wie bereits ausgeführt, war es dem Kläger sowohl in den Monaten Mai bis Juli 2020 als auch in der Zeit, in der die Beklagten den Betrieb ihres Friseur- und Kosmetiksalon vollständig einstellen mussten, nicht unmöglich, ihnen den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu gewähren. (…) Zu einem anderen Ergebnis käme man nur, wenn K für seine gem. § 535 I BGB geschuldete Leistungspflicht eine Einstandspflicht übernommen hätte. [18] (…) Der Kläger hat daher auch während der Zeit dieser Gebrauchsbeschränkungen die von ihm gemäß § 535 Abs. 1 BGB geschuldete Leistung erbracht. Eine Einstandspflicht für den Fall von hoheitlich angeordneten Betriebsuntersagungen und -beschränkungen im Falle einer Pandemie hatte er mangels einer entsprechenden Vereinbarung nicht übernommen (…). 3. Vertragsanpassung gem. § 313 I BGB Eine Reduzierung der Mietzahlung könnte sich allerdings aus einem Anspruch der B auf Vertragsanpassung gem. § 313 I BGB ergeben. a) Vertrag Der Mietvertrag zwischen K und den B ist der von § 313 I BGB geforderte Vertrag. b) Keine vorrangige Regelung § 313 I BGB wurde am 01.01.2002 ins BGB aufgenommen, wurde aber zuvor von der Rechtsprechung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB hergeleitet. Eine von Wertungen geprägte Rechtsnorm wie § 313 I BGB tritt hinter speziellere Regelungen, z.B. dem Leistungsstörungsrecht, zurück. Weder die Minderung gem. § 536 BGB noch die Unmöglichkeit gem. § 275 BGB sind vorliegend einschlägig. Jura Intensiv c) Geschäftsgrundlage (Hypothetisches Element) Unter der Geschäftsgrundlage versteht man Umstände, bzw. Vorstellungen über Umstände, die nicht Vertragsbestandteil wurden, jedoch so wesentlich sind, dass entweder der Vertragswille beider Parteien auf ihnen aufbaut oder einer Partei, erkennbar für die andere. Eine Störung im Sinne des § 313 I BGB ist gegeben, wenn sich die Umstände nachträglich verändern, im Sinne des § 313 II BGB, wenn sich Vorstellungen als unwahr herausstellen. d) Wesentliche Störung (Reales Element) Durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hat sich die sog. große Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag schwerwiegend geändert. Bei Abschluss des Vertrages hatte keine der Parteien die Vorstellung, dass es zu einer Pandemie und damit verbundenen erheblichen hoheitlichen Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens kommen würde, durch die die beabsichtigte Nutzung der Mieträume eingeschränkt wird. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2023 Zivilrecht 67 e) Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag (Normatives Element) Nur schwerwiegende Störungen können unter Berücksichtigung der Risikoverteilung und nach einer Einzelfallbetrachtung zu einer Vertragsanpassung führen. Eine schwerwiegende Störung liegt in der o.g. Zweckvereitelung. Fraglich ist jedoch, ob es die Risikoverteilung und die Einzelfallabwägung erlaubt, den Vertrag wie von den B gewünscht anzupassen. [21] Obwohl in den Fällen einer pandemiebedingten Betriebsschließung oder -beeinträchtigung die sogenannten realen und hypothetischen Elemente des § 313 Abs. 1 BGB regelmäßig erfüllt sind, kommt ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Vertragsanpassung nur in Betracht, wenn auch das sogenannte normative Element des § 313 Abs. 1 BGB gegeben ist. Denn die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtigt für sich genommen noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das ist nur dann der Fall, wenn ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt (…). Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - allerdings nicht erforderlich (…). [22] Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung nach § 313 Abs. 1 BGB, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Dabei ist zunächst von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung oder -einschränkung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die fragliche Zeit der Schließung oder Nutzungseinschränkung bestehen. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern (…). [23] Allerdings müssen die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf pandemiebedingten hoheitlichen Maßnahmen beruhen, die den jeweiligen Betrieb konkret erfassen. Dies sind etwa die Anordnungen von Betriebsschließungen oder in Bezug zur Geschäftsfläche gesetzte Begrenzungen der Personenzahl. In Betracht kommt auch die Beschränkung des Zugangs auf Personen mit einem bestimmten Impfstatus („2G“ oder „2G+“) ohne die jedermann eröffnete Möglichkeit, die Zugangsberechtigung auch durch einen Test zu erlangen. Denn damit werden potenzielle Kunden vollständig oder jedenfalls zum Teil vom Besuch des Ladengeschäfts ausgeschlossen, ohne dies kurzfristig selbst beeinflussen zu können. Von der Berücksichtigung im Rahmen des § 313 Abs. 1 BGB ausgenommen sind hingegen diejenigen Entwicklungen, die eine anderweitige Ursache haben und damit keine unmittelbare Folge der pandemiebedingten Beschränkungen darstellen. Dies gilt etwa für eine im Zuge der Pandemie zu beobachtende - möglicherweise auch durch eine Pflicht zum Tragen eines Mund- Nasen-Schutzes beeinflusste - allgemeine Kaufzurückhaltung der Kunden, sofern diese nicht durch die die Geschäftsräume betreffenden Maßnahmen der Schließung oder Einschränkung verursacht ist. Jura Intensiv Ein anerkannter Fall der wesentlichen Störung ist die Zweckvereitelung, wenn sie dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegt. Hier müssen die B die Miete zahlen, obwohl sie die Liegenschaft nicht nutzen können. Das grundsätzliche Verwendungsrisiko trägt stets der Mieter. Auch hier ist § 537 BGB heranzuziehen, weil die Nichtnutzbarkeit mit der gewünschten Nutzung und nicht mit der Sachbeschaffenheit zusammen hängt. Zur Annahme eines Sonderopfers des Mieters ist nicht erforderlich, dass seine wirtschaftliche Existenz bedroht ist. Wie bei allen oben zitierten mietrechtlichen Entscheidungen zu Covid19, bei denen das jeweilige Gericht § 313 I BGB geprüft hat, liegt auch hier der Schwerpunkt bei der Einzelfallabwägung. Restaurants konnten auf Bestellung kochen und liefern bzw. abholen lassen, Warenhäuser konnten Ware, die online bestellt worden war, am Geschäftseingang übereignen, usw. Zum Verwendungsrisiko des Ladeninhabers gehören solche ins allgemeine Lebensrisiko fallende Entwicklungen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats