Aufrufe
vor 1 Jahr

RA Digital - 02/2023

  • Text
  • Verlagjuraintensivde
  • Zivilrecht
  • Anspruch
  • Beklagten
  • Recht
  • Stgb
  • Urteil
  • Verlags
  • Inhaltsverzeichnis
  • Jura
  • Intensiv
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

86 Öffentliches Recht

86 Öffentliches Recht RA 02/2023 Einheitlicher Schutzbereich Definition „Beruf“ (Schildheuer, JURA INTENSIV Skript Grundrechte, Rn 598-602) 1. Schutzbereich Es muss der Schutzbereich des Art. 12 I GG eröffnet sein. Da sich Berufswahl und Berufsausübung auf Schutzbereichsebene nicht strikt voneinander trennen lassen, verbürgt Art. 12 I GG ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit. Unter Beruf ist jede auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit zu verstehen, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient und nicht schlechthin verboten ist. Diese Voraussetzungen erfüllen die Beschwerdeführerinnen, die zudem deutsche Staatsangehörige sind. Damit ist der Schutzbereich des Art. 12 I GG eröffnet. 2. Eingriff Weiterhin muss ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegen. Mittelbarer Grundrechtseingriff in Gestalt der Fallgruppe der Intensität bzw. objektiv berufsregelnde Tendenz. In einer Klausur müsste zuerst der klassische Grundrechtseingriff wegen fehlender Finalität abgelehnt und dann der mittelbare Eingriffsbegriff angesprochen werden. Zudem sollte an dieser Stelle im Prüfungsaufbau die sog. Drei-Stufen- Theorie dargestellt und nicht nur darunter subsumiert werden (zu dieser Theorie: Schildheuer, JURA INTENSIV Skript Grundrechte, Rn 618-621). Hier: Berufsausübungsregel. Tierhomöopathika keine taugliche Alternative Der Hinweis, man könne sich doch auch anderweitig beruflich betätigen, ändert nichts an der Eingriffsqualität der umstrittenen Maßnahme. „[74] Der hier angegriffene § 50 Abs. 2 TAMG richtet sich an „Tierhalterinnen und Tierhalter sowie andere Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind“, und erfasst damit alle Arzneimittelanwendungen ohne Rücksicht darauf, ob sie berufsmäßig durchgeführt werden oder nicht. Die angegriffene Norm schränkt gleichwohl gerade den Kern der Berufsausübung von jedenfalls klassisch homöopathisch arbeitenden Tierheilpraktikerinnen und Tierhomöopathinnen ein und steht daher in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung dieser Berufe, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz aufweist. Zwar untersagt § 50 Abs. 2 TAMG den Beschwerdeführerinnen nicht die Anwendung registrierter Humanhomöopathika als solche, sondern stellt diese lediglich unter einen Tierarztvorbehalt. Ihre Tätigkeit als jeweils klassisch homöopathisch arbeitende Tierheilpraktikerin oder Tierhomöopathin wird gleichwohl sehr stark reglementiert, da die klassische Homöopathie gerade von der ausführlichen Anamnese lebt, in deren Rahmen verschiedene Symptome und Beschwerden erfragt werden und versucht wird, Eigenschaften und Charakter der Patienten zu erfassen. Erst auf Grundlage dieses Gesamtbildes wird dann anhand eines Vergleichs mit den Arzneimittelbildern das passende homöopathische Einzelmittel herausgesucht. Werden klassisch arbeitende Homöopathen daher auf die bloße Anwendung der von einem Tierarzt verschriebenen oder abgegebenen Homöopathika gemäß deren tierärztlicher Behandlungsanweisung beschränkt, trifft dies objektiv den Kern ihrer beruflichen Tätigkeit. Jura Intensiv [75] Ein klassisches homöopathisches Arbeiten ist auch nicht mit registrierten oder gar zugelassenen Tierhomöopathika möglich. Denn für eine Behandlung im Wege der klassischen Homöopathie wird eine Vielzahl an Einzelmitteln mit Hochpotenzen, also solchen ab einem Verdünnungsgrad von D4, in unterschiedlichen Potenzierungen zur oralen oder äußerlichen Anwendung benötigt. Demgegenüber handelt es sich bei den derzeit zur Verfügung stehenden 147 registrierten Tierhomöopathika fast ausschließlich um aus mehreren Ausgangsstoffen hergestellte Komplexmittel und/oder Verdünnungen zur Injektion. […] [76] […] nimmt es der angegriffenen Regelung auch nicht ihren Eingriffscharakter, dass die Beschwerdeführerinnen grundsätzlich auf anderen Gebieten der Tierheilkunde arbeiten könnten. Denn unabhängig davon ist jedenfalls ihre bisherige durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübung durch § 50 Abs. 2 TAMG betroffen.“ Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2023 Öffentliches Recht 87 Somit liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 I GG in Gestalt einer Berufsausübungsregel vor. II. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, soweit er durch die Schranken des Grundrechts gedeckt ist. 1. Festlegung der Schranke Angesichts des einheitlichen Schutzbereichs bezieht sich die in Art. 12 I 2 GG normierte Schranke auf das gesamte Grundrecht. Folglich kann die Berufsfreiheit durch jedes Gesetz eingeschränkt werden (sog. einfacher Gesetzesvorbehalt). Dieses einschränkende Gesetz ist § 50 II TAMG. 2. Schranken-Schranken Der grundrechtseinschränkende Gesetzgeber unterliegt seinerseits gewissen Begrenzungen, den sog. Schranken-Schranken. D.h. § 50 II TAMG als einschränkendes Gesetz muss verfassungsgemäß sein. a) Formelle Verfassungsmäßigkeit des § 50 II TAMG Bzgl. der formellen Verfassungsmäßigkeit des § 50 II TAMG ist allein die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes fraglich. Diese könnte sich aus Art. 74 I Nr. 19 GG („Recht … der Arzneien“) ergeben. „[81] […] Eine Norm [gemeint ist § 50 II TAMG], die sicherstellen soll, dass Arzneimittel, die gesundheitliche Risiken in sich bergen, nur über diejenigen Heilpersonen angewendet werden, die ihre Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Gegenanzeigen und sonstige Gefahren genau kennen, dient der Arzneimittelsicherheit. Diese ist der Sicherheit des Verkehrs mit Arzneimitteln zuzuordnen und unterfällt daher der Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG […], die neben dem Verkehr mit Arzneimitteln das gesamte Arzneimittelrecht umfasst. [82] Dass § 50 Abs. 2 TAMG daneben für heilberuflich Tätige wie die Beschwerdeführerinnen objektiv eine berufsregelnde Tendenz entfaltet und für diese eine Berufsausübungsregelung darstellt (oben Rn. 74), stellt die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nicht infrage. Zur Regelung der heilberuflichen Berufsausübung sind zwar ausschließlich die Länder befugt. Der Schwerpunkt des § 50 Abs. 2 TAMG liegt jedoch nicht in der Regelung der heilberuflichen Berufsausübung. Vielmehr regelt die Norm in ihrer Gesamtheit in erster Linie die Arzneimittelsicherheit in Gestalt des Schutzes von Tieren vor einer Fehlmedikation. Auch soweit der in § 50 Abs. 2 TAMG für die Anwendung registrierter Humanhomöopathika eingeführte Tierarztvorbehalt die Qualität von Diagnostik und Therapie sicherstellen soll und insoweit jedenfalls nicht der Arzneimittelsicherheit dient, ist diese Teilregelung eng verzahnt mit dem unmittelbaren Gegenstand der Gesamtregelung (Arzneimittelsicherheit) und weist gegenüber diesem nur einen geringen eigenständigen Regelungsgehalt auf. […]“ Jura Intensiv Obersatz Einheitlicher Schutzbereich • einheitliche Schranke (Schildheuer, JURA INTENSIV Skript Grundrechte, Rn 623) Gesetzgebungsbefugnis: Art. 74 I Nr. 19 GG § 50 II TAMG dient der Arzneimittelsicherheit Problem: Abgrenzung zur heilberuflichen Berufsausübung (Kompetenz der Länder) Schwerpunktbildung Folglich besitzt der Bund gem. Art. 74 I Nr. 19 GG die Gesetzgebungsbefugnis für die streitgegenständliche Norm, sodass sie formell verfassungsgemäß ist. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats