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RA Digital - 02/2023

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90 Öffentliches Recht

90 Öffentliches Recht RA 02/2023 Legitimer Zweck grds. (+) Aber auch hier Tatsachengrundlage (-) Hochwertige Diagnostik und Therapie „[107] Hierbei handelt es sich zwar um ein grundsätzlich legitimes Ziel. Die Erhöhung der Anzahl spezifischer Tierarzneimittel dort, wo wenige zur Verfügung stehen, dient ohne Weiteres dem Tierschutz sowie der Gesundheit von Tier und Mensch. […] [108] Es fehlt jedoch auch hier an einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage dafür, dass es gerade an geeigneten spezifischen homöopathischen Arzneimitteln für Tiere fehlte. In der klassischen Tierhomöopathie bestand zu keinem Zeitpunkt ein Mangel an geeigneten Arzneimitteln. Tiere konnten bislang und können auch künftig gefahrlos für Tier, Mensch und Umwelt mit registrierten Humanhomöopathika behandelt werden. […]“ Damit verbleibt als legitimer Zweck nur die Sicherung einer qualitativ hochwertigen Diagnostik und Therapie. „[110] Zwar lassen die Gesetzesmaterialien ein entsprechendes Anliegen des Gesetzgebers nicht erkennen. Es handelt sich insoweit aber um einen objektiv vernünftigen und sachlichen Zweck, auf den auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme hinweist. Das Ziel, die Qualität von Diagnostik und Therapie zu sichern, um Fehldiagnosen sowie Fehlbehandlungen von Tieren zu vermeiden, dient unmittelbar dem Tierschutz sowie der Tiergesundheit und daher einem legitimen Zweck. Eine qualitativ hochwertige Diagnostik und Therapie beugt aber auch von Tier zu Mensch übertragbaren Infektionskrankheiten (Zoonosen) vor und dient insoweit der Gesundheit von Menschen. Werden mit einer übertragbaren Krankheit infizierte Tiere falsch behandelt und die Infektion nicht erkannt oder nicht gestoppt, besteht die Gefahr, dass sich Menschen am Tier anstecken und die Infektion dann an andere Menschen weitergeben. Die Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie für den Fall, dass die Anwendung registrierter Humanhomöopathika bei Tieren in Betracht kommt, dient aber auch insoweit dem Tierschutz sowie der Tiergesundheit, als Tierhalterinnen und Tierhalter nicht im Glauben an die fachliche Qualifikation von Tierheilpraktikern oder Tierhomöopathen sowie die Wirksamkeit von Homöopathika ihren Tieren eine Behandlung durch nachgewiesen fachlich qualifizierte Personen vorenthalten.“ Jura Intensiv Folglich dient § 50 II TAMG einem legitimen Zweck. bb) Geeignetheit und Erforderlichkeit Die angegriffene Norm ist geeignet, d.h. zweckförderlich, indem sie sicherstellt, dass vor der homöopathischen Behandlung eine Begutachtung durch einen fachlich qualifizierten Tierarzt erfolgen muss. Ferner ist sie auch erforderlich. Zwar sind mildere Mittel denkbar (z.B. Begrenzung des Tierarztvorbehalts auf schwerwiegende Erkrankungen eines Tieres), jedoch nicht genauso effektiv wie die zwingende Hinzuziehung eines approbierten Tiermediziners. Zweck-Mittel-Relation cc) Angemessenheit § 50 II TAMG muss schließlich angemessen sein, d.h. der verfolgte Zweck darf nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen. Mit dem Tierschutz und dem Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren verfolgt der Gesetzgeber gewichtige Ziele, greift andererseits aber auch erheblich in die Berufsausübung von Tierheilpraktikern und Tierhomöopathen ein, die klassisch homöopathisch Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2023 Öffentliches Recht 91 arbeiten; sie sind im Kern ihrer beruflichen Betätigung betroffen. Ferner wirken sanktionsbewehrte Verhaltens- und Anzeigepflichten nach dem Tierschutz- und dem Tiergesundheitsgesetz (§§ 2, 16a TierSchG, §§ 2, 4, 32 TierGesG) zumindest einer schwerwiegenden Gefährdung der durch § 50 II TAMG geschützten Gemeinwohlbelange entgegen. „[134] Die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes sowie einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch kann aber vor allem dadurch gemindert werden, dass die Ausübung des Berufs der klassisch homöopathisch arbeitenden Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen […] von dem Nachweis theoretischer Kenntnisse im Bereich der Tierheilkunde abhängig gemacht werden. Gefahrmindernd wirkt insoweit bereits der nachgewiesene Erwerb solcher Kenntnisse, die dazu befähigen einzuschätzen, ob und inwieweit die Zuziehung eines Tierarztes oder die Verweisung an einen Tierarzt erforderlich ist. [135] Auf der Stufe der Angemessenheit ist auch zu prüfen, ob es verfassungsrechtlich hinnehmbar ist, dass keine Lösung ersichtlich ist, die hinsichtlich Eignung und Erforderlichkeit für jedes der kollidierenden Rechtsgüter zu einem positiven Ergebnis kommt. Diese Klärung muss letztlich zu einer Abwägung führen, die die jeweiligen Vor- und Nachteile bei der Verwirklichung der verschiedenen betroffenen Rechtsgüter in ihrer Gesamtheit einbezieht. Dabei ist zu prüfen, ob Abstriche in der Eignung und Erforderlichkeit hinsichtlich des einen kollidierenden Rechtsguts angesichts der dadurch bewirkten Möglichkeit zum Schutz des anderen Guts in einem angemessenen Verhältnis stehen, insbesondere zumutbar sind, oder ob die Angemessenheit eher erreicht wird, wenn Minderungen der Eignung und Erforderlichkeit hinsichtlich des anderen Rechtsguts in Kauf genommen werden. Gegebenenfalls sind unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten darauf zu überprüfen, welche aus beiden Sichtwinkeln zur größtmöglichen Sicherung des Schutzes der kollidierenden Rechtsgüter führt. Es kann daher an der Angemessenheit fehlen, etwa wenn bei einem milderen Mittel die Wirksamkeit nur wenig geringer ist. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber nach Möglichkeit auch eine freiheitsschonende Lösung zu wählen, die besonders intensive Eingriffe durch Befreiungs-, Übergangs- oder Kompensationsregelungen abmildert, was auch für einen zeitlich begrenzteren Einsatz des gewählten Mittels relevant sein kann.“ Jura Intensiv In Anbetracht der Möglichkeit, die beschriebene Nachweispflicht zu normieren, der Intensität des Grundrechtseingriffs und der geringen Gefahren, die mit der Verabreichung der streitgegenständlichen Homöopathika verbunden sind, ist der sog. Tierarztvorbehalt nicht angemessen und verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Art. 12 I GG. FAZIT Die Entscheidung ist examensrelevant, weil sie etliche examenstypische Probleme anspricht (mittelbarer Eingriff, Gesetzgebungsbefugnis, Verhältnismäßigkeit). Besonders bedeutsam sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Ausführungen des BVerfG zum legitimen Zweck und zur Angemessenheit, weil dort grundsätzliche Überlegungen angestellt werden. In einer Klausur könnte zudem Art. 3 I GG zu thematisieren sein, weil es für die Anwendung von Humanhomöopathika beim Menschen keinen Arztvorbehalt gibt. Einführung einer Nachweispflicht als Ausgleich zwischen den verfolgten Zielen und der Eingriffsintensität. Grundsätzliche Überlegungen zur Angemessenheit Das BVerfG hat zudem einen Verstoß gegen Art. 2 I GG der Tierhalter angenommen, die ihre Tiere mit Humanhomöopathika behandeln möchten (Rn 142-152 des Beschlusses). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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