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RA Digital - 02/2023

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98 Referendarteil:

98 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 02/2023 Vermeidung von Wiederholungen, wenn in der Klageerwiderung lediglich die Argumente aus dem Verwaltungsverfahrens erneut vorgebracht werden. Urteilsstil: Ergebnis voranstellen Wenn die Zulässigkeit unproblematisch ist, kann sie im Ergebnissatz mit abgehandelt werden. Ziffer 1 des Tenors Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage Ermächtigungsgrundlage Inhalt der Ermächtigungsgrundlage Tatbestandsvoraussetzungen zwar erfüllt sind Aber: Anwendbarkeit des § 14 I OBG NRW (-) wegen Sperrwirkung des Straßenverkehrsrechts. Auch hier: Urteilsstil beachten, also Ergebnis voranstellen. Abschließende Regelung im Bundesrecht Maßgebliche Norm des Bundesrechts: § 4 StVG Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Ordnungsverfügung. […]“ ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE „Die Klage hat Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet. Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 8. Juni 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung enthaltene Anordnung, beim Benutzen öffentlicher Straßen in X. als Führer von Personenkraftwagen das durch eine nicht abschließende Aufzählung („zum Beispiel“) näher konkretisierte Verursachen unnötigen Lärms zu unterlassen, ist rechtswidrig. Als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu beurteilen. Entgegen der Auffassung der Beklagten findet Ziffer 1 der Ordnungsverfügung ihre Rechtsgrundlage nicht in der ordnungsbehördlichen Generalermächtigung des § 14 Abs. 1 OBG NRW. […] Nach § 14 Abs. 1 OBG NRW können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren. Verstößt ein Fahrerlaubnisinhaber beim Führen eines Kraftfahrzeugs auf einer öffentlichen Straße gegen eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift oder ein verkehrsregelndes Verkehrszeichen, verletzt er die geschriebene Rechtsordnung. Damit gefährdet er die öffentliche Sicherheit im ordnungs- bzw. gefahrenabwehrrechtlichen Sinne. […] Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 OBG NRW […] sind damit nach ihrem Wortlaut erfüllt. Allerdings findet § 14 Abs. 1 OBG NRW von vornherein keine Anwendung auf die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die dadurch entstehen, dass am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmende Fahrerlaubnisinhaber wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßen. Das bundesrechtliche Straßenverkehrsrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht regelt die Abwehr solcher Gefahren abschließend und steht einer ergänzenden Anwendung des allgemeinen Landesordnungsrechts im Wege. […] Die Sperrwirkung entfällt nur, soweit die Gefahr nicht in einem befürchteten künftigen Verkehrsverstoß eines Fahrerlaubnisinhabers besteht, sondern eine andersartige Gefahr vorliegt. Jura Intensiv Der Bundesgesetzgeber hat im Rahmen der von ihm ausgeübten (konkurrierenden) Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG das potenziell gefährliche Führen von Kraftfahrzeugen in § 2 Abs. 1 Satz 1 StVG unter ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gestellt. […] Wie die Gefahr für die öffentliche (Verkehrs-)Sicherheit abzuwehren ist, die von einem Fahrerlaubnisinhaber ausgeht, der nach der Fahrerlaubniserteilung erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstößt, ist ebenfalls bundesrechtlich geregelt. […] Im Einzelnen regelt […] § 4 StVG, wie präventiv mit Gefährdungen durch wiederholte Verkehrsverstöße von Fahrerlaubnisinhabern umzugehen ist. […] Um der Gefahr […] wiederholter Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2023 Referendarteil: Öffentliches Recht 99 Verstöße gegen Verkehrsvorschriften durch den Fahrerlaubnisinhaber zu begegnen, sieht § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG drei gestufte Maßnahmen vor: die schriftliche Ermahnung beim Erreichen von vier oder fünf Punkten (Nr. 1), die schriftliche Verwarnung beim Erreichen von sechs oder sieben Punkten (Nr. 2) und die Entziehung der Fahrerlaubnis beim Erreichen von acht oder mehr Punkten (Nr. 3). Dieses Fahreignungs-Bewertungssystem ist für das präventive Vorgehen gegen Wiederholungstäter unter den Fahrerlaubnisinhabern im Grundsatz abschließend. Das folgt systematisch aus § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG. Die Norm erlaubt lediglich im Ausnahmefall, das Fahreignungs- Bewertungssystem nicht anzuwenden. […] Damit sind in erster Linie […] Maßnahmen zur Aufklärung von Zweifeln an der Fahreignung nach §§ 11 ff. FeV (z.B. Sehvermögen, Alkohol- und Drogenkonsum, Medikamenteneinnahme) gemeint. Ebenso ist der sofortige Entzug der Fahrerlaubnis (§ 46 FeV) erfasst, wenn die Fahrungeeignetheit aus anderen Gründen bereits endgültig feststeht. […] Mit dem Fahreignungs-Bewertungssystem des § 4 StVG akzeptiert der Bundesgesetzgeber, dass Fahrerlaubnisinhaber weiter am Straßenverkehr teilnehmen, obwohl sie wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßen haben. Er erlaubt ihre Ausschließung erst, wenn sie die dritte Stufe (Fahrerlaubnisentziehung) erreicht haben. Der Bundesgesetzgeber nimmt damit zwangsläufig und bewusst Verkehrsverstöße des Fahrerlaubnisinhabers, also im ordnungsrechtlichen Sinne gefährliches Verhalten, in einem gewissen Umfang in Kauf. […] Der Zweck des Fahreignungs-Bewertungssystems des § 4 StVG besteht dabei gerade darin, bundesrechtlich sicherzustellen, dass gleichartige Verkehrsverstöße, durch die Fahrerlaubnisinhaber als Wiederholungstäter die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden („Mehrfachtätersystem“), bundesweit einheitlich präventiv bekämpft werden. […] Aus der fehlenden Punktebewehrung eines Verkehrsverstoßes kann nicht geschlossen werden, dass er vom StVG bzw. der FeV nicht erfasst wird und eine Regelungslücke eröffnet, die einen Rückgriff auf die Vorschriften des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts ermöglicht. Ist eine Zuwiderhandlung nicht mit Punkten bewehrt, folgt daraus im Gegenteil, dass der Bundesgesetzgeber sie als unbedeutender für die Teilnahme am erlaubnispflichtigen Kraftverkehr und damit als die Verkehrssicherheit weniger gefährdend einordnet. Diese gesetzgeberische Wertung würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn bei nicht punktebewehrten Taten weitreichendere gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen unter geringeren Voraussetzungen möglich wären, als § 4 StVG sie für schwerwiegendere Verkehrsverstöße vorsieht. […] Jura Intensiv Flankiert wird das der Abwehr wiederholter Verkehrsverstöße dienende (gefahrenabwehrrechtliche) Fahreignungs-Bewertungssystem […] durch die (repressive) Bußgeldvorschrift des § 24 StVG insbesondere in Verbindung mit § 49 StVO. […] Durch dieses Zusammenwirken von repressiven und präventiven staatlichen Reaktionen zeigt der Bundesgesetzgeber einerseits, dass er mit wiederholten Verstößen von Fahrerlaubnisinhabern gegen Verkehrsregeln rechnet und diese (gefahrenabwehrrechtlich) in gewissem Umfang hinnimmt. Andererseits gibt er vor, wie bei einer bestimmten Anzahl bzw. Schwere von Wiederholungstaten gefahrenabwehrend zu reagieren ist. Daraus folgt zugleich: Ist keine Maßnahmenstufe nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu ergreifen und liegt kein atypischer Fall i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG vor, hat es mit der repressiven Sanktion eines Verkehrsverstoßes sein Bewenden. […] Entscheidend: § 4 I 3 StVG Einfachgesetzliche Umsetzung des Art. 3 I GG Fehlende Punktebewehrung im Fahreignungsregister darf nicht durch Rückgriff auf allgemeines Polizeirecht unterlaufen werden. Ergänzende Bußgeldnorm Fazit: Abschließendes bundesrechtliches Regelungssystem © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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