Aufrufe
vor 1 Jahr

RA Digital - 02/2023

  • Text
  • Verlagjuraintensivde
  • Zivilrecht
  • Anspruch
  • Beklagten
  • Recht
  • Stgb
  • Urteil
  • Verlags
  • Inhaltsverzeichnis
  • Jura
  • Intensiv
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

58 Zivilrecht

58 Zivilrecht RA 02/2023 Problem: Nachträgliche Unwirksamkeit wegen Eintritts einer auflösenden Bedingung? Die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung lässt sich hier nicht direkt aus dem Wortlaut der E-Mails ableiten. Erforschung des wirklichen Willens der Parteien gem. §§ 133, 157 BGB Empfängerhorizont Der Wortlaut spricht dafür, dass der Vergleich einen Rechtsstreit vermeiden sollte, nicht hingegen hinfällig sein sollte, wenn trotz Vergleich nicht gezahlt werde. Sinn und Zweck des Vergleichs Hintergrund war die unklare Verkaufsbereitschaft aufgrund der Erkrankung der B2. Daraus folgte die Unsicherheit, ab wann der Aufwendungsersatzanspruch fällig werden würde. Um diese Unsicherheit zu beseitigen, schlossen die Parteien den Vergleich im Wege gegenseitigen Nachgebens. § 779 I BGB einen Streit oder eine Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis voraus und schließlich ein gegenseitiges Nachgeben. Diese Voraussetzungen liegen dem Grunde nach vor. Fraglich ist nur, ob der Vertrag nachträglich unwirksam geworden ist. Dies wäre der Fall, wenn der Vertrag der Meinung der K entsprechend gem. § 158 II BGB unter einer auflösenden Bedingung geschlossen worden und diese nachträglich eingetreten wäre. Zu prüfen ist also, ob eine solche auflösende Bedingung vereinbart worden ist. Dagegen spricht zunächst, dass keine der ausgetauschten E-Mails das Wort Bedingung enthält. Der Wille zur Vereinbarung einer Bedingung kann folglich nur durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB ermittelt werden. [33] Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung und demgemäß in erster Linie dieser und der ihm zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Bei seiner Willenserforschung hat der Tatrichter aber auch den mit der Absprache verfolgten Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können. Dabei sind empfangsbedürftige Willenserklärungen so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (…). Insbesondere ist der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung zu beachten (…). [34] Schon nach dem hiernach als Ausgangspunkt heranzuziehenden Wortlaut des Angebots der Klägerin überzeugt die Lesart nicht, dass der angebotene Vergleich unter der (auflösenden) Bedingung stehen sollte, dass zwischen den Parteien kein gerichtsförmiger Rechtsstreit geführt wird. Denn die Klägerin formulierte, dass „das Angebot“ nicht für den Fall gelte, dass der Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden müsse (…). Somit stellte die Klägerin schon wörtlich ausschließlich das eigene Vertragsangebot und nicht – für den gedachten Fall der Annahme – auch den noch zu schließenden Vergleich unter den Vorbehalt, dass kein gerichtsförmiger Rechtsstreit ausgetragen werde. Im Übrigen ist in den ausgetauschten Willenserklärungen an keiner Stelle von einer „Bedingung“ die Rede. [35] Diese Auslegung wird durch den Zweck des Vergleichs bekräftigt. Der Vergleich hatte den Sinn, eine endgültige und klare Regelung zu treffen und eine zu diesem Zeitpunkt für möglich gehaltene gerichtliche Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang aufgrund der damals bestehenden, unklaren Umstände zu vermeiden. Der Hintergrund war, dass es unklar erschien, ob, und gegebenenfalls wann, die Beklagten in Bezug auf ihre Immobilie wieder verkaufsbereit sein würden. Dieser Zustand warf Fragen auf. Denn nach der zwischen den Parteien am 11.01.2019 geschlossenen Vereinbarung konnte die Klägerin Ersatz für ihre Aufwendungen nur auf einem von zwei Wegen erhalten. Entweder musste sie einen provisionspflichtigen Verkauf nachweisen. Alternativ mussten die Beklagten die Verkaufsabsicht „generell“ aufgeben oder einen Verkauf vertretbar unmöglich werden lassen. Da die Beklagten die Verkaufsbemühungen jedoch stattdessen „pausieren“ ließen, war ein Schwebezustand entstanden, dessen rechtliche Konsequenzen unklar waren. Diese Rechtsunsicherheit betraf die Frage, ob und ab welchem Zeitpunkt die Klägerin nach Ziff. 6 des Vertrages (…) Aufwendungsersatz würde verlangen können. Diese Ungewissheit bestand spiegelbildlich Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2023 Zivilrecht 59 auch aus der Sicht der Beklagten. Diese wollten einen Rechtsstreit vermeiden. Soweit sie es damals für möglich erachteten, dass ihre Verkaufsabsicht künftig wiederaufleben könnte, hatten sie auch ein Interesse, die Leistungen der Klägerin weiter in Anspruch nehmen zu können, ohne über eine möglicherweise anfallende Verkäuferprovision hinaus weitere Zahlungen für Aufwendungen erbringen zu müssen. Zugleich wollten sie eine vorherige Inanspruchnahme auf Aufwendungsersatz in Höhe der von der Klägerin in den Raum gestellten 7.000 EUR abwenden bzw. eine solche Zahlung, falls unabweislich, so weit wie möglich reduzieren. Dabei entsprach es auch ihrem Interesse, sicherzustellen, dass eventuell gezahlter Aufwendungsersatz auf eine gegebenenfalls künftig anfallende Verkäuferprovision an die Klägerin angerechnet wird. [36] Keiner dieser Aspekte lässt erkennen, dass es in dem Interesse einer der Parteien gewesen wäre, einen Vergleich unter der undifferenzierten auflösenden Bedingung der Führung eines gerichtsförmigen Rechtsstreits zu schließen. Aus Sicht beider Parteien hätte eine solche Auslegung jeden Vorteil zunichtegemacht, den sie durch die Beilegung der Streitigkeit mittels des Vergleichs zu erreichen suchten. Alle offenen Rechtsfragen - und alle die Höhe der Forderungen und der Kosten betreffenden Risiken - wären in diesem Fall in der Schwebe geblieben. Die zu überwindende Rechtsunsicherheit wäre bestehen geblieben. [37] Der Zweck des Vergleichs aus Sicht der Klägerin (Vermeidung eines Rechtsstreits mit ungewissen Erfolgsaussichten; niedrigerer, sicherer Anspruch statt ungewisser, höherer Anspruch; baldige Zahlung mit kurzem Zahlungsziel und Teilverzicht statt ungewisser späterer Zahlung, die eventuell höher ausfallen könnte) wäre durch eine solche Auslegung in sein Gegenteil verkehrt. Dies trifft auch auf die Interessen des Beklagten zu 1) zu, der nur durch eine endgültige Streitbeilegung die Vorteile des Vergleichs aus seiner Sicht (Vermeidung eines Rechtsstreits mit ungewissen Erfolgsaussichten, Sicherung eines Teil-Nachlasses, Sicherstellung der Anrechenbarkeit auf die Provision bei späterem Wiederaufleben der Verkaufsabsicht) sichern konnte. [38] Diese Auslegung entspricht auch dem Grundsatz der beiderseitigen interessengerechten Auslegung. Eine andere Auslegung würde bedeuten, dass es beide Seiten grundsätzlich in der Hand hatten, den Vergleich durch Anstrengung oder Provokation eines Gerichtsverfahrens zur Auflösung zu bringen, wodurch der Zweck des Vergleichs, die endgültige Streitbeilegung, vollständig vereitelt wäre. [39] Zur Annahme einer Bedingung würde zudem die Feststellung von Zweifeln über das Eintreten des künftigen Ereignisses gehören, auf das abgestellt wird. Eine echte Bedingung setzt voraus, dass das künftige Ereignis sowohl objektiv als auch nach der Vorstellung des Erklärenden ungewiss ist (…). Die hier nach Auffassung des Beklagten zu 1) vereinbarten Bedingungen sind jedoch solche, die den Parteien (oder nach seiner Auslegung dem Beklagten zu 1)) quasi willkürlich erlauben würden, den Wegfall des Vergleichs herbeizuführen. Hätten die Parteien eine solche Bedingung vereinbaren wollen, hätte die ausdrückliche Vereinbarung eines Widerrufsvorbehaltes nahegelegen. Ein entsprechender objektiver Erklärungsgehalt ist den Willenserklärungen der Parteien freilich nicht zu entnehmen. Jura Intensiv Der Vergleich stand folglich nicht unter Bedingung und wurde durch die Klageerhebung nicht unwirksam. Wichtig zum Verständnis der Interessenlage beider Parteien ist die Anrechnungsvereinbarung für den Fall, dass es später zu einem Verkauf kommen würde. Entscheidend: Eine auflösende Bedingung hätte auf beiden Seiten jeden Vorteil des Vergleichs zunichte gemacht. Interessen des B1 Eben! Definition der Bedingung i. S. d. § 158 BGB Prozessvergleiche i. S. d. § 794 I Nr. 1 ZPO werden nicht selten unter „Vorbehalt des Widerrufs bis zum (...)“ geschlossen, weil Prozesshandlungen eigentlich unwiderruflich sind. Folglich wurde der Vergleich bedingungslos geschlossen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats