64 Zivilrecht RA 02/2024 ZIVILRECHT Problem: Einordnung eines Vertrages als Verbraucherbauvertrag bei mehreren Verträgen Einordnung: Werkvertragsrecht BGH, Urteil vom 26.10.2023 VII ZR 25/23 LEITSATZ Bei der Beurteilung, ob es sich um einen Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i I 1 Fall 1 BGB handelt, kommt es nicht auf die Gesamtheit aller dem Unternehmer sukzessive im Verlauf der Bauarbeiten erteilten selbständigen Aufträge an. Man überliest hier schnell den entscheidenden und auch im Vergleich zu BGH, RA 05/2023, 225 ff. (VII ZR 94/22) neuen Aspekt des Falles: B hat K immer wieder neue Bauaufträge erteilt und erst später alle Verträge in einer einheitlichen Schlussrechnung zusammengefasst. EINLEITUNG Über die Abgrenzung zwischen dem Bauvertrag gem. § 650a BGB und dem Verbraucherbauvertrag gem. § 650i BGB haben wir bereits in RA 05/2023, 225 ff. berichtet. Das dort vorgestellte Urteil des BGH (VII ZR 94/22) ist zur Aufnahme in die amtliche Sammlung vogesehen, was die Examensrelevanz nicht gerade senkt. Das vorliegende Urteil enthält eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats zu § 650i BGB. SACHVERHALT B erteilte der K im Mai 2017 einen Auftrag für die Rohbauarbeiten zur Errichtung eines neuen Bürogebäudes. Dieses sollte der Alterssicherung des B dienen. K stellte die Arbeiten im Dezember 2017 fertig und rechnete hierüber mit einer Schlussrechnung vom 02.05.2018, die B vollständig beglich, ab. Nach Fertigstellung der Rohbauarbeiten beauftragte im Jahr 2018 B die K außerdem sukzessive zu verschiedenen Zeitpunkten mit der Verlegung des Estrichs, mit der Ausführung von Trockenbauarbeiten, mit Zimmererarbeiten - insoweit jeweils nach vorheriger Einholung von Angeboten von Drittunternehmern - und mit Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses. Unter dem 27.12.2018 erstellte die K Schlussrechnungen über die Estrichverlegung, die Trockenbauarbeiten und die Zimmererarbeiten. Unter dem 28.04.2020 erstellte sie unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen eine zusammenfassende Schlussrechnung über diese Arbeiten und die Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses. Die ausgewiesene Summe in Höhe von 898.197,70 € ist sachlich und rechnerisch richtig. K begehrt im selben Schreiben von B Sicherheiten in Höhe von 10 % seiner Vergütungsansprüche, insgesamt in Höhe von 89.819,77 €. B verweigert die Erbringung der Sicherheitsleistung mit der Begründung, er sei hierzu nicht verpflichtet, weil zwischen ihm und K ein Verbraucherbauvertrag vorläge. Unstreitig habe K nicht den Einbau von Fenstern und Türen, die abschließende Abdichtung des Daches, die Heizungs-, Elektro- und Sanitärarbeiten sowie die Bodenbeläge erbracht. Zu Recht? Jura Intensiv LÖSUNG Wichtig: Sie bekommen im Examen Aufgaben gestellt, die sie auf der Basis des aktuell gültigen Rechts lösen sollen. Hier liegt eine kleine Schwierigkeit darin, dass der Vertrag bezüglich der Rohbauarbeiten – die bereits bezahlt waren und deshalb nicht Teil der Schlussrechnung waren und die keine Rolle in Bezug auf die verlangte Sicherheitsleistung spielen – vor der Einführung des § 650u BGB geschlossen wurde. Deshalb erfolgt hier eine Abgrenzung. A. Anspruch der K gegen B auf Leistung einer Sicherheit in Höhe von 89.819,77 € gem. § 650f I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Leistung einer Sicherheit in Höhe von 89.819,77 € gem. § 650f I BGB haben. I. Anwendbarkeit des § 650f I BGB § 650f BGB ersetzte am 01.01.2018 den § 648a BGB a.F. Die Anwendbarkeit des § 650f BGB richtet sich nach Art. 229 § 39 EGBGB. Danach kommt § 650f BGB zur Anwendung, wenn der Vertrag ab dem 01.01.2018 geschlossen wurde. Die hier in Rede stehenden Schuldverhältnisse wurde nach dem 01.01.2018 geschlossen. Ein früherer Vertragsschluss folgt nicht daraus, dass K im Jahr 2017 Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 02/2024 Zivilrecht 65 mit der Durchführung von Rohbauarbeiten beauftragt worden ist. Bei den weiteren Arbeiten handelt es sich nicht um Nachträge zum Rohbauvertrag, sondern um einen selbständigen Auftrag. Folglich unterfallen die mit der Schlussrechnung vom 28.04.2020 abgerechneten vertraglichen Leistungen nach Art. 229 § 39 EGBGB sämtlich dem BGB in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Folglich findet § 650f I BGB Anwendung. II. Bauverträge gem. § 650a BGB Es muss sich bei den Werkverträgen auch um Bauverträge gem. § 650a BGB handeln. Hier war K aufgrund der geschlossenen Verträge zur Herstellung einzelner Teile eines Bauwerkes verpflichtet. Daher liegt ein Bauvertrag vor. III. Sicherbarer Anspruch Sicherbar sind alle aus den Bauverträgen stammenden Forderungen des Unternehmers gegen den Besteller, soweit diese nicht erloschen oder undurchsetzbar sind. Hier besteht unstreitig eine Forderung in Höhe von 898.179,70 € der K gegen B aus den Bauverträgen. IV. Sicherungsverlangen des Unternehmers Der Unternehmer muss die Sicherheit i.S.d. § 650f BGB ausdrücklich verlangt haben. Hierzu ist die Angabe der Höhe der sicherbaren Forderung erforderlich, wegen § 650f II BGB jedoch nicht die Angabe der Art der Sicherheit. Hier hat K eindeutig die Leistung einer Sicherheit in Höhe von 89.819,77 € verlangt. V. Kein Ausschluss gem. § 650f VI 1 Nr. 2 BGB Der Anspruch könnte jedoch gem. § 650f VI 1 Nr. 2 BGB ausgeschlossen sein. Dann müsste B Verbraucher i.S.d. § 13 BGB sein und es sich um einen Verbraucherbauvertrag i.S.d. § 650i BGB handeln. Indem B das Gebäude zur Alterssicherung errichten ließ, verfolgte er weder einen selbständigen beruflichen, noch einen gewerblichen Zweck. In Frage steht jedoch die Einordnung als Verbraucherbauvertrag i.S.d. § 650i BGB. [28] Bei der Beurteilung, ob es sich um einen Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB handelt, kommt es nicht auf die Gesamtheit aller dem Unternehmer sukzessive im Verlauf der Bauarbeiten erteilten selbständigen Aufträge an. [29] Das folgt bereits aus allgemeinen Grundsätzen, wonach jeder selbständige Vertrag nach seinem Inhalt und den für diesen Vertrag geltenden Maßstäben zu beurteilen ist. Es gibt keine Veranlassung, hiervon im Rahmen von § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB für Fälle eine Ausnahme zu machen, in denen sich der Unternehmer zunächst zum Bau eines Teils eines neuen Gebäudes verpflichtet und anschließend während oder nach der Durchführung der hiernach geschuldeten Arbeiten mit weiteren Leistungen an diesem Bauvorhaben beauftragt wird. [30] Wollte man in derartigen Fällen alle beauftragten Gewerke insgesamt in den Blick nehmen, lägen die Voraussetzungen eines Verbraucherbauvertrags erst in dem Moment vor, in dem ein Vertrag geschlossen wird, der zusammen mit den zuvor geschlossenen Verträgen Verpflichtungen begründet, die als Bau eines neuen Gebäudes zu qualifizieren wären. Dieser Umstand kann zu diesem Zeitpunkt weder rechtfertigen, dass der zuletzt geschlossene Vertrag nunmehr - abweichend von seinem Inhalt - als Verbraucherbauvertrag zu qualifizieren ist, noch, dass dieser und rückwirkend alle Verträge zu Verbraucherbauverträgen werden. Jura Intensiv Anspruch auf Leistung einer Sicherheit gem. § 650f I BGB: I. Anwendbarkeit gem. Art. 229 § 39 EGBGB II. Bauvertrag gem. § 650a BGB III. Sicherbarer Anspruch des Bestellers IV. Sicherungsverlangen des Unternehmers V. Kein Ausschluss gem. § 650f VI 1 BGB Kernproblem des Falles: Liegt ein Verbraucherbauvertrag gem. § 650i BGB vor? Es ist empfehlenswert, zunächst die zur Aufnahme in die amtliche Sammlung vorgesehene Entscheidung BGH, RA 05/2023, 225 ff. (VII ZR 94/22) zu lesen. Dort hatte der VII. Zivilsenat entschieden, dass ein Verbraucherbauvertrag nicht vorliegt, wenn sich der Unternehmer nur zur Herstellung eines einzelnen Gewerks verpflichtet, das im Rahmen des Baus eines neuen Gebäudes zu erbringen ist. Die Besonderheit im vorliegenden Fall liegt darin, dass der Besteller den Unternehmer sukzessive mit Bauverträgen zur Herstellung vieler Einzelgewerke beauftragt hat. Kann dies zur Annahme eines Verbrauchervertrages führen? Der VII. Zivilsenat des BGH verneint dies. Gründe der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit leiten den Senat © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
RA 02/2024 Referendarteil: Strafrec
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