66 Zivilrecht RA 02/2024 Würde man eine technische oder wirtschaftliche Schwelle annehmen, nach deren Überschreiten aus den sukzessive einzeln abgeschlossenen Verträgen ein einheitlicher Verbraucherbauvertrag würde, ergäben sich massive Probleme aufgrund der Konkurrenz des Verbraucherwiderrufsrecht aus § 650l BGB mit anderen Verbraucherwiderrufsrechten aus § 312g BGB und den Folgeproblemen hinsichtlich des Wertersatzes. § 357a II BGB stellt andere Anforderungen als § 357e BGB. Der Unternehmer hätte zudem kaum eine Chance, die die §§ 650i ff. BGB betreffenden verbraucherschützenden Informationspflichten rechtzeitig dem Verbraucher zukommen zu lassen. Der VII. Zivilsenat des BGH lehnt auch die von der Revision vorgeschlagene wirtschaftliche Bemessungsgrenze in Höhe von 80 % der Gesamtvergütung ab. Warum sollte der Besteller, der hier ein Verbraucher ist, zu seinen Ungunsten absichtlich eine Gestaltung wählen, die ihm den Ausschlussgrund des § 650f VI 1 Nr. 2 BGB nimmt? Es verwundert daher nicht, dass keine Anhaltspunkte für eine Umgehung gem. § 650o BGB erkennbar waren. [31] Einer Rückwirkung auf alle bereits geschlossenen Verträge stehen schon die Gebote der Rechtssicherheit, der Rechtsklarheit und des Vertrauensschutzes entgegen. Es ist ausgeschlossen, der Vorschrift des § 650i Abs. 1 BGB - zumal ohne jede Andeutung einer solchen Rechtsfolge in ihrem Wortlaut - die Wirkung einer derartigen rechtlichen Umgestaltung der bis zu diesem Zeitpunkt geschlossenen Verträge zu entnehmen. Es wäre schon völlig unklar, wie etwaige Widersprüche zu den auf die Verträge bis zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Vorschriften zu lösen wären. Das betrifft beispielsweise die unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen etwaiger Widerrufsrechte von Verbraucherverträgen, die keine Verbraucherbauverträge sind (§ 312 Abs. 1, 2 Nr. 3 BGB), gemäß §§ 312g, 357a Abs. 2 Satz 1 BGB einerseits und von Verbraucherbauverträgen gemäß §§ 650l, 357e BGB andererseits. [32] Es ist auch nicht ersichtlich, mit welcher Begründung (allein) der zuletzt geschlossene Vertrag über ein Gewerk, mithin über den Bau eines Teils eines Gebäudes, im Gegensatz zu allen derartigen Verträgen in Fällen, in denen der Verbraucher verschiedene Unternehmer mit den Gewerken beauftragt, und auch im Unterschied zu den zuvor mit demselben Unternehmer geschlossenen Verträgen als Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i Abs. 1 BGB angesehen werden könnte. Es gibt keinen Ansatzpunkt dafür, dass gerade für einen solchen Vertrag einerseits die verbraucherschützenden Vorschriften der §§ 650i ff. BGB ausnahmsweise gelten und damit gleichzeitig die ebenfalls verbraucherschützenden Vorschriften der §§ 312 ff. BGB nicht gelten sollten. Im Gegenteil ist der mit den §§ 650i ff. BGB maßgeblich verfolgte Zweck, den Verbraucher durch vorvertragliche Unterrichtungs- und Informationspflichten (...) zu schützen, im Wesentlichen nicht mehr erreichbar. [34] Es kommt daher nicht darauf an, ob - wie die Revision anders als das Berufungsgericht meint - die Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Rohbauarbeiten und aus diesen Verträgen (Anmerkung der Red.: Gemeint sind die Verträge über die Aufträge zur Verlegung des Estrichs sowie der Ausführung von Trockenbauarbeiten, Zimmererarbeiten und Stundenlohnarbeiten hinsichtlich des Treppenhauses) insgesamt ausreichen würden, um anzunehmen, dass sie den „Bau eines neuen Gebäudes“ umfassen, weil auf sie mehr als 80 % der insgesamt zu erwartenden Vergütung entfalle. (...). [35] § 650i BGB findet auch nicht gemäß § 650o Satz 2 BGB Anwendung. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht eine Gestaltung, durch die § 650i BGB umgangen wird, verneint. Das stellt die Revision nicht in Frage. Jura Intensiv Folglich handelt es sich nicht um einen Verbraucherbauvertrag gem. § 650i I BGB. Folglich findet der Ausschlussgrund des § 650f VI 1 Nr. 2 BGB keine Anwendung. B. Ergebnis K hat gegen B einen Anspruch auf Leistung einer Sicherheit in Höhe von 89.819,77 € gem. § 650f I BGB. FAZIT Auch wenn der Besteller Bauaufträge zu Einzelgewerken derselben Liegenschaft demselben Unternehmer sukzessive erteilt, die 80 % der Gesamtvergütung erreichen, wird aus einzelnen Bauverträgen i.S.d. § 650a kein Verbraucherbauvertrag gem. § 650i BGB. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 02/2024 Zivilrecht 67 Problem: Keine Nichtigkeit eines Testaments zugunsten eines behandelnden Arztes Einordnung: Erbrecht OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.12.2023 21 W 91/23 EINLEITUNG Im letzten Lebensabschnitt bedürfen Hochbetagte oftmals intensiver medizinischer und pflegerischer Zuwendung. Dabei entsteht aufgrund der Abhängigkeit ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Ärzten und Pflegekräften. § 14 HeimG sowie § 32 BO-Ä (Berufsordnung der Ärzte) setzen deshalb klare Grenzen, wenn es zu finanziellen Zuwendungen der Patienten an diese Berufsträger kommen soll oder gekommen ist. Im vorliegenden Fall interpretiert der erkennende Senat des OLG Frankfurt diese Regelungen jedoch sehr freizügig. Die Entscheidung lässt aufhorchen. SACHVERHALT Die Erblasserin (E) war verwitwet und kinderlos. Ein mit ihrem vorverstorbenen Ehemann errichtetes gemeinschaftliches Testament vom 20.05.2011 enthielt keine Regelungen für den Tod des Längstlebenden. Die einzige Schwester der Erblasserin verstarb im November 2016. B1 und B4 sind Cousins der E. B6 ist die Ehefrau des B1. B3 ist ein Nachbar der E, dessen Tochter die E pflegerisch unterstützt hatte. B5 ist eine Freundin der Erblasserin, die sich in den letzten Monaten um E gekümmert hat. B2 war seit 1997 der Hausarzt der E, die ihm im Jahr 2017 eine Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht erteilt hatte. E hatte nach dem Tod ihres Ehemannes verschiedene handschriftliche Testamente errichtet. Zunächst hatte sie im Testament vom 08.12.2014 ihre Schwester als Alleinerbin eingesetzt. Nach deren Tod hatte sie im Testament vom 30.06.2017 u.a. B1, B4 und B6 in Höhe von 20 % und Ihren Hausarzt, B2 in Höhe von 10 % als Erben berücksichtigt. Ein späteres Testament vom 09.09.2018 enthielt Verfügungen zugunsten von 5 Miterben zu jeweils 20 %, darunter B1, B2, B4 und B6. Das später errichtete sah B1 und B4 als Miterben zu 30 % sowie B2 und B 5 als Miterben zu 20 % vor. Dieses Testament wurde aus der amtlichen Verwahrung genommen. Streitgegenständlich ist das eigenhändig errichtete und eigenhändig mit ihrem vollen Namen unterschriebene Testament vom 20.09.2021. In diesem hatte E die B1 bis B5 zu Miterben in Höhe von jeweils 20 % eingesetzt. B6 blieb unberücksichtigt. Auf dem Testament hatte B2, der nach wie vor der Hausarzt der E war, bestätigt, dass E das Testament im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte angefertigt hat. Bereits am 16.07.2018 hatte E dem B2 mit der Bezeichnung als „Betreuer“ eine Vollmacht über ihr Barvermögen erteilt und Anordnungen für die Verteilung verbliebenen Geldes nach ihrem Tode getroffen, worauf in dem Testament vom 20.09.2021 Bezug genommen wurde. Nach der Errichtung gab E das Testament vom 20.09.2021 am 12.10.2021 in die amtliche Verwahrung. Es wurde nach dem Tod der E am 04.10.2022 eröffnet. B1 wendet sich gegen die Miterbenstellung des B2. Er äußert Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin und vertritt die Auffassung, dass Betreuer kein Erbe antreten dürften. E sei zunehmend verwirrt gewesen, habe sich bestohlen gefühlt und Angst gehabt, vergiftet zu werden. Des Weiteren läge hinsichtlich der Einsetzung des B2 ein Verstoß gegen § 32 der ärztlichen Berufsordnung (BO-Ä) vor. Jura Intensiv LEITSATZ 1. Ein Verstoß gegen § 32 BO-Ä führt nicht zur Nichtigkeit eines Testaments zugunsten des behandelnden Arztes. 2. Zwar stellen die Regelungen in den §§ 30 ff. der Berufsordnungen der Ärztekammern Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB dar. Ein Verstoß des Arztes führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit einer offenen Testierung eines Dritten, da dies eine unverhältnismäßige Einschränkung einer Testierfreiheit begründen würde. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
Die essenziellen Examensthemen zum
Bestens ausgestattet mit Jura Inten
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook
Twitter