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RA Digital - 02/2024

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70 Zivilrecht

70 Zivilrecht RA 02/2024 Der Gesetzgeber hat es versäumt, die Wirksamkeitsvoraussetzungen bei der Testamentserrichtung in einem Titel, Untertitel oder Kapitel in einer festen Reihenfolge zu normieren. Dadurch ist man gezwungen, die Verortung der entscheidenden Normen durch fleißiges Lernen zu speichern. 2. Höchstpersönliche Errichtung gem. §§ 2064, 2065 BGB Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass E das Testament nicht höchstpersönlich und ohne fremde Einwirkung errichtet hat. 3. Formgemäße Errichtung E hat das Testament gem. § 2247 BGB eigenhändig geschrieben und eigenhändig mit ihrem Namen unterschrieben. Die Formvorschrift des § 2247 BGB wurde folglich eingehalten. 4. Keine Nichtigkeit Fraglich ist jedoch, ob ein Nichtigkeitsgrund gem. § 134 BGB oder gem. § 138 I BGB vorliegt. Gesetz i.S.d. Art. 2 EGBGB Begriffsbestimmung des Verbotsgesetzes i.S.d. § 134 BGB Herleitung des Verbotsnormcharakters des § 32 I BO-Ä § 32 BO-Ä ist grundsätzlich ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. Begründung a) Nichtigkeit gem. § 134 BGB Das Testament vom 20.09.2021 könnte gemäß § 134 BGB i.V.m. § 32 der Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (BO-Ä) betreffend die Erbeinsetzung des B3 teilnichtig sein. Dann müsste § 32 BO-Ä als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen sein und ferner ein Verstoß des B2 zur Nichtigkeit der Testierung durch E geführt haben. Unter Gesetz i.S.d. § 134 BGB ist jede materiellrechtliche Rechtsnorm i.S.d. Art. 2 EGBGB zu verstehen. Ob ein Gesetz ein Verbotsgesetz ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, ob das diesbezüglich zu untersuchende Gesetz nur die Art und Weise des Zustandekommens eins Rechtsgeschäfts rügt oder sich gerade gegen den Inhalt richtet. Zu berücksichtigen ist ferner, wer Normadressat ist, dies insbesondere dann, wenn die Nichtigkeitsfolge beide Seiten belastet. [30] Gemäß § 32 Abs. 1 BO-Ä ist es „Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten (…) Geschenke oder andere Vorteile (…) sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“. [31] Dabei ist eine testamentarische Zuwendung - entsprechend der zu § 14 HeimG entwickelten Grundsätze - als „anderer Vorteil“ anzusehen, wobei die Zuwendung dann einen Verstoß darstellen kann, wenn diese dem Arzt bekannt und er mit dieser einverstanden war (...). [32] § 32 BO-Ä ist in Übereinstimmung mit dem Nachlassgericht als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können auch Vorschriften berufsständischer Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB sein. (...). [33] Gemäß § 30 BO-Ä sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, in allen vertraglichen und sonstigen beruflichen Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten zu wahren. (...) Schutzgut der Regelung in § 32 BO-Ä ist ebenfalls das auf die Ärzteschaft allgemein bezogene Vertrauen in die Freiheit und Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen und damit auch das Ansehen und die Integrität der Ärzteschaft im Allgemeinen (...). Jura Intensiv Also handelt es sich bei § 30 BO-Ä grundsätzlich um ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. Zu prüfen bleibt, ob ein einseitiger Verstoß des B2 gegen diese Vorschrift zur Teilnichtigkeit des Testaments geführt hat. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2024 Zivilrecht 71 [34] (...). Zwar hatte er Kenntnis von der Erbeinsetzung, [35] da er auf dem Testament die Testierfähigkeit der Erblasserin auf deren Wunsch hin bestätigt hatte. Darin ist auch zugleich die Erklärung seines Einverständnisses zu sehen, so dass er sich einen Vorteil hat „versprechen lassen“. Ob die Zuwendung geeignet war, den Eindruck zu erwecken, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird, kann vorliegend indes offenbleiben. [36] Denn ein Verstoß des Beteiligten zu 2) gegen § 32 BO-Ä würde nicht zur Nichtigkeit des Testaments führen. § 32 BO-Ä kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass dieses ein auch an den Testierenden gerichtetes Testierverbot enthält. Eine solche Auslegung würde einen unangemessenen Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Testierfreiheit darstellen. [38] Für den Bereich der Heimpflege ist anerkannt, dass § 14 HeimG aF und ihm folgend die entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen - für Hessen derzeit § 6 HBPG - Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB darstellen und ein Verstoß die Nichtigkeitsfolge auslösen kann. So hat das Bundesverfassungsgericht das in § 14 HeimG enthaltene Testierverbot bzw. das Verbot der testamentarischen Vorteilsnahme als verhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit bestätigt (...). Dies hat es zum einen mit dem Schutzzweck des § 14 HeimG begründet, welcher gerade auch die Testierfreiheit selbst schützen soll. Denn mit diesem solle verhindert werden, dass die Hilf- oder Arglosigkeit alter und pflegebedürftiger Menschen in finanzieller Hinsicht ausgenutzt wird und das Recht auf freie Verfügung von Todes wegen durch offenen oder versteckten Druck faktisch gefährdet wird. Zudem solle der Heimfriede geschützt werden (...). [39] Diese zur Heimpflege entwickelten Grundsätze sind auf die Auslegung der standesrechtlichen Vorschriften der Ärztekammer jedoch nicht in gleichen Umfang übertragbar. Der Schutzzweck des § 14 HeimG berührt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Testierfreiheit selbst. § 32 BO-Ä richtet sich an den Arzt und soll dessen Beeinflussung durch den Patienten - oder Dritte - ausschließen und gewährleisten, dass der Arzt sich bei seinen Entscheidungen von medizinischen und nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Damit zielt er in erster Linie auf das Verbot der Annahme durch den Arzt ab. [40] Die mögliche Nichtigkeitsfolge bei einem zweiseitigen Rechtsgeschäft hängt auch davon ab, ob sich ein gesetzliches Verbot gegen beide Vertragsparteien oder gegen nur einen der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten richtet. Soweit beide Vertragsteile Adressat der Verbotsnorm sind, ist grundsätzlich von der Nichtigkeit auszugehen, während bei einem einseitigen Verstoß die Wirksamkeit in der Regel unberührt bleiben soll (...). Überträgt man diesen Grundsatz auf die Testamentserrichtung im Einvernehmen mit dem Erben, so ist ausgehend von der Adressierung der berufsständischen Regelungen an die Ärzte als Mitglieder der Ärztekammer, eine Nichtigkeit der Testierung nicht zu rechtfertigen. Insoweit besteht auch keine Vergleichbarkeit mit den Regelungen in § 14 HeimG a.F. bzw. § 6 HBPG, von deren Schutzzweck auch die Testierenden erfasst werden und insoweit Adressat der Regelungen sind. Eine Berufsordnung ist nicht geeignet, einen Eingriff in die Testierfreiheit außenstehender Dritter zu begründen. Jura Intensiv Es steht fest, dass B2 gegen seine Berufspflichten verstoßen hat. Das Problem liegt aber woanders: Rechtfertigt dieser einseitige Verstoß des B2 die Nichtigkeitsfolge oder wird damit die Testierfreiheit der E in unzulässiger Weise eingeschränkt? Über Generalklauseln wie §§ 134, 138, 242 BGB entfalten die Grundrechte eine mittelbare Drittwirkung im Privatrecht. Deshalb ist hier in verfassungskonformer Auslegung zu berücksichtigen, dass man die Testierfreiheit der E wider Art. 14 GG einschränkt, wenn man sie als Erblasserin ebenso als Normadressatin der §§ 30 ff. BO-Ä ansieht wie den Berufsträger. Weil es um eine verfassungskonforme Auslegung geht, liegt der Vergleich mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 14 GG nahe. § 14 HeimG soll gerade die Bewohner der Pflegeeinrichtungen davor schützen, durch offenen oder versteckten Druck oder durch einen Überbietungswettbewerb der Zuwendungen ihr Recht auf freie Verfügung von Todes wegen faktisch zu verlieren. Die entscheidende Aussage dieses Beschlusses: § 32 BO-Ä ist mit § 14 HeimG nicht vergleichbar. § 32 BO-Ä richtet sich nur an den Arzt als Normadressaten. Deshalb wäre eine Nichtigkeitsfolge durch einen einseitigen Verstoß des Arztes eine unzulässige Einschränkung der Testierfreiheit. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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