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RA Digital - 02/2024

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88 Öffentliches Recht

88 Öffentliches Recht RA 02/2024 forderte, läge dieses hier in Form eines objektiven Klarstellungsinteresses vor. Denn durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sollen auch für die Zukunft die streitigen verfassungsrechtlichen Fragen geklärt werden. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Antragsgegnerin unter vergleichbaren Umständen, insbesondere in einer ähnlichen Pandemielage, die gleichen Anordnungen erlassen würde, sodass es erneut zu einer Verfassungsstreitigkeit kommen könnte.“ Demnach sind die Anträge zulässig. Prüfung einer Verletzung der Organrechte, keine objektive Rechtskontrolle. Zum Prüfungsaufbau: Da das freie Mandat quasi das „Grundrecht“ der Abgeordneten ist, kann es wie ein Freiheitsgrundrecht geprüft werden. Schutzbereich Hier: • Art und Weise der Mandatsausübung • Kommunikation mit Wählern • Gleichbehandlung der Abgeordneten Freies Mandat schützt auch Fraktionen Eingriff Anordnung Nr. 2: Mittelbarer Eingriff durch Behinderung der Kommunikation B. Begründetheit der Anträge Die Anträge sind begründet, soweit die gerügten Maßnahmen der Antragsgegnerin gegen die verfassungsmäßigen Rechte der Antragsteller verstoßen. I. Eingriff in den Schutzbereich „Gemäß Art. 13 Abs. 2 BV sind die Abgeordneten des Bayerischen Landtags Vertreter des Volkes, nicht nur einer Partei; sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Diese Verfassungsnorm gibt jedem Abgeordneten das subjektive Recht, sein Mandat innerhalb der Schranken der Verfassung ungehindert auszuüben; es verbürgt ihm einen Kernbestand an Rechten auf Teilhabe am Verfassungsleben (sog. freies Mandat). Die Freiheit des Mandats schützt insbesondere vor staatlichen Maßnahmen, die sich gegen eine bestimmte Art und Weise der Ausübung parlamentarischer Rechte richten. Ihr Schutzbereich umfasst darüber hinaus eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wählern; dazu gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit, etwa durch Kontakte zu den Medien. Das ebenfalls aus Art. 13 Abs. 2 BV folgende Prinzip der egalitären Repräsentation bedeutet, dass alle Mitglieder der Volksvertretung einander formal gleichgestellt sind. Als Zusammenschlüsse von Abgeordneten können auch die Fraktionen entsprechende eigene Rechte aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV ableiten; für Fraktionen und Mitglieder des Landtags, die wie die Antragsteller die Staatsregierung nicht stützen, finden diese Rechte zudem ihre Grundlage in Art. 16a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV.“ Jura Intensiv In die so umschriebenen Rechtspositionen der Antragsteller müssten die umstrittenen Anordnungen der Antragsgegnerin eingegriffen haben. „Allerdings galt die durch Nr. 2 begründete Verpflichtung zur Abgabe einer schriftlichen Selbstauskunft zum Infektionsrisiko nicht für Inhaber einer allgemeinen Zugangsberechtigung nach § 3 der Hausordnung und damit weder für die Abgeordneten selbst noch für deren Mitarbeiter. Unmittelbar betroffen waren somit nur die Besucher, denen im Fall einer auf „Ja“ lautenden Auskunft bzw. einer Auskunftsverweigerung oder bei Anzeichen einer relevanten Erkrankung der Zugang zum Gebäude verwehrt wurde. Dadurch […] wurde aber zugleich den Antragstellern die Möglichkeit genommen, mit den betreffenden externen Personen in den ihnen zugewiesenen Abgeordnetenbüros und Fraktionsräumen in direkten Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Das ihnen an diesen Räumlichkeiten eingeräumte Nutzungsrecht, das vom verfassungsmäßigen Recht auf freie Mandatsausübung umfasst ist, konnte danach nicht mehr uneingeschränkt ausgeübt werden. Das den Abgeordneten Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2024 Öffentliches Recht 89 und Fraktionen zustehende (abgeleitete) Hausrecht an den von der Parlamentsverwaltung überlassenen Räumlichkeiten schließt jedoch das prinzipielle Recht ein, darüber zu entscheiden, wer sich dort wann und zu welchen Zwecken aufhalten darf. […] Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Nr. 3), die für den in Nr. 1 umschriebenen räumlichen Anwendungsbereich der Maßnahmen mit Ausnahme der den Abgeordneten und Fraktionen überlassenen Räumlichkeiten galt und in den Sitzungssälen und Besprechungsräumen nur am Platz bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern entfiel, berührte ebenfalls die Organrechte der Antragsteller aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV und Art. 16a BV. Höchst fraglich erscheint insoweit allerdings, ob […] von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des freien Mandats […] das Recht umfasst war, in den Räumen des Landtags durch das demonstrative Nichttragen der […] Schutzmasken eine ablehnende Haltung gegenüber der Regierungspolitik öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck zu bringen. Unabhängig von der Frage, ob bzw. ab welchem Störungsgrad gezielte Protestaktionen und symbolische Gesten während laufender Sitzungen zu Ordnungsmaßnahmen führen können, dürften solche nonverbalen Meinungskundgaben grundsätzlich nicht mehr als Ausübung mandatsbezogener Statusrechte anzusehen sein, da der Willensbildungsprozess im Parlament nach der Vorstellung des Verfassungsgebers nicht durch tatsächliches Handeln, sondern durch öffentliche Verhandlung (Art. 22 Abs. 1 Satz 1 BV) in der Form von „Rede und Gegenrede“ erfolgen soll. Die Frage kann hier aber offenbleiben, da die Verpflichtung, in allen Räumen des Landtags eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, jedenfalls unter einem anderen Aspekt als mandatsrelevant angesehen werden muss. Zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Status des Abgeordneten gehört als notwendige Voraussetzung seiner parlamentarischen Teilhaberechte auch das Recht auf persönliche Anwesenheit im Plenum und in den Ausschüssen. Dieses Recht auf physische Präsenz wird beschränkt, wenn bereits der Zutritt zu den Sitzungssälen und die Fortbewegung innerhalb der Räume an die Erfüllung bestimmter Verhaltensanforderungen geknüpft wird, sodass den Abgeordneten die Teilnahme an der Sitzung erschwert oder im Weigerungsfall sogar gänzlich verwehrt werden kann. Jura Intensiv Aus den gleichen Gründen muss in dem für alle Gebäude einschließlich der Sitzungssäle und Besprechungsräume geltenden Mindestabstandsgebot (Nr. 4 Buchst. a) ebenfalls eine Beschränkung der den Antragstellern zustehenden Mandatsrechte gesehen werden. Soweit diesbezüglich nicht bloß eine Empfehlung […], sondern […] eine zwingende Verpflichtung ausgesprochen wurde […], war wiederum das verfassungsmäßige Recht der Abgeordneten auf Anwesenheit in den Räumen des Landtags betroffen. […] Die erzwungene Distanz von mindestens 1,5 Metern zum nächsten Nachbarn erschwerte den mündlichen Austausch insbesondere mit den Fraktionskollegen während der Sitzungen und konnte sich dadurch nachteilig auf die Ausübung der Mandatsrechte des einzelnen Abgeordneten und der entsprechenden Mitwirkungsrechte der Fraktionen auswirken.“ Anordnung Nr. 3 Fraglich, ob Protestaktionen vom freien Mandat geschützt sind. Vgl. dazu Glauben/Breitbach, DÖV 2018, 855, 859 Ebenso Art. 42 I 1 GG Anwesenheitsrecht beeinträchtigt Behinderung des Zutritts bzw. der Fortbewegung Anordnung Nr. 4a: Anwesenheitsrecht und Kommunikation in Landtagssitzungen beeinträchtigt Somit greifen die Anordnungen Nr. 1-4a in das freie Mandat ein. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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