94 Öffentliches Recht RA 02/2024 1. Erlaubnis i.S.d. WaffG § 45 I WaffG ermöglicht nur die Rücknahme einer Erlaubnis „nach diesem Gesetz“. Der Kleine Waffenschein ist gem. § 10 IV 4 WaffG eine solche Erlaubnis. Versagungsgrund = § 4 I WaffG Unzuverlässigkeit gem. § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG Kernproblem Wortlautauslegung Kein Wertungswiderspruch Zielsetzung des Gesetzgebers Systematische Bezugnahme auf die Verfassungsschutzgesetze des Freistaates Bayern (BayVSG) und des Bundes (BVerfSchG) 2. Nachträglicher Versagungsgrund Weiterhin muss nachträglich bekannt werden, dass die Erlaubnis hätte versagt werden müssen, es muss also ein nachträglicher Versagungsgrund gem. § 4 I WaffG vorliegen. Von den in dieser Norm genannten Gründen kommt nur die fehlende Zuverlässigkeit gem. § 5 WaffG bei A in Betracht. Konkret könnte ihm eine Regelunzuverlässigkeit gem. § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG vorzuwerfen sein. Da die JA Bayern „nur“ Beobachtungsobjekt des BayLfV ist, steht nicht fest, dass sie Bestrebungen i.S.v. § 5 II Nr. 3 Buchst. a) WaffG verfolgt. Das wirft die Frage auf, ob sich die einleitende Formulierung „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“ in § 5 II Nr. 3 WaffG auch auf das Verfolgen der genannten Bestrebungen bezieht oder nur auf die Mitgliedschaft (§ 5 II Nr. 3 Buchst. b) WaffG) bzw. die Unterstützungshandlung (§ 5 II Nr. 3 Buchst. c) WaffG). „Grammatisch ist der Einleitungshalbsatz allein auf die in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b WaffG vorausgesetzte Mitgliedschaft bzw. in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG geforderte Unterstützungshandlung bezogen, deren Objekt sich erst aus dem - durch das Demonstrativpronomen „solche“ gebildeten - Verweis auf Vereinigungen im Sinne von Buchstabe b) ergibt. Eine Vereinigung im Sinne des Buchstabe b) ist nur eine Vereinigung, die bestimmte Bestrebungen - welche wiederum durch den Verweis auf Buchstabe a) näher konkretisiert werden - verfolgt oder verfolgt hat; die nur tatsachenbasierte Annahme einer solchen Verfolgung genügt hingegen nicht. Für eine Überformung all dieser Relativsätze der durch § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b i.V.m. Buchst. a bzw. Buchst. c i.V.m. Buchst. b und a WaffG gebildeten Satzkonstruktion durch den Einleitungshalbsatz besteht kein sachlicher Grund. So hat der alleinige Bezug der Nachweiserleichterung auf die Mitgliedschaft im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b WaffG bzw. die Unterstützungshandlung im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG zunächst keinen Wertungswiderspruch innerhalb des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG zur Folge. Hinsichtlich der Verfolgung der im Normtext aufgelisteten Bestrebungen legt dieses Verständnis gerade keine unterschiedlichen Maßstäbe an, je nachdem ob diese einzeln oder innerhalb einer Vereinigung verfolgt werden. Vielmehr wird mit dem engen Verständnis sichergestellt, dass einerseits das vom Gesetzgeber beschriebene und als problematisch eingeordnete Verhalten des Erlaubnisinhabers (Verfolgung eigener Bestrebungen, Mitgliedschaft oder Unterstützungshandlung) diesem nicht nachgewiesen werden muss, andererseits jedoch eine Zurechnung von verfassungsfeindlichem Verhalten Dritter voraussetzt, dass dieses feststeht. Jura Intensiv Ferner trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu, „dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Berichterstattung in den Verfassungsschutzberichten Bayerns und des Bundes (…) und für die Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG weitestgehend identisch“ sind und „dementsprechend (…) die [rechtmäßige] Berichterstattung über die JA (…) indizier(t), dass zugleich die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG im Hinblick auf die JA erfüllt Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 02/2024 Öffentliches Recht 95 sind“. Art. 27 Abs. 1 BayVSG, der die bayerische Rechtsgrundlage für das Landesamt zum - so die Überschrift der Vorschrift - Verfassungsschutz durch Aufklärung der Öffentlichkeit bildet, kann zur Auslegung der bundesrechtlichen Vorschrift des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG schon aus kompetenzrechtlichen Gründen nichts beitragen. Aber auch mit § 16 Abs. 1 BVerfSchG lässt sich der in Rede stehende waffenrechtliche Unzuverlässigkeitsgrund nicht parallel führen. Hiergegen spricht zum einen der unterschiedliche Zweck der Vorschriften - Schutz der Allgemeinheit vor den mit Waffenbesitz verbundenen Gefahren hier, Schutz der Verfassung durch Information der Bevölkerung dort. Zum anderen sprechen die unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschriften dagegen, von einer rechtmäßigen Information der Öffentlichkeit über eine Vereinigung durch einen Verfassungsschutzbericht auf die Unzuverlässigkeit ihrer Unterstützer im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG zu schließen. Denn die Eingriffsschwellen sind von vornherein nicht identisch, wenn einmal Tatsachen, die eine Annahme rechtfertigen, und einmal hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich sind. […] Schließlich rechtfertigt es auch der unstreitige Zweck des Waffengesetzes, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko zu minimieren und nur bei Personen hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen, nicht, ein Unzuverlässigkeitsurteil im Sinne des geltenden § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b bzw. c WaffG auch dann zu ermöglichen, wenn die Mitgliedschaft bzw. die einschlägigen Bestrebungen einer unterstützten Vereinigung nicht feststehen. Denn die teleologische Interpretation setzt eine Anknüpfung insbesondere an den Normtext und seine Systematik voraus; sie dient der Ausfüllung eines durch andere Auslegungsmethoden erzeugten Variantenkorridors, nicht aber seiner Korrektur oder Durchbrechung. Die Maßgabe des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei der Auslegung des Waffengesetzes Schutzlücken, die dem genannten Zweck widersprächen, zu vermeiden sind, hat nur innerhalb eines solchen Auslegungskorridors Bedeutung. Sie bildet keine Ermächtigung für die Gerichte, ein durch die anerkannten Auslegungsmethoden gewonnenes Verständnis waffenrechtlicher Vorschriften unter Verweis auf eine noch bessere Zweckoptimierung (Risikominimierung) zu überformen. […]“ Jura Intensiv Demnach müssen die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Vereinigung feststehen, eine durch Tatsachen begründete Annahme genügt nicht. Folglich ist A nicht unzuverlässig gem. § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG, sodass die Voraussetzungen des § 45 I WaffG nicht erfüllt sind und die Rücknahme des Kleinen Waffenscheins rechtswidrig ist. Keine Auslegung des bundesrechtlichen WaffG durch das nachrangige landesrechtliche BayVSG. BVerfSchG ebenfalls unergiebig, da andere Eingriffsvoraussetzungen als im WaffG. Teleologische Auslegung Grenzen der teleologischen Auslegung durch Wortlaut und Systematik Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2019, 6 C 9.18, juris Rn 16 m.w.N. Ebenso OVG Magdeburg, Beschluss vom 24.04.2023, 3 M 13/23; a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.10.2023, 6 S 44/23 FAZIT Wichtig an dem Beschluss ist die mustergültige Auslegung des § 5 II Nr. 3 WaffG, die vor allem bzgl. der teleologischen Auslegung grundsätzliche Hinweise zur Anwendung des juristischen Auslegungskanons enthält. Die Rechtsansicht des VGH München ist im Übrigen nicht unumstritten, wie ein Blick auf die Rechtsprechung und in die Literatur zeigt. Erst eine höchstrichterliche Entscheidung durch das BVerwG dürfte - zumindest für die Rechtsprechung - die aufgeworfene Rechtsfrage klären, wie dies bereits hinsichtlich der Mitgliedschaft in der (früheren) NPD geschehen ist. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis Vgl. Nitschke, NVwZ 2023, 814 ff.; Wiegand, NVwZ 2023, 1211 ff. Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19.06.2019, 6 C 9.18, RA 11/2019, 589
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