96 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 02/2024 Speziell für Referendare Problem: Widerruf eines Lehrauftrags an einer öffentlichen Fachhochschule Einordnung: Allgemeines Verwaltungsrecht / Hochschulrecht VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 05.09.2023 4 L 1374/23 LEITSÄTZE (DER REDAKTION) 1. An die Eignung von Bewerberinnen für Lehraufträge ist der Maßstab der funktionsbezogenen Treuepflicht anzulegen. Die Inhaberin eines öffentlichen Amtes, die keinen Beamtenstatus hat, schuldet diejenige politische Loyalität, die für eine funktionsgemäße Amtsausübung unverzichtbar ist. 2. Die Eignungsfeststellung verlangt eine umfassende Würdigung der Gesamtpersönlichkeit der Bewerberin und eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Eignung der Lehrkraft sprechenden Umstände. Geschichtserzählung / Unstreitiges / feststehender Sachverhalt: Grds. Indikativ Imperfekt. Ausn.: Vorgänge / Zustände reichen bis in die Gegenwart (sog. IST-Zustände), dann Indikativ Präsens. Beachte: Land = der Antragsgegner Erlass des Ausgangsbescheids gehört zur Geschichtserzählung, also Indikativ Imperfekt. EINLEITUNG Der Fall hat für Aufsehen gesorgt. Eine Dozentin an der Hochschule der Polizei in NRW spricht in einem Post in den sozialen Medien im Zusammenhang mit der Polizei von „braunem Dreck“, woraufhin ihr der Lehrauftrag entzogen wird. Das VG Gelsenkirchen hatte zu klären, ob der Widerruf des Lehrauftrags rechtmäßig erfolgte. [Anm.: Im 2. Examen sind die ÖR-Klausuren regelmäßig weitgehend identisch mit Originalentscheidungen. Daher werden die Entscheidungen in der RA möglichst umfassend abgedruckt, auch um auf typische Formulierungen in der Praxis hinzuweisen.] GRÜNDE I. „[…] Die Antragstellerin ist verbeamtete Lehrerin in Nordrhein-Westfalen. Durch Bescheid vom 10. Mai 2023 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin für den Zeitraum vom 8. September 2023 bis zum 10. Mai 2024 einen Lehrauftrag an der I. für die Lehrveranstaltung GS1.7 - „Interkulturelle Kompetenz“ […]. Bereits zuvor hatte die Antragstellerin auf der Grundlage ihr erteilter Lehraufträge an der I. das Teilmodul „Interkulturelle Kompetenz“ gelehrt […]. Am 20. Mai 2023 veröffentlichte die Antragstellerin folgende Kurznachricht, sogenannter Tweet, auf Twitter (jetzt: X): „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land“. […] Jura Intensiv Mit E-Mail vom 22. Mai 2023 wandte sich die Antragstellerin an den Antragsgegner und teilte mit, ihr sei zugetragen worden, dass sie aufgrund ihres Tweets vom 20. Mai 2023, der eine Hasswelle gegen ihre Person ausgelöst habe, ihren Lehrauftrag nicht mehr ausüben dürfe. Sie wolle klarstellen, dass sie mit der Bezeichnung „brauner Dreck“ weder alle Polizist*innen, noch die Sicherheitsbehörden oder Polizeischüler*innen gemeint habe, sondern ausschließlich die Gesinnung von Beamt*innen, die menschenverachtend und rassistisch unterwegs seien. […] Mit Schreiben vom 23. Juni 2023 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zu dem Widerruf des Lehrauftrages an. Hierauf erfolgte keine Stellungnahme der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner. […] Durch Bescheid vom 28. Juli 2023 widerrief der Antragsgegner den der Antragstellerin mit Schreiben vom 10. Mai 2023 erteilten Lehrauftrag (Ziffer 1.) und ordnete die sofortige Vollziehung des Widerrufs an (Ziffer 2.). Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 02/2024 Referendarteil: Öffentliches Recht 97 […]. Aufgrund der im Nachgang zur Erteilung des Lehrauftrages von der Antragstellerin veröffentlichten Beiträge auf der Internetplattform Twitter sowie der weiterhin noch nicht vorgelegten Nebentätigkeitsgenehmigung seien nachträglich Tatsachen eingetreten, die die I. berechtigten, den Lehrauftrag nicht zu erteilen. Zudem werde ohne den Widerruf des Lehrauftrages das öffentliche Interesse gefährdet. Die Antragstellerin habe durch die Veröffentlichung der Mitteilung auf Twitter gegen das Zurückhaltungsgebot, welches aus der Eignung der Lehrbeauftragten folge, verstoßen. Die Twitter-Mitteilungen seien pauschalierend und undifferenziert. Die Aussagen seien geeignet, die Angehörigen des Polizeidienstes in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und Vorurteile gegen Angehörige des Polizeidienstes zu schüren. Gegen die Eignung als Lehrbeauftragte spreche zudem, dass die Antragstellerin sowohl in Bezug auf ihren letzten Lehrauftrag als auch in Bezug auf den hier streitgegenständlichen die nach § 49 LBG NRW erforderliche Nebentätigkeitsgenehmigung ihrer dienstvorgesetzten Stelle nicht eingeholt habe. […] Aufgrund der Äußerungen bestehe die Gefahr, dass die Studierenden des Studienfaches die Antragstellerin als Lehrbeauftragte für das Fach interkulturelle Kompetenz nicht akzeptieren würden und die mit dem Fach verfolgten Lernziele nicht erreicht werden könnten. Kern des Lehrfachs sei unter anderem die Vermittlung, dass es notwendig sei, vorurteilsfrei, differenziert, sensibel und wertschätzend zu interagieren und zu kommunizieren. Die Antragstellerin zeige sich selbst nicht bereit, in dieser Weise in der Öffentlichkeit zu kommunizieren, wie ihre Äußerung „brauner Dreck“, die in ihrer öffentlichen Wirkung pauschal auf alle Polizeiangehörigen ziele, belege. Die öffentlichen Äußerungen im Internet hätten unter anderem auch dazu geführt, dass die I. eine Vielzahl von Drohungen erhalten habe. […] Am 15. August 2023 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung führt die Antragstellerin aus, sie habe mit ihrem Tweet nicht gegen das Zurückhaltungs- oder Mäßigungsgebot verstoßen. Ein Zurückhaltungsgebot bei öffentlichen Äußerungen bestehe für sie im Zusammenhang mit ihrem Lehrauftrag nicht. […] Ihr Tweet vom 20. Mai 2023 verstoße auch nicht gegen das Maß an Loyalität und Zurückhaltung, das für eine funktionsgemäße Ausübung des Amtes einer Lehrbeauftragten unverzichtbar sei. An dem beamtenrechtlichen Mäßigungsgebot müsse sich ihr Tweet nicht messen lassen. Die Bezeichnung „brauner Dreck“ beziehe sich nicht pauschal auf alle Polizistinnen und Polizisten. Vielmehr bezeichne sie damit rechtsextremes, sowie rassistisches Gedankengut in den Sicherheitsbehörden. […] Sie habe den Tweet weder in einem sachlichen noch einem örtlichen oder sonst irgendeinem Zusammenhang zu ihrem Lehrauftrag abgesetzt. […] Es sei weder dargetan noch erkennbar, dass der Tweet die Aufgabenerfüllung der I. beeinträchtige. Insbesondere folge eine solche zurechenbare Beeinträchtigung nicht daraus, dass Dritte infolge des Tweets der I. sowie ihren Angehörigen mit der Begehung von gegen sie gerichteten Straftaten gedroht hätten. Ein vorsätzliches und rechtswidriges Dazwischentreten Dritter, dass erstmals eine Gefahr begründe, sei ihr, der Antragstellerin, nicht zurechenbar. […] Jura Intensiv Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 4 K 2797/23 gegen den Widerrufsbescheid des Antragsgegners vom 28. Juli 2023 wiederherzustellen. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. Begründung des Ausgangsbescheid: Konjunktiv Präsens Prozessgeschichte: Indikativ Perfekt Streitiges der Antragstellerin: Konjunktiv Präsens „führt … aus“ ist eine typische Formulierung in der Praxis. Anträge: Indikativ Präsens In NRW entfällt das Vorverfahren gem. § 68 I 2 VwGO i.V.m. § 110 I 1 JustG NRW. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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