124 Zivilrecht RA 03/2017 Private Haftpflichtversicherung deckt keine Schäden, für die der Schädiger nicht verantwortlich ist Notwendig, aber nicht hinreichend ist im Rahmen § 829 BGB die wirtschaftliche Diskrepanz der Vermögenslagen zwischen Geschädigtem und Schädiger. Mangels Entscheidungserheblichkeit lässt der BGH hier offen, ob die Versagung des Schmerzensgeldes bei schuldlos verursachten Unfällen im Einzelfall dem Billigkeitsempfinden krass widerspricht. Hier besteht ein wirtschaftliches Gefälle zugunsten des Geschädigten, weil der Schädiger einkommenslos ist. freizustellen und unbegründete Ansprüche abzuwehren (§ 100 VVG), folgt nach wie vor dem Grundsatz, dass der Freistellungsanspruch eine Haftung des Schädigers voraussetzt und die Haftpflichtversicherung nicht dazu bestimmt ist, eine Haftung des Schädigers gegen den Geschädigten erst zu begründen. Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer oder Versicherte einen Schaden herbeiführt, für den er nicht verantwortlich ist, ist grundsätzlich nicht versichert. Besteht aber kein Versicherungsschutz, kann dieser auch keinen in den Vergleich der Vermögenslagen einzubeziehenden Vermögenswert des Schädigers darstellen. Jedenfalls erfordert es die Billigkeit nicht, dem Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung für die Frage des „Ob“ der Haftung ungeachtet des Trennungsprinzips eine maßgebliche Bedeutung zukommen zu lassen. Das gilt erst recht dann, wenn die anderweitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten eine Haftung nach § 829 BGB nicht rechtfertigen oder ihr sogar entgegenstehen würden.“ „II.1. Ohnehin könnte allein das Bestehen eines Versicherungsschutzes, auch soweit er bei dem Vergleich der Vermögenslagen zu berücksichtigen wäre, wie auch sonst die Diskrepanz der Vermögenslagen für sich genommen die Billigkeitshaftung nicht auslösen. Vielmehr sind darüber hinaus die gesamten Umstände des Falles zu berücksichtigen, etwa die Besonderheiten der die Schadensersatzpflicht auslösenden Handlung.“ „II.1. Ob für die Zuerkennung von Schmerzensgeld im Rahmen des § 829 BGB darüber hinaus erforderlich ist, dass eine Versagung im Einzelfall dem Billigkeitsempfinden krass widersprechen würde, wie es der Senat vor der Neuregelung des § 253 BGB unter Berücksichtigung dessen gefordert hat, dass bei schuldlos verursachten Unfällen ein Schmerzensgeld regelmäßig nicht verwirkt war, kann hier dahinstehen.“ II.2.a) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass derzeit ein wirtschaftliches Gefälle nicht zugunsten des B, sondern allenfalls zugunsten K besteht. [B verfügt über kein eigenes Einkommen].“ „II.2.a) Es ist weiter aus den eingangs genannten Gründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht das Bestehen der freiwilligen Haftpflichtversicherung auf Seiten des B nicht anspruchsbegründend berücksichtigt hat. Dies gilt umso mehr, als die anderweitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien allenfalls ein Gefälle zugunsten des K ergeben und damit einer Haftung des B vorliegend sogar entgegenstehen würden. Jura Intensiv Damit ist eine Haftung aus Billigkeitsgründen abzulehnen. B. Ergebnis K hat gegen B keinen Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 6.000 € aus §§ 829, 253 II BGB. FAZIT Die Billigkeitsentscheidung nach § 829 BGB erfordert die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, ferner ein wirtschaftliches Gefälle zwischen den Vermögensverhältnissen des Schädigers und des Geschädigten. Eine freiwillige Haftpflichtversicherung hat keine anspruchsbegründende Funktion, sondern dient lediglich der Korrektur der Höhe des zu zahlenden Betrags. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 03/2017 Zivilrecht 125 Problem: Mithaftung des finanziell überforderten Ehegatten Einordnung: Kreditsicherungsrecht BGH, Urteil vom 15.11.2016 XI ZR 32/16 EINLEITUNG Bei verheirateten Darlehensnehmern verlangen Banken in aller Regel, dass beide Ehegatten den Darlehensvertrag als Mitdarlehensnehmer unterzeichnen, auch wenn der Kredit eigentlich nur einem der beiden Ehegatten zugute kommen soll. Die Bank sieht darin den Vorteil, dass im Ernstfall beide Ehegatten unabhängig voneinander auf Rückzahlung des gesamten Darlehens in Anspruch genommen werden können. Dadurch reduziert sich das Risiko der Bank in dem Fall, dass ein Ehegatte insolvent wird. Allerdings kann eine solche Mithaftungsübernahme des Ehegatten ebenso wie eine Bürgschaft nach st. Rspr. sittenwidrig sein. Der vorliegende Fall des BGH zeigt dies sehr anschaulich. SACHVERHALT (LEICHT ABGEWANDELT) Der Ehemann (E) der Beklagten (B) besitzt ein Grundstück in Gardelegen. Zur Finanzierung des von ihm geplanten Baus eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohneinheiten, beantragt er bei der Klägerin (K) Ende November 1993 eine Förderung im Rahmen des Wohnungsbauprogramms Sachsen-Anhalt, die K mit Bescheid vom 05.07.1994 bewilligt. Die Förderung besteht in der Gewährung eines Darlehens i.H.v. 560.000 DM. Der Darlehensvertrag wird am 17.01.1995 zwischen E und K unterzeichnet. Vor Auszahlung der ersten Darlehensrate legt E gegenüber K seine Vermögensverhältnisse und die seiner Frau offen. Nach Auszahlung der ersten Darlehensrate am 10.04.1995 unterzeichnet auch B auf Verlangen der K den Darlehensvertrag. Sie wird darin als „Darlehensnehmerin“ bezeichnet. Die außerdem zugunsten der K bestellte Grundschuld soll der Sicherung aller gegenwärtigen und künftigen Ansprüche der K gegen E und B dienen. Mit Schreiben vom 17.05.1995 teilt K dem E mit, die erste Darlehensrate ausnahmsweise ausgezahlt zu haben, obwohl die Auszahlungsvoraussetzungen noch nicht vorgelegen hätten. Zum Zeitpunkt des Todes des E am 04.06.2012 valutiert das Darlehen noch mit 200.000 €. B schlägt die Erbschaft aus. Es wird ein Nachlasspfleger bestellt, der infolge Überschuldung des Nachlasses den Insolvenzantrag stellt. Mit Schreiben vom 19.03.2013 kündigt K das Darlehen und fordert B zur Zahlung von 200.000 € auf. B macht geltend, dass der Darlehensvertrag wegen finanzieller Überforderung sittenwidrig und damit nichtig sei. Im Jahr 1994 habe sie lediglich ein monatliches Nettoeinkommen von 2.400 DM erzielt und im Übrigen über kein ausreichendes Vermögen zur Abdeckung des Darlehens verfügt. Dies hätte K damals überprüfen müssen. Zu Recht? Jura Intensiv LEITSATZ Zur Widerlegung der Vermutung der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners PRÜFUNGSSCHEMA K GEGEN B AUS § 488 I 2 BGB I. Abschluss eines Darlehensvertrages II. Sittenwidrigkeit gem. § 138 I BGB III. Ergebnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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