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RA Digital - 03/2017

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

150 Referendarteil:

150 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 03/2017 Speziell für Referendare Problem: Anwendung von unmittelbarem Zwang durch Polizeibeamte im Wege der Amtshilfe Einordnung: Polizeirecht, Feststellungsklage bei erledigter Maßnahme VG Schleswig Beschluss vom 1.12.2016 1 A 181/14 LEITSATZ Sind Einsatzkräfte der Polizei im Wege der Amtshilfe für den Amtsarzt und nicht zur Erfüllung einer eigenen polizeilichen Aufgabe tätig geworden, ist die Polizei nur für die Art und Weise der Durchführung der Amtshilfe verantwortlich. Ein Einleitungssatz ist nicht erforderlich, wenn im Rubrum unter „wegen“ eine Zusammenfassung des Streitgegenstandes erfolgt. Geschichtserzählung: Indikativ Imperfekt EINLEITUNG Der Entscheidung des VG Schleswig liegt eine Klage zugrunde, mit der die Klägerin die Feststellung begehrt, dass ihr gegenüber durch Polizeibeamte in einem Krankenhaus angewandte Zwangsmaßnahmen rechtswidrig gewesen sind. Die Polizeibeamten waren tätig geworden, nachdem sie vom Klinikpersonal herbeigerufen worden waren, um die Klägerin nach Diagnose eines unfallbedingten Schädel-Hirn-Traumas am Verlassen des Krankenhauses zu hindern. TATBESTAND „Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilichen Handelns. Die 1981 geborene Klägerin stürzte bei einer Reitstunde am Abend des 06.07.2012 vom Pferd und wurde wegen auftretender Gedächtnislücken [...] von ihrem Lebensgefährten und Prozessbevollmächtigten in diesem Verfahren in das … in A-Stadt gebracht. [...] Es erfolgte noch am selben Tag eine Verlegung auf die Intensivstation der Anästhesiologie. Es wurden bei der Klägerin ein Schädel-Hirn-Trauma [...] diagnostiziert. Mittels Computertomographie (CT) wurde der Kopf der Klägerin mehrmals auf Hirnverletzungen untersucht. [...] Nach Angaben des Stationsarztes gegenüber der Richterin am Amtsgericht … im Unterbringungsverfahren – 300 XIV 1457 L – bestehe in Fällen eines Schädel-Hirn-Traumas eine Überwachungspflicht von 24 Stunden. Sofern die Klägerin innerhalb dieser Frist das Krankenhaus verlasse, um auf eine andere Station oder in ein anderes Krankenhaus zu kommen, bestehe Lebensgefahr, weil die Klägerin, sofern unterwegs etwas passiere, nicht sofort notfallmäßig und operativ versorgt werden könne. [...] Am Morgen des 07.07.2012 wollte die Klägerin nach einer Auseinandersetzung mit dem Pflegepersonal ihrer Station sowie mit dem Stationsarzt zusammen mit ihrem Lebensgefährten eine Entlassung auf eigenen Wunsch herbeiführen. Als ihr dies verwehrt wurde, versuchte sie, sich bei einem Vorgesetzten des Stationspersonals zu beschweren und einen Wechsel des Krankenhauses oder zumindest der Station herbeizuführen. Nachdem sie niemanden angetroffen hatte, der ihre Beschwerde entgegennehmen und einen Stationswechsel veranlassen wollte, verließ die lediglich mit einem Krankenhausnachthemd bekleidete Klägerin mit ihrem Lebensgefährten das Klinikgebäude. Vor dem Gebäude trafen die Klägerin und ihr Lebensgefährte auf die beiden vom Stationspersonal herbeigerufenen Polizeibeamten … und …. Diese überredeten die Klägerin, zu einer Klärung der Angelegenheit noch einmal auf die Station zurückzukehren. [...] Der Stationsarzt informierte den Amtsarzt der Stadt A telefonisch über Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2017 Referendarteil: Öffentliches Recht 151 den medizinischen Zustand der Klägerin und deren Wunsch, gegen den ärztlichen Rat die Klinik verlassen zu wollen. Er teilte dem Amtsarzt mit, dass die Klägerin verhaltensauffällig und sehr unruhig sei. Der Amtsarzt riet dem Stationsarzt, die Klägerin gegebenenfalls zu fixieren, wenn dies in der Gesamtsituation notwendig werde. Als die Klägerin mit den Polizeibeamten auf die Station zurückkehrte, waren an ihrem Bett bereits Fixiergurte angebracht. Die Klägerin lehnte eine Fesselung energisch ab, weigerte sich, in das Bett zu gehen und wehrte sich gegen den Versuch, sie gewaltsam in das Bett zu legen. Sie wurde schließlich unter Zusammenwirken des Stationsarztes, eines Pflegers und der beiden Polizeibeamten unter Anwendung körperlicher Gewalt in das Bett gelegt und an den Armen, den Beinen sowie im Hüftbereich fixiert. Die Klägerin hat am 29.09.2014 die vorliegende Klage erhoben. Die Klägerin trägt zur Begründung der Klage vor, [...] die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, da jedenfalls eine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Das Polizeihandeln sei rechtswidrig. Es bedürfe Ermächtigungsgrundlagen, die die Anwendung von Gewalt, die Fesselung sowie das zwangsweise Verabreichen von Medikamenten deckten. Die Gabe von Medikamenten sei zwar nicht unmittelbar durch die Polizeibeamten erfolgt. Diese Handlung der Klinikmitarbeiter sei aber als Teil eines einheitlichen Lebensvorgangs dem beklagten Land wegen der Beteiligung der Polizeibeamten an dem Gesamtvorgang zuzurechnen. [...] Da die Gewaltanwendung nur erfolgte, um sie dem Gewahrsam des Stationsarztes zuzuführen, handele es sich faktisch um eine gewaltsame Unterbringung in einem Krankenhaus. Für eine solche Unterbringungshandlung durch die Polizei bestehe keine Ermächtigungsgrundlage. [...] Die Fesselung sei weder durch § 16 PsychKG-SH noch durch § 255 LVwG gedeckt. Denn es fehle zum einen an einer Unterbringung nach dem PsychKG-SH, zum anderen für die Anwendbarkeit des § 255 LVwG an einem Festhalten durch die Polizeibeamten nach dem LVwG. Zudem fehle es den Handlungen an der Verhältnismäßigkeit. Sie sei bereit gewesen, auf das Eintreffen des Amtsarztes zu warten, wenn das von ihr verlangt worden wäre. Eine entsprechende Aufforderung sei von den Polizeibeamten jedoch nicht erfolgt. Jura Intensiv Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die von den Polizeibeamten … und … angewendete Gewalt, die Fesselung sowie die durchgeführte Zwangsmedikation am 07.07.2012 rechtswidrig gewesen sind. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass es der Klage bereits am Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehle. Dass die Klägerin Schadensersatzansprüche verfolgen wolle, reiche nicht aus, da dies ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nur bei einer Erledigung nach Klageerhebung begründe. Auch eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben, da bereits nicht vorgetragen sei, wie sich ein vergleichbarer Sachverhalt erneut ereignen solle. Das Handeln der Polizeibeamten sei rechtmäßig, da es sich um einen formell und materiell rechtmäßigen sofortigen Vollzug handele. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs sei auch ohne vorangegangenen Grundverwaltungsakt zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit zulässig gewesen. Eine gegenwärtige Gefahr sei aus Klageerhebung: Indikativ Perfekt Klagevorbringen: Konjunktiv Präsens Anträge: Indikativ Präsens Beklagtenvorbringen: Konjunktiv Präsens © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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