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RA Digital - 03/2017

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

152 Referendarteil:

152 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 03/2017 Ex-ante-Sicht der Polizeibeamten durch die nach Auskunft des Stationsarztes für die Klägerin bestehende Lebensgefahr bei Verlassen des Krankenbettes gegeben gewesen. Da den Polizeibeamten darüber hinaus mitgeteilt worden sei, dass eine Unterbringung der Klägerin nach § 11 PsychKG-SH im Raume stehe, weil sie nicht in der Lage sei, die Entscheidung über ihre Entlassung selbst zu treffen, sei es für die Beamten unumgänglich gewesen, für einen Verbleib der Klägerin im Krankenhaus und in ihrem Bett bis zum Eintreffen des Amtsarztes zu sorgen. [...] Wegen der akuten Lebensgefahr sei die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit für eine Stunde auch verhältnismäßig gewesen. Die Fesselung sei als Zwangsmittel nach § 255 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a LVwG gerechtfertigt gewesen, da die Klägerin aus Sicht der Beamten im Begriff gewesen sei, sich durch das Verlassen der Klinik selbst in die Gefahr des Todes zu bringen. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ist bei der Überprüfung polizeilichen Handelns regelmäßig zu problematisieren. Allerdings stand hier nicht die (bekannte) Abgrenzung zwischen präventivem und repressivem Polizeihandeln im Raum, sondern die Frage nach einer abdrängenden Sonderzuweisung an die ordentlichen Gerichte nach dem FamFG. Zulässigkeit FK als statthafte Klageart Voraussetzungen: Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, Subsidiarität, Feststellungsinteresse Hier: der Vergangenheit angehörendes Rechtsverhältnis, da die Maßnahme mittlerweile beendet ist. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Der Rechtsweg zu dem angerufenen Verwaltungsgericht ist nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich das hoheitliche Handeln von Polizeivollzugsbeamten. Es ist keine abdrängende Sonderzuweisung einschlägig. § 428 Abs. 2 FamFG findet keine Anwendung, da es sich bei der streitgegenständlichen Maßnahme nicht um eine Freiheitsentziehung aufgrund von Bundesrecht (vgl. § 415 Abs. 1 FamFG) handelt. Es kommen ausschließlich landesrechtliche Vorschriften als Ermächtigungsgrundlagen in Betracht. Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist gegeben. Unter einem solchen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist. Jura Intensiv Im vorliegenden Fall geht es um die Feststellung, ob die Polizeibeamten des Beklagten von Rechts wegen daran gehindert waren, Gewalt gegen die Klägerin anzuwenden, an einer Fesselung der Klägerin mitzuwirken und einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch das UK... zu überlassen. Die Statthaftigkeit der Feststellungsklage scheitert hier auch nicht an der Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 VwGO, denn bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Fesselung der Klägerin handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern lediglich um einen Realakt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2017 Referendarteil: Öffentliches Recht 153 Das notwendige Feststellungsinteresse ist ebenfalls gegeben. Als ein solches Interesse kommt grundsätzlich jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art in Betracht. Ein Feststellungsinteresse ergibt sich hier nicht bereits aus der Wiederholungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr ist nur gegeben, wenn die hinreichend bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige Maßnahme ergehen wird. Die Wiederholung der gleichen Maßnahme muss konkret und in absehbarer Zeit zu erwarten sein. Nach diesen Maßstäben ist eine konkrete Wiederholungsgefahr nicht ersichtlich. Ausgangspunkt für das Vorgehen der Polizeibeamten gegen die Klägerin war deren Sturz vom Pferd und das dadurch erlittene Schädel-Hirn-Trauma, das zur stationären Aufnahme in das UK... führte. Es ist nicht absehbar, dass sich eine ähnliche Situation in nächster Zeit erneut einstellt. Jedoch ist ein Feststellungsinteresse aufgrund der kurzfristigen Natur des polizeilichen Handelns und der Fesselung wegen der regelmäßigen Erledigung vor Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens gegeben. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erfordert eine wenigstens nachträgliche Kontrolle bei typischerweise kurzfristigen, aber tiefgreifenden Grundrechtseingriffen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. So liegt es hier. Bei der Anwendung von Gewalt durch Polizeibeamte, um eine Person zu fesseln, handelt es sich um eine zwangsläufig kurzfristige Maßnahme, die mit dem Ende der Gewaltanwendung ihre Erledigung findet. Eine „Anfechtung“ dieser Maßnahme im gerichtlichen Verfahren ist deshalb kaum möglich. Andererseits stellt das polizeiliche Handeln hier als freiheitsentziehende Maßnahme einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 2 GG geschützte persönliche Freiheit dar, für den nach § 104 Abs. 2 GG der Richtervorbehalt besteht. Denn das Handeln der Polizeivollzugsbeamten war darauf gerichtet, die Klägerin zu fesseln. Jura Intensiv Die zwischen der streitgegenständlichen Maßnahme und der Klageerhebung verstrichene Zeit beseitigt nicht das Feststellungsinteresse. Denn anders als für die Fallgruppe von Feststellungsklagen, bei denen das Feststellungsinteresse auf einem Rehabilitationsinteresse des Klägers wegen einer Fortwirkung einer Grundrechtsbeeinträchtigung beruht, bedarf es einer solchen Fortwirkung im Falle eines sich kurzfristig erledigenden tiefgreifenden Grundrechtseingriffs gerade nicht. [...] Die Klage ist unbegründet. Die Anwendung von Gewalt gegen die Klägerin und die Mitwirkung an der Fesselung der Klägerin durch die Polizeibeamten waren rechtmäßig. Bei der Zwangsbehandlung und der Zwangsmedikation der Klägerin handelt es sich schon nicht um Eingriffshandlungen der Polizeibeamten, so dass diesbezüglich eine Feststellung der Rechtswidrigkeit ausscheidet. Die Einsatzkräfte der Beklagten sind bei der streitgegenständlichen Mitwirkung an der Fesselung der Klägerin im Wege der Amtshilfe für den Amtsarzt und nicht zur Bei der Vergangenheit angehörenden Rechtsverhältnissen kommen im Rahmen des Feststellungsinteresses die von der FFK bekannten Fallgruppen zur Anwendung: Wiederholungsgefahr, Präjudizialität für Schadensersatzansprüche, Rehabilitation, schwerer und sich typischerweise schnell erledigender Grundrechtseingriff vgl. VGH München, Beschluss vom 10.6.2015, 10 C 15.880, juris Rn 12 m.w.N.; OVG Schleswig, Beschluss vom 16.9.2015, 4 O 37/15 Insbesondere bei Eingriffen in Grundrechte mit Richtervorbehalt: s. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.5.1998, 2 BvR 978/97, juris Rn 10; BVerfG, Beschluss vom 30.4.1997, 2 BvR 817/9, juris Rn 49; BVerwG, Urteil vom 16.5.2013, 8 C 14/12, juris Rn 29; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn 25, § 113 Rn. 145 Subsumtion des konkreten Sachverhalts Da die Klägerin erst über 2 Jahre nach dem Vorfall Klage erhoben hat, wäre in der Klausur auf jeden Fall auch eine Verwirkung des Klagerechts zu problematisieren. Allein das späte Erheben einer Klage kann eine Verwirkung jedoch grds. nicht begründen, vielmehr muss sich die späte Klageerhebung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen. Hierfür gibt der Sachverhalt nichts her. Begründetheit Ergebnissatz voranstellen © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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